Auswirkungen des Klinikstreiks sind verhältnismäßig

Meinung Seit inzwischen fast zwei Monaten streikt das Pflegepersonal der Unikliniken in NRW. Die Arbeitgeber stellen sich stur und klagen gegen den Streik. Doch die Klage wurde zurückgewiesen
Erst wird ihnen applaudiert, dann werden sie vor Gericht gezerrt
Erst wird ihnen applaudiert, dann werden sie vor Gericht gezerrt

Foto: IMAGO / NurPhoto

Es ist nicht einmal zwei Jahre her, dass Pflegekräfte die Held*innen der Coronakrise waren, dass Politiker*innen sie in ihren Reden bedachten, Restaurants Pizzen auf Intensivstationen schickten, solidarische Menschen von den Balkonen klatschten und Journalist*innen über den stressigen Arbeitsalltag berichteten. Jetzt kämpfen die Menschen, die in Krankenhäusern Patient*innen versorgen, wieder allein.

Und nicht nur das: sie werden aktiv von ihren Arbeitgebern bekämpft. In Nordrhein-Westfalen streiken Klinikarbeiter*innen der sechs Universitätskliniken seit mittlerweile sieben Wochen, also fast zwei ganzen Monaten, für einen Tarifvertrag Entlastung, der verbindlich regeln soll, wann Stationen unterbesetzt sind, Patient*innen nicht versorgt werden können, Menschen im Krankenhaus Überlastung und Gefahren ausgesetzt werden. So einen Tarifvertrag haben die Krankenhausbewegungen in Jena und Berlin bereits erkämpft. In Nordrhein-Westfalen schalten die Klinikleitungen auf stur, auch weil so ein Tarifvertrag weniger Profite bedeutet – so absurd das bei landeseigenen Kliniken auch anmutet – und weil der Normalbetrieb mehr kosten würde. Es ist abwegig, dass Pflege Profite einspielen soll und kein Geld kosten darf.

Die Streikenden mussten das Angebot ablehnen

Ob es eine Rolle spielt, dass es in NRW eine schwarz-grüne, in Thüringen und Berlin eine rot-rot-grüne Landesregierung gibt? Sehr gut möglich. Die Streikenden berichten davon, wie sehr der Streit zehrt, wie anstrengend es ist, den Arbeitskampf zu organisieren – und auch zu finanzieren, denn sie erhalten in dieser Zeit nicht ihren vollen Lohn. Und trotzdem mussten sie am 10. Juni das Angebot der Arbeitgeber ausschlagen, die eine pauschale Regelung von fünf Entlastungstagen für Teile der Pflegearbeiter*innen wollten. Verdi kritisierte das als „Mogelpackung“ und fordert eine „schichtgenaue Mindestbesetzungen für alle Bereiche im Krankenhaus“, also gemessen am tatsächlichen Bedarf und umwandelbar in freie Tage für das Pflegepersonal, wenn diese nicht eingehalten werden, um der andauernden Überlastung entgegenzuwirken.

Bereits jetzt verlassen viele ihren Beruf genau aus diesem Grund. Statt einem neuen Angebot an die Streikenden, versuchte die Klinikleitung des Bonner Universitätsklinikums – wohl in Absprache mit den restlichen Klinikleitungen –, den Streik jetzt zu ihren Gunsten abzukürzen, indem sie eine einstweilige Verfügung vor Gericht beantragt hat. Damit kam sie aber nicht durch: Diesen Antrag hat das Gericht in allen Punkten abgewiesen. Die Richterin stellte in ihrem Urteil fest, dass der Streik rechtmäßig ist, die Forderungen genauso tarifierbar sind, wie sie vorgeschlagen werden und auch die Notdienstverordnung eingehalten wird.

Gerade die Notdienstverordnung wird immer mehr zum von der Arbeitsgeberseite in der Öffentlichkeit instrumentalisierten Spielball. Die Notdienstverordnung regelt, welche Patienten in der Zeit des Streiks noch versorgt werden. Dringende Fälle können gemeldet werden und bei Bedarf werden Streikende in den Dienst geschickt, um Patient*innen nicht zu gefährden. Doch gerade in den überregionalen, aber auch in den lokalen Medien findet man Berichterstattungen über im Stich gelassene Patient*innen. Vorbei die Zeit in denen meine Kolleg*innen interessiert an den Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte waren, denn in dem Punkt übernehmen sie das Narrativ der Arbeitgeber.

Die hätten dem Streik aus dem Weg gehen können, indem sie schon davor innerhalb des 100-tägigen Ultimatums auf die Forderungen eingegangen wären. Und sie müssen auch jetzt nicht vor Gericht ziehen, sondern könnten den Streik jederzeit mit einer Einwilligung zum Tarifvertrag beenden. Denn Patient*innen werden durch Unterversorgung und Überarbeitung gefährdet, auch langfristig, nicht durch den aktuellen Streik.

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