Deutsches Geld für Radwege in Peru? Der große Irrtum beim Reden über Entwicklungspolitik
Internationale Zusammenarbeit Deutschland verschwende Millionen Euro für Radwege in Peru, die im eigenen Land fehlen – kaum eine Debatte zeigt besser die Denkfehler des globalen Nordens, wenn es um Entwicklungspolitik geht
Ein junger Radfahrer in der peruanischen Stadt Trujillo
Foto: Sergi Reboredox/Imago/VWPics
Entwicklungspolitik interessierte in Deutschland lange Zeit nur wenige. Symptomatisch für dieses Desinteresse stellte beispielsweise die UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) zu Beginn der 2000er Jahre die Präsentation des gewichtigen „Trade and Development Reports“ in Deutschland ein, da sich vonseiten der Presse und Politik niemand dafür interessierte. Bisweilen verirrte sich in der Bundespressekonferenz ein einziger Journalist, sodass es der Mühe nicht wert war, einige der wichtigsten ökonomischen Entwicklungen in den Ländern des globalen Südens hierzulande vorzustellen.
In den vergangenen Wochen fand sich das Thema Entwicklungspolitik allerdings im Kreuzfeuer des Kulturkampfes wieder: Gerade bei angespannter Haushalt
r Haushaltslage sei es nicht zu verantworten, dass die Bundesregierung Milliarden in der Welt verteile. Wer braucht schon Radwege in Peru? Immerhin sollen dabei 315 Millionen Euro öffentlicher Gelder für ein solches Projekt „verschwendet“ worden sein, „allein mit dem Geld für Radwege in Peru und ein paar Groschen drauf“ hätte die Ampelregierung die Bauern befrieden können, schrieb etwa Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Die niedrige Priorität für wirtschaftliche Entwicklung zeigte sich in der Folge auch im Haushalt, denn entsprechend hart waren die Einschnitte im Bundesministerium für Entwicklung und Internationale Zusammenarbeit (BMZ): über 900 Millionen Euro weniger als 2023 stehen der Bundesministerin Svenja Schulze (SPD) für 2024 zur Verfügung. Im Vergleich zu 2022 sind es sogar zwei Milliarden Euro weniger.Überhaupt, diese Radwege in Peru. Leider steht nichts so bezeichnend für das Niveau der Debatte wie diese Radwege. Diese Kritik betrifft gleich mehrere Ebenen. Zunächst ist die genannte Zahl von 315 Millionen falsch, denn die Zusagen für Zuschüsse belaufen sich auf 44 Millionen Euro, von denen 20 Millionen Euro bereits von der Großen Koalition gebilligt wurden. Weitere 155 Millionen Euro wurden als Kredite bereitgestellt. Doch selbst abgesehen von den falschen Zahlen ist der Verweis auf die Radwege irrelevant, denn ein einziges Projekt sagt nichts über die Angemessenheit oder Unangemessenheit der entwicklungspolitischen Ausgaben aus. Um zu einer sachlichen Einordnung zu gelangen, bedarf es einer systemischen Betrachtung – und tatsächlich: geht man über die Radwege hinaus, so ergibt sich schnell ein anderes Bild.Das 0,7-Prozent-ZielDer erste Schritt, um sich einer solchen Einordnung zu nähern, ist, die bestehenden Gesamtausgaben der Bundesregierung in Relation zum 0,7-Prozentziel zu setzen. Dieses Ziel besagt, dass die öffentliche Entwicklungshilfe (kurz ODA, aus dem englischen für Official Development Assistance) sich in den Staaten des globalen Nordens – in erster Linie der Mitglieder des Development Assistance Committee (DAC) der OECD –, auf insgesamt 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens belaufen soll. Daran bemisst sich international die Bereitschaft und Glaubwürdigkeit der reichen Länder, ihren entwicklungspolitischen Verpflichtungen nachzukommen.Die Zahl von 0,7 Prozent wurde im Jahr 1970 (nach langem Hin und Her in den 1950er und 1960er Jahren) von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Resolution 2626 (XXV) festgelegt. „Bis Mitte des Jahrzehnts“ wollten die Mitgliedsstaaten „einen Mindestbetrag von 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens erreichen“. Nach mehr als einem halben Jahrhundert fällt die Bilanz jedoch düster aus: Die allermeisten DAC-Staaten haben dieses Ziel nie erreicht. Lediglich 15 Staaten haben es geschafft, die Zielmarke mindestens einmal zu überschreiten. Deutschland gehört zu dieser Gruppe, wobei ein Sondereffekt dabei eine besondere Rolle spielte: 2016 – also mit 40-jähriger Verspätung – erreichte Deutschland zum ersten Mal den Schwellenwert von 0,7 Prozent, was allerdings ausschließlich auf die Versorgung von Flüchtlingen zurückzuführen war, die sich innerhalb der ersten zwölf Monate auf ODA anrechnen lässt – auch wenn dabei kein Cent vom globalen Norden in den Süden fließt. Vor 2016 bewegte man sich größtenteils zwischen 0,3 und 0,4 Prozent des Bruttonationaleinkommens. Nach 2016 fielen die Aufwendungen für ODA auf einen Wert zwischen 0,61 und 0,67 Prozent, bis die Marke von 0,7 Prozent 2020, 2021 und 2022 übertroffen wurde (2022 betrug der Anteil aufgrund der Hilfen für die Ukraine und die Flüchtlingsversorgung 0,83 Prozent). Der Durchschnitt der DAC-Staaten betrug 2022 lediglich 0,37 Prozent.Selbst bei diesen Zahlen ist jedoch Vorsicht geboten, denn seit 2018 gelten neue Regeln für die Berechnungen von ODA, die vom ursprünglichen „konzessionären Charakter“ abweichen. Auch vergünstigte Kredite zählen nun dazu, wobei der Anteil, der als ODA verbucht werden kann (das sogenannte „grant equivalent“) von der angenommenen Zinsrate bei der Berechnung abhängig ist. Je höhere Zinsen man annimmt, desto stärker kann man sich über die Vergabe „vergünstigter“ Kredite die eigene ODA-Leistung schönrechnen. So wurde von den DAC-Staaten beispielsweise bei Krediten nach China eine Zinsrate von sechs Prozent als Berechnungsgrundlage angenommen – in einer Zeit, als China sich Kredite für drei Prozent Zinsen am Markt besorgen konnte. Jedoch gingen die Darlehen der DAC-Staaten mit einem Zins von drei Prozent als Entwicklungshilfe in die Statistik ein, obwohl die Kreditgeber keinerlei finanzielle Abstriche machen mussten. Eine Analyse des Center for Global Development hat festgestellt, dass die DAC-Staaten auf diese Weise den Wert ihrer ODA-Darlehen um mehr als das doppelte aufgebläht haben – und so der Welt insgesamt bessere ODA-Zahlen präsentieren konnten.Zwar ist das 0,7 Prozentziel insgesamt – auch abseits der schwierigen Berechnungsmethoden – nicht frei von berechtigter Kritik und rechtlich nicht bindend. Doch ähnlich wie das Zwei-Prozent-Ziel der NATO gilt es als Benchmark. Während allerdings gerade letzteres Ziel eine enorm starke Lobby in der Öffentlichkeit hat, ist vermutlich den meisten Menschen kaum bewusst, dass es überhaupt ein 0,7-Prozent-Ziel für Entwicklungshilfe gibt. Andernfalls ist es nicht zu erklären, weshalb die angeblichen 315 Millionen Euro für Radwege in Peru eine solche Medienwirkung entfalten.Radwege erklären nicht die WeltGehen wir noch einen Schritt weiter, denn finanzielle Transfers sind keine Einbahnstraße: Ordnet man die internationale Entwicklungshilfe in die internationalen Kapitalströme ein, so verblassen die Summen, die vom globalen Norden in den Süden transferiert werden im Vergleich zu dem, was vom Süden aus in den Norden geht. Im Jahr 2022 mussten die Entwicklungsländer – also die Gruppe der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen – insgesamt 443,5 Milliarden US-Dollar für die Schuldentilgung aufwenden. Die ODA-Zahlungen der DAC-Staaten an die Entwicklungsländer beliefen sich hingegen auf insgesamt 211 Milliarden US-Dollar, wobei die Zahlungen an die Ukraine und die Versorgung der Flüchtlinge dieser Zahl im Vergleich zu 2021 einen erheblichen Schub versetzte. Nimmt man weitere Transfers finanzieller Ressourcen vom Süden in den Norden hinzu, wie beispielsweise Gewinnrückführungen transnationaler Konzerne oder Veränderungen der Devisenbestände, so ergaben sich über die vergangenen 20 Jahre insgesamt Nettotransfers von zwischen 500 Milliarden und eine Billion US-Dollar, die jedes Jahr (!) ihren Weg aus dem globalen Süden in den globalen Norden einschlugen.Der größte Posten bei den finanziellen Transfers aus dem globalen Süden in den Norden entfällt auf den Schuldendienst, von dem insbesondere der private Finanzsektor profitiert. Fast die Hälfte (48 Prozent) der Schuldendienstzahlungen geht an private Anleihegläubiger, die zumeist im globalen Norden sitzen. Multilaterale Entwicklungsbanken (18 Prozent), wie zum Beispiel die Weltbank, und der Pariser Club (14 Prozent), ein informelles Gremium reicher Gläubigerstaaten, die in den Verhandlungen zur Schuldenumstrukturierung oft eine Vermittlerrolle einnehmen, machen deutlich kleinere Anteile aus. Auf China entfallen lediglich sieben Prozent.Die Verschuldung der EntwicklungsländerAllein die Schuldentilgung verschlingt damit mehr als doppelt so viel Geld, wie an Entwicklungshilfe insgesamt ausgezahlt wird. Ein Klischee, dessen sich gerne im Norden bedient wird, ist, dass die Regierungen der Staaten des globalen Südens eben nicht mit Geld umgehen können – und die Schuldenlast genau deswegen dort so hoch ist. Doch auch dieses Klischee hat mit der Realität nichts zu tun. In der Tat liegt die öffentliche Verschuldung in den Entwicklungsländern im Schnitt bei 68,3 Prozent des BIP, und damit nur knapp über dem Schuldenstand der Bundesrepublik (66,4 Prozent). Je niedriger die Einkommensklasse, desto geringer ist derzeit sogar der Stand der öffentlichen Verschuldung: bei den ärmsten Ländern der Welt, den sogenannten Least Developed Countries (LDCs), beträgt die öffentliche Verschuldung gerade einmal 50,8 Prozent. Bei der breiter gefassten Gruppe der Low-Income Countries (LICs) liegt das Niveau bei 56,8 Prozent. Zum Vergleich: Die entwickelten Staaten liegen im Schnitt bei 109,2 Prozent des BIP. Trotz der niedrigeren Schuldenstände erdrücken die enorm hohen Zinszahlungen die Länder des globalen Südens: sie müssen durchschnittlich knapp acht Prozent ihrer Einnahmen für die Tilgung aufwenden, während sich die Tilgungen der entwickelten Staaten lediglich auf die Hälfte dessen – nämlich vier Prozent der Einnahmen – belaufen.Die hohen Zinslasten sind tendenziell auf zwei Faktoren zurückzuführen. Einerseits ermöglicht es eine dysfunktionale Währungs- und Finanzordnung den Entwicklungsländern nicht, zu günstigen und stabilen Bedingungen an Kapital zu kommen: um die Wechselkurse vor den Kapriolen der internationalen Finanzmärkte zu schützen, werden häufig die lokalen Währungen in einem festen Wechselkurs zum US-Dollar oder Euro gesetzt. Der primäre Hebel, über den die Zentralbanken den Wechselkurs verteidigen, ist der Zins. Da die Liquidität der Währungen der Länder des globalen Südens auf den Kapitalmärkten gering ist und die Zentralbanken eine möglichst hohe Glaubwürdigkeit kommunizieren wollen, werden oft exorbitant hohe Zinsniveaus gesetzt, die die Wirtschaft abwürgen und Entwicklung unmöglich machen. In Afrika beispielsweise sind Realzinsen im zweistelligen Bereich keine Seltenheit, sodass man sich weitere Ursachenforschung über Armut ersparen kann.Andererseits gibt es den Fall, dass in den Entwicklungs- und Schwellenländern die Inflationsraten höher sind, häufig verursacht durch exogene Schocks, wie beispielsweise Naturkatastrophen (Dürren und Fluten) oder Kapitalflucht (zum Beispiel aufgrund einer Zinswende in den USA). Diese sorgen für einen Cocktail aus Vertrauensverlust in die lokale Währung, rapiden Abwertungen (und damit steigenden Importpreisen und höheren Ausfallrisiken bei Auslandsschulden), und hohen nominalen Lohnforderungen. Dies wiederum hat eine inflationäre Dynamik zur Folge, die von den Zentralbanken mit hohen Zinsen bekämpft wird. Angesichts der Problemursachen ist diese Art der Geldpolitik jedoch ebenfalls kontraproduktiv und der wirtschaftlichen Entwicklung alles andere als zuträglich.Eine globale ZentralbankGrundsätzliche Reformen der internationalen Währungs- und Finanzordnung könnten dem Treiben Einhalt gebieten und die Zinskosten stark senken. Stabiler und günstiger Zugang zu Kapital – abgesichert durch eine Art globaler Zentralbank (eine Rolle, die auch ein reformierter Internationaler Währungsfonds (IWF) übernehmen könnte) – würde die Risikoaufschläge deutlich verringern, die endlose und verzweifelte Jagd nach Devisen beenden, und die Krisenbewältigung finanziell absichern. Zugleich würde es den Ländern des globalen Südens ermöglichen, über Investitionen beispielsweise in ihre Infrastruktur resilienter zu werden. Bei Klimaschocks wäre man weniger anfällig für Knappheiten, Inflationsschübe und daraus resultierende Lohn-Preis-Spiralen. Dasselbe gilt für Währungsschocks. Geordnete Auf- und Abwertungen durch koordinierte Eingriffe auf den Devisenmärkten durch die Zentralbanken würden verhindern, dass eine Zinswende in den USA eine Kapitalflucht aus dem Süden und damit eine Abwertungsspirale in Gang setzt, die mit Zinserhöhungen bekämpft werden würde. Durch solche systemischen Reformen könnte man den Ländern des globalen Südens im Handumdrehen Vorteile verschaffen, die weit über den Wert der Entwicklungshilfe hinausgehen, ja letztere sogar obsolet machen würden.Da es jedoch kein geordnetes globales Finanz- und Währungssystem gibt, multilaterale Reformansätze regelmäßig aus dem globalen Norden torpediert werden, und sowohl ODA als auch das öffentlich bereitgestellte Volumen der vergünstigten Kredite nicht annähernd ausreichen, um die Kapitalbedarfe zu decken, werden die Länder des globalen Südens weiterhin den internationalen Kapitalmärkten ausgeliefert. Und dort, wo der Privatsektor als eine Art lender of last ressort reingeht, wird es richtig teuer.Entwicklungshilfe ist niemals ein Free LunchHalten wir also fest: weder wird Entwicklungshilfe großzügig im Rest der Welt verteilt, noch findet bei einer systemischen Betrachtung überhaupt ein Ressourcentransfer vom Norden in den Süden statt. Vielmehr müssen die Entwicklungsländer jedes Jahr gewaltige Finanzvolumina aufbringen, die primär an die reichen Industriestaaten transferiert werden. In dem Zusammenhang wäre eine Ausweitung von ODA hilfreich, um wenigstens einen kleinen Teil dieser Ungerechtigkeit und der institutionsökonomischen Schieflage zu korrigieren.Doch selbst, wenn Entwicklungshilfe ausgeweitet werden würde, darf ein dritter Aspekt nicht vergessen werden: ODA ist ein wirkungsvolles Druckmittel, mit dem die Geberstaaten die Entscheidungen der ärmeren Länder beeinflussen können – weshalb Entwicklungshilfe als Konzept in der Literatur auch kritisch gesehen und von den Ländern des globalen Südens als eine bittere Pille hingenommen wird, die es mangels kurzfristiger Alternativen zu schlucken gilt. Was China derzeit explizit vorgeworfen wird, nämlich, Entwicklungshilfe zu instrumentalisieren, ist seit Jahrzehnten gängige Praxis der Industriestaaten (und letztere regieren gerade über die Kredit- und Projektvergabe der multilateralen Institutionen noch viel tiefer in die Geschicke der Länder hinein).Die Art der Instrumentalisierung von ODA kann dabei verschiedene Formen annehmen. Die empirische Forschung zeigt beispielsweise, dass Sanktionen bei Entwicklungshilfen sehr selektiv eingesetzt werden: werden Menschenrechte verletzt, so werden Entwicklungsgelder bei nicht-alliierten Staaten schneller gekürzt als bei den eigenen Verbündeten. Sofern Entwicklungsländer temporär einen höheren politischen Einfluss bekommen, helfen die reichen Staaten ebenfalls gerne nach, um ihre geopolitischen Interessen zu untermauern: so zeigt die Forschung, dass Entwicklungsländer, die einen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhalten, für die Zeit ihrer Mitgliedschaft einen substanziellen Anstieg an Hilfsgeldern verzeichnen. Auch über die multilateralen Entwicklungsinstitutionen wie den IWF, die Weltbank oder Asiatische Entwicklungsbank, üben die jeweiligen Anteilseigner politischen Druck aus. Um nur eines von unzähligen Beispielen zu nennen: Als Zimbabwe zu Beginn der 2000er Jahre einen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhielt und im Anschluss auch nur eine einzige Resolution der USA gegen den Irak nicht unterstützen wollte, drohte man dem Land damit, die gefürchtete Konditionalität bei der Auszahlung der nächsten Tranchen der IWF-Kredite zu verschärfen. In der Folge unterstützte Zimbabwe im UN-Sicherheitsrat elf Resolutionen gegen den Irak. Auch bei den Resolutionen der Gegenwart, die den westlichen Staaten viel bedeuten – wie beispielsweise den Resolutionen der Generalversammlung zum Ukrainekrieg – wird hinter den Kulissen hoher diplomatischer Druck ausgeübt, um das Abstimmungsverhalten der Länder des globalen Südens zu beeinflussen.Politisch motivierte EntwicklungshilfeAndersherum kann politisch motivierte Entwicklungshilfe für manche Länder auch von Vorteil sein. IWF-Kredite an alliierte Entwicklungsländer (gemäß des Stimmverhaltens in der Generalversammlung der Vereinten Nationen) gingen in der Vergangenheit mit weniger Bedingungen einher als Kredite an nicht-alliierte Staaten. Auch in der Geopolitik spielt und spielte ODA eine wichtige Rolle: Die Tigerstaaten beispielsweise erhielten während des Kalten Krieges eine enorme Summe an Hilfsgeldern, was dem Ziel der Eindämmung des Einflusses der Sowjetunion diente. Umgekehrt engagierte sich die Sowjetunion in der „Dritten Welt“, um ihren Einfluss dort auszubauen. Während des Kalten Krieges ergab sich ein regelrechter Wettlauf zwischen den Blocks, um die Einflusssphäre des jeweils anderen durch ODA zu senken – und mit dessen Ende kollabierten die Hilfszahlungen in den 1990ern. Entwicklungshilfe war deshalb niemals ein „Free Lunch“ oder eine reine Wohltat und ist es auch heute nicht.Aus einer Vogelperspektive sehen wir, dass in Fragen der Entwicklungshilfe der Verweis auf Radwege in Peru deutlich zu kurz kommt. Zwar wäre die rationale Antwort auf die Kritik idealerweise eine Initiative für einen Neustart des Multilateralismus, der die klassische ODA überflüssig macht. Doch daran zeigt derzeit keine Seite auch nur ansatzweise ein Interesse. Stattdessen dominieren kurzfristige Macht- und Partikularinteressen das Verhalten der Nationalstaaten – just in jener Zeit, in der internationale Zusammenarbeit mehr denn je gebraucht wird. Unter solchen Umständen ist ODA – trotz all der negativen Aspekte – ein elementar wichtiger Bestandteil, um den Ländern des globalen Südens die Möglichkeit zu geben, die kurzfristigen Auswüchse eines ökonomisch dysfunktionalen (und zutiefst ungerechten) Systems ein wenig abzumildern – was langfristig auch in unserem ureigenen Interesse läge.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.