Ein Mops in Menschengestalt, bekleidet mit Hoodie und Sonnenbrille, räkelt sich über den Köpfen an einem Gebäude am Times Square. Auf seinem schneeweißen Hoodie steht in schwarzen Lettern „Fortnite“. Das Videospiel des US-Unternehmens Epic Games ist mit rund 40 Millionen Spieler:innen monatlich und mehreren Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr eines der erfolgreichsten weltweit. Der Mops, genannt Doggo, ist das Maskottchen von Fortnite und trägt einen Pulli von Balenciaga. Für die spanische Edelmarke rührte schon die Hyper-Influencerin Kim Kardashian die Werbetrommel. So fläzt sich der Hund in einer gigantischen 3D-Installation in den Geld-Capitals dieser Welt: New York, London, Seoul und Tokio. Die gigantische Doggo-Kampagne ist der
Dresscode für Super Mario: Luxusmode in der Gamingbranche – Was steckt dahinter?
Gaming In jüngster Zeit boomen die Kooperationen zwischen Fashion- und Games-Industrie. „Die Sims“ hatten mit dem Add-on „H&M Fashion Stuff“ schon 2007 begriffen, wie der Modehase läuft
Nora Beyer
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Luxusspielchen: Doggo, das Maskottchen des Computerspiels „Fortnite“, modelt für eine Edelmarke
Foto: Epicgames
er eindrückliche Startschuss einer Kooperation zwischen dem Luxus-Label Balenciaga und der Games-Welt.Zeitgleich wird die Billboard-Werbung auch in den virtuellen Städten von Fortnite geschaltet. Der Clou: Das Spiel ist grundsätzlich kostenlos. Umsatz wird über Ingame-Käufe generiert. Und hier lockt das große Geld. Über die spieleigene Währung „V-Bucks“, die mit Echtgeld erworben werden muss, lässt sich die Optik der Spielfigur durch den Kauf sogenannter „Skins“ individuell anpassen. Dabei sind die Anpassungen rein kosmetischer Natur, Vor- oder Nachteile haben die Spielenden durch die Items nicht – anders als in klassischen Rollenspielen, in denen Rüstungen, magische Mäntel und andere Kleidungsstücke Bonus oder Malus für die Fertigkeiten der Spielfigur sein können. Die Umrechnungsrate bei Fortnite: 100 V-Bucks bekommt man für rund einen Euro. Skins kosten zwischen acht und 20 Euro. Bei der limitierten Balenciaga-Kollektion ist man für rund 14 Euro pro Skin dabei. Kauft man in der realen Welt ein Kleidungsstück aus der Fortnite-Kollektion – was sich allerdings nur die wenigsten leisten können dürften, kostet der schneeweiße Hoodie mit simplem Logo-Print doch rund 600 US-Dollar –, bekommt man einen Freischaltcode für das Kleidungsstück im Spiel.In jüngster Zeit boomen die Kooperationen zwischen Fashion- und Games-Industrie. Vorreiter sind Spiele wie die Lebens-Simulation Die Sims, die mit dem Add-on „H&M Fashion Stuff“ schon 2007 begriff, wie der Modehase laufen würde. 2015 verkündete das Fashionlabel Louis Vuitton, dass das Supermodel für seine Frühjahrskollektion Lightning sein wird – die Heldin mit dem rosa Haar aus dem Action-Adventure Final Fantasy XIII. Mittlerweile gibt es kaum einen großen Spielenamen, der nicht irgendeine Mode-Kooperation im Portfolio hat – und umgekehrt.Lacoste tut sich mit Minecraft zusammen. Fortnite kooperiert neben Balenciaga auch mit Polo Ralph Lauren. Das Fashionlabel MJB, das schon Superstars wie Drake und Jay-Z einkleidete, arbeitet seit neuestem mit Blizzards Overwatch 2 zusammen. Marc Jacobs und Valentino mischen bei Animal Crossing mit – einem besonders in Japan extrem populären Simulationsspiel.Die Gen Z will es soDer Sportartikel-Hersteller Puma verkündete im März 2023 seine brandneue Kollaboration mit Final Fantasy XIV – pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum des Spiels. In der Pressemeldung steht: „Krieger des Lichts werden bald in der Lage sein, sich von Kopf bis Fuß in einer breiten Auswahl an Stilen und Kleidungsstücken zu projizieren.“ Die Modeindustrie hat das Potenzial von Spielen als Werbeplattformen erkannt. Und alle springen auf den Zug auf. Die Gründe dafür sind vielfältig.Einige davon nennt Christian Bruns. Er hat die Professur für Digitale Grundlagen Modedesign und 3D-Modedesign-Prototyping an der Hochschule Trier inne. „Im Bereich der Bekleidung hat die Modeindustrie nicht mehr viel Wachstumspotenzial“, so Bruns. „Sehr viel Kleidung, gerade im Fast-Fashion-Bereich, wird sogar unverkauft vernichtet.“ Da kämen die digitalen Welten gerade recht. „Der Markt für Computerspiele ist riesig – wesentlich größer etwa als die Filmindustrie – und wachsend. Der Verkauf im Bereich Gaming funktioniert nicht mehr im klassischen Sinne, dass ein Spiel gekauft, genutzt und dann weggelegt wird. Die Spieler konsumieren während des Spielens und kaufen sich in teilweise endlosen Online-Welten Kostüme, Accessoires und mehr. Daher verspricht man sich dort ein lukratives Geschäft mit virtueller Bekleidung und Accessoires“, so Bruns.Zusätzliche Dimensionen digitaler Verkaufswelten biete der wachsende E-Sport-Markt mit rund 500 Millionen Zuschauer:innen weltweit und einem entsprechenden Potenzial für Merchandising-Produkte und Fan-Artikel. Und auch im Metaverse gebe es Möglichkeiten, virtuelle Kleidung zu vermarkten. „In einigen Bereichen gibt es virtuelle Businessmeetings oder andere gesellschaftliche Events“, so Bruns. „Viele Nutzer werden da nicht jeden Tag dasselbe Outfit tragen wollen, und ich kann mit Marken Status zeigen.“Das Zauberwort: Gen Z. Also die Generation, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurde und bereits als Digital Natives aufwuchs und sozialisiert wurde. Für diese Kohorte ist die Grenze zwischen analogem und digitalem Leben nicht mehr trennscharf. „Digital“ ist für die, die mit Games, Tablet und iPhone aufgewachsen sind, nur ein anderes Wort für Realität. In dieser Logik ist der Avatar, also die eigene Spielfigur, nicht einfach nur ein digitaler Spielstein, sondern eine Verlängerung des eigenen Selbst. Wenn Mode ein Vehikel dafür ist, sich als Mensch auszudrücken, dann sind es Spiele allemal. Die Verbindung zwischen beiden ist also naheliegend.„Niemand will aussehen wie aus der Retorte“Ingeborg Harms, Professorin für Designtheorie an der Universität der Künste Berlin, bringt es auf den Punkt: „Mode war immer Theater und hat der Lust an der Selbstikonisierung gedient. Diese Dimension bleibt ihr auch in den Online-Spielen erhalten.“ Zugleich umgingen die Spielenden den Stress, sich selbst in Form zu bringen. Sie würden zur Kunstgestalt – „nur eben ohne den Aufwand“, so Harms. Niemand will aussehen wie aus der Baukasten-Retorte. Bei Spielen wie Fortnite, Roblox und Co. gehört es mit dazu, seine Spielfigur zu individualisieren – auch um den Preis bezahlter Upgrades.Für die Modehäuser ergeben sich neben der Erweiterung des Kundenstamms viele Vorteile. Einer davon: Die aufwendige und kostenintensive Herstellung, die tektonischen Verschiebungen in den Märkten Chinas und der aufgelösten Sowjetunion und die kommerzielle Neuorientierung stellen die Fashionindustrie seit langem vor vielfältige Probleme. „Was kann der Mode da Besseres passieren als Online-Spiele, in denen sie nur noch Puppen anzieht?“, meint Ingeborg Harms. „Im virtuellen Raum wird die Kleidung nicht mehr dem Körper, sondern er der Kleidung angepasst.“Die Veränderung ist enorm: „In bisher ungeahnter Weise kann sich die Modeindustrie nun reinen Idealen widmen, ohne kostenintensive Investitionen in Handwerk und Material. Der digitale Zeichenstift übernimmt die Arbeit“, so Harms. Das ist durchaus kritisch zu sehen: „Damit ist die Mode vom materiellen Widerstand befreit, der sie zwar behindert, aber auch produktiv herausgefordert hat. Diese Entwicklung lässt den Beruf des Modedesigners mit dem des Cartoon-Schöpfers verschmelzen.“Für Modedesigner und Gamer Daniel Masion ist vor allem der verrückte Fokus problematisch: „Von Anfang an war es für Gamer ein Highlight, einen eigenen Charakter zu erschaffen und mit diesem ein Abenteuer zu bestreiten.“ Der Luxemburger hat das Modelabel „Liebe“ gegründet, in dem er alte Klamotten kreativ neu gestaltet. „Eigentlich wundert es mich schon etwas, wie lange der Mainstream gebraucht hat, um Spiele als das perfekte Werbemedium zu erkennen“, sagt er. Schon frühe Games wie Tony Hawk’s Pro Skater, das erstmals 1999 erschien, seien vollgepackt mit lizenzierten Markenklamotten und Accessoires. „Doch anders, als es heute oft ist, handelt es sich hier ausschließlich um Brands, die auch richtige Skater trugen – das machte also einfach Sinn“, so Masion. Das werde heute seltener.Entwicklung sei auch positiv„Meiner Meinung nach gibt es immer mehr Beispiele für schamlose Werbung und Kollaborationen in Videospielen, die null Bezug zum Spiel selbst und zum Spieler haben“, kritisiert Masion. „Da ist das einzige Motiv, neue Kunden zu erschließen und mehr Geld zu verdienen.“ Dies gelänge, indem die rein kommerzielle Bindung zwischen Mode, Produkt und Videospiel überhöht werde: „An Kinder und Spieler wird das als etwas Größeres verkauft.“ Man erwirbt nicht nur ein branded Shirt, sondern damit eine ganze Identität. Wer einen Turnschuh kauft, wird plötzlich zum „Krieger des Lichts“ – wie bei der Kollaboration zwischen Puma und dem Spiel Final Fantasy.Christian Bruns sieht die Entwicklung auch positiv: „Mittlerweile wird in der Modeindustrie sehr viel 3D-animiert entworfen. Dadurch entstehen lebensecht wirkende Modelle, die etwa auch für die Produktbebilderung in Online-Shops genutzt werden und immer mehr klassische Fotoshootings ersetzen“, erklärt der Professor von der Hochschule Trier.Ohne viel Mehraufwand könne man diese digital existierende Mode dann online verkaufen, und das theoretisch endlos – ohne dass Energie oder Geld in Produktion und Logistik gesteckt werden müssten. Dass es dafür einen Markt gibt, beweisen nicht nur sämtliche Games-Mode-Kollaborationen. „Ich hatte auch schon eine Absolventin, die als Erste bei mir in Trier nur noch virtuell gearbeitet hat und nebenbei in diversen Online-Shops ihre virtuelle Mode verkaufte“, erzählt Bruns. „Bei unserer Abschlussmodenschau hat sie ihre Kollektion virtuell gezeigt und hatte am selben Abend noch drei Jobangebote namhafter Unternehmen.“ Die Modebranche befinde sich derzeit in einem „Zeitenwechsel“ – der Bedarf an Modedesigner:innen, die 3D-animieren können, sei enorm.Ewig wird der Hype aber wohl nicht weitergehen. Schon jetzt bauen sich laut Digitaldesign-Experte Christian Bruns im Bereich virtueller Mode riesige Archive auf, die das Fass irgendwann zum Überlaufen bringen werden. „Wir werden eine Flut virtueller Kleidungsangebote haben, sodass man damit kaum noch etwas verdienen kann und die virtuellen Kleidungsstücke für Centbeträge erhältlich sein werden.“ Profit ließe sich dann vor allem mit speziellen Kooperationen, exklusiven Marken oder in Verbindung mit NFTs, also einzigartigen digitalen Vermögenswerten, machen.Auf den ersten Blick erscheint die virtuelle Mode klimafreundlicher als echte Klamotten, weil sie gar nicht real produziert wird. Nur: Schnell treten wieder neue Probleme auf. Die Erzeugung von NFTs etwa erfordere, so Bruns, unheimlich viel Energie und sei damit sehr umweltbelastend. Als Allheilmittel für eine gesättigte und von Fast Fashion geprägte Modewelt taugt der digitale Fashionraum also kaum.