„Hyperinflation nimmt kein Experte ernst“

Interview Florian Kern erwartet keine große Geldentwertung und kann das für Laien gut erklären
Ausgabe 34/2021
„Hyperinflation nimmt kein Experte ernst“

Foto: Nikita Teryoshin für der Freitag

Sie ist ein deutsches Schreckgespenst: die Inflation! Dabei läuft die Debatte darüber sehr oft sehr verquer, gerade die lautesten Warner haben oft am wenigsten Ahnung. Florian Kern hat früher für die Bundesbank gearbeitet, heute versucht er, Licht in die geldpolitische Debatte zu bringen.

der Freitag: Herr Kern, die Inflationsrate ist im Juli mit 3,8 Prozent auf den höchsten Stand seit 1993 geklettert. Kommt jetzt die große Geldentwertung?

Florian Kern: Ich denke nicht. Bei den 3,8 Prozent im Juli 2021 handelt es sich um einen Basiseffekt: Die Inflation wird ja immer im Vergleich zum selben Monat des Vorjahres angegeben. Nun war erstens im Juli 2020 die Inflation negativ, zweitens wurde damals die Mehrwertsteuer abgesenkt, die inzwischen wieder erhöht wurde, und drittens haben sich die Energiepreise, die wegen Corona im Keller waren, wieder erholt. Wenn wir den Juli 2021 mit dem Juli 2019 vergleichen, dann haben wir im Schnitt pro Jahr eine Inflationsrate von 1,8 Prozent.

Wie bitte? Man hört doch neuerdings, dass sogar das Risiko einer Hyperinflation wie in den 1920erJahren gestiegen sei?

Es gibt in Deutschland immer wieder Stimmen, die vor einer Hyperinflation warnen, die aus den stark gewachsenen Notenbankbilanzen und den Ankaufprogrammen entstehen könnte. Das ist aber ein Argument, das in der Fachwelt niemand ernst nimmt: Weil es einem Fehlverständnis von Geldpolitik geschuldet ist.

Sie meinen, derartige Warnungen kommen von Leuten, die sich beim Thema Inflation nicht wirklich auskennen?

Wenn wir vergleichen: Wir haben in der Medizin derzeit Leute wie Sandra Ciesek oder Christian Drosten, die in der Öffentlichkeit auf sehr hohem Niveau virologische Fragen diskutieren. So etwas gibt es in der Geldpolitik so nicht. Dort haben wir oft den Typus des Universalökonomen, der zum Arbeitsmarkt, zur Geldpolitik, zu Staatsanleihenmärkten und zur Energiewende gefragt wird und sich dazu äußert. Aber diese Universalökonomen neigen leider dazu, manche Entwicklungen auf Gebieten, die nicht ihr Fachgebiet sind, nicht mitzubekommen.

Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Hans-Werner Sinn gar kein Virologe ist?

Falls Hans-Werner Sinn vor einer Hyperinflation warnt aufgrund der geldpolitischen Ankaufprogramme des Eurosystems, dann, würde ich sagen, hat er sehr viel verpasst in der geldpolitischen Forschung der vergangenen Jahre.

Auf Sinn kommen wir noch mal zurück. Aber gibt es nicht doch eine Art Post-Corona-Inflation? Wenn der aufgeschobene Konsum sich entlädt, das Angebot aber kleiner als die Nachfrage ist, dann steigen doch die Preise?

Das ist in einzelnen Teilmärkten sicher so, wo wir es mit Knappheiten im Angebot zu tun haben, etwa im Tourismus oder bei den Mietwagen. Aber Tourismus ist kein entscheidender Teil des Preisindex. Und für viele Produkte gibt es keine Flaschenhälse im Angebot. Wenn jetzt mehr Bier getrunken wird, wird auch mehr gebraut, das wird nicht zur Inflation führen.

Zur Person

Florian Kern, 34, ist beruflich eigentlich ein „Eigengewächs“ der deutschen Bundesbank, auf deren Hochschule er sein Diplom in Zentralbankwesen erworben hat. Danach studierte er in Maastricht Finanzmarktökonomie und arbeitete für die Bundesbank in New York. Er war Referent im Wirecard-Untersuchungsausschuss und beriet die Grünen zeitweise in finanzmarktpolitischen Fragen. Derzeit arbeitet er als Direktor bei der Denkfabrik „Dezernat Zukunft“ in Berlin.

Bei manchen Rohstoffen gibt es derzeit krasse Preissprünge, etwa bei Holz oder Kupfer.

Ja, einzelne Teilbereiche, einzelne Güter oder Dienstleistungen werden gerade deutlich teurer. Aber Inflation bedeutet ja eine Erhöhung des gesamten Preisniveaus, und das sehen wir nicht.

Vielleicht sollten wir auch noch mal klarstellen, dass eine Geldentwertung von ein paar Prozent ein wichtiger Anreiz für Konsumenten ist, Geld nicht zu horten, sondern auszugeben, und sie dadurch die Wirtschaft am Laufen halten. Nun geht es bei der Inflation vor allem um die Erwartungen, wie die Inflation sich entwickeln wird. Wie funktioniert das?

Diese Erwartungen sind stark getrieben von der Vergangenheit. Wenn die Inflation letztes Jahr bei zehn Prozent lag, dann wird eine Gewerkschaft nicht mit einer zweiprozentigen Lohnforderung in die nächste Lohnrunde gehen. Deswegen ist es sehr schwierig, von hohen Inflationsraten runterzukommen, wenn diese sich einmal festgesetzt haben. Umgekehrt ist es aber genauso: Wir haben aktuell keine zweistelligen Lohnabschlüsse, weil die meisten davon ausgehen, dass die Inflation nah am Inflationsziel der EZB liegen wird.

Es war sogar längere Zeit so, dass wir zu wenig Inflation hatten, dass also das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent pro Jahr verfehlt wurde. Woran lag das?

Das ist die goldene Frage der Geldpolitik: Woran liegt es, dass wir trotz Niedrigstzinsen unser Inflationsziel nach unten verfehlt haben? Ich würde sagen, ein Grund ist der demografische Wandel. Wenn wir mehr Menschen haben, die bald in Rente gehen und deswegen vorsorgen, führt das dazu, dass es in Deutschland, aber auch im Rest der westlichen Welt, eine erhöhte Bereitschaft zu sparen gibt. Das hat Auswirkungen auf den sogenannten natürlichen Zins, der ja durch Angebot und Nachfrage getrieben ist. Wenn wir uns Ersparnisse auf der einen Seite als Kapitalangebot vorstellen und auf der anderen Seite die Nachfrage nach Krediten, vor allem von Unternehmen, dann sinkt der natürliche Zins, wenn das Angebot steigt.

Was man manchmal als „säkulare Stagnation“ bezeichnet …

Ja, dazu braucht es aber noch etwas Zweites: Eine sinkende Bereitschaft zu investieren. Wenn Sie sich die derzeit größten Unternehmen anschauen, das sind alles Digitalkonzerne, die keinen großen Investitionsbedarf haben, sondern vielmehr auf riesigen Bargeldbeständen sitzen. Wenn der natürliche Zins, den wir eben beschrieben haben, nun so weit absackt, dann führt das dazu, dass die EZB das Gaspedal zwar voll durchdrückt und den Leitzins absenkt, um die Inflation anzukurbeln, aber trotzdem ihr Ziel verfehlt.

Nun gibt es Leute, die kommen mit der monetaristischen Bauernregel: Die Ausweitung der Geldmenge führt zu Inflation. Zuletzt wurde die Geldmenge extrem ausgeweitet, trotzdem blieb die Inflation niedrig. Warum?

Wir müssen da verschiedene Geldmengen unterscheiden. Nehmen wir die Geldmenge M3, die aus Bargeld, Krediten und Kundengeldern bei Banken besteht, die ist nicht stark gestiegen. Was aber viele Leute dazu veranlasst, vor einem Anstieg der Inflation zu warnen, ist die Ausweitung der Geldbasis, also des Zentralbankgeldes, das direkt durch die Zentralbank geschaffen wird. Früher, und das steht so auch noch in alten Lehrbüchern, sprach man von einem Geldmengenmultiplikator: Wenn die Zentralbank Geld ins System gibt, dann fließt dieses, noch mal multipliziert um den Geldmengenmultiplikator, als Kredit der Geschäftsbanken in die Welt hinaus. Das ist ein griffiges Konzept, aber es trifft nicht auf die Realität zu.

Warum nicht?

Weil die Kreditschöpfung der Banken heute nicht durch das Geld gesteuert wird, das die Zentralbank schafft, sondern in erster Linie durch Eigenkapitalregeln.

Thilo Sarrazin hat 2012 angesichts der expansiven Geldpolitik der EZB versprochen: „Wenn wir innerhalb der nächsten zehn Jahre keine starke Inflation bekommen, gebe ich mein Diplom als Bonner Volkswirt zurück und bin bereit, alles neu zu lernen.“

Es wäre zu wünschen, dass er sich nächstes Jahr demütig zeigt und einige Dinge neu lernt. Denn die Annahme, dass Anleihekäufe zu Hyperinflation führen, ist inhaltlich falsch. Nun muss man sagen: Die Art, wie Zentralbanken die Zinsen am Geldmarkt beeinflussen, hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Bis zur Finanzkrise 2008 haben Zentralbanken auf die Geldnachfrage so lange mit Geldschöpfung reagiert, bis die Zinsen da lagen, wo man sie haben wollte. Heute aber sagt die Zentralbank einfach: Unabhängig davon, wie viel Geld im Umlauf ist, zahlen wir auf die Einlagenfazilität, also die Konten der Geschäftsbanken bei uns, diesen Zins. Damit ist der Zins nach unten hin einbetoniert. So setzen wir heute Geldpolitik um. Deswegen gilt nicht mehr, dass mehr Geld automatisch zu niedrigeren Zinsen führt.

Wie schätzen Sie das langfristige Inflationspotenzial ein?

Nun, die meisten Beobachter, auch in Deutschland, gehen ja davon aus, dass der Markt die Dinge korrekt bepreist. Das einzige, wo manche aber annehmen, dass die Märkte völlig danebenliegen, ist die Inflation. An den Kapitalmärkten, also bei Leuten, die ihr eigenes Geld einsetzen, liegen die marktimpliziten Inflationserwartungen derzeit bei 1,6 Prozent für die nächsten zehn Jahre. Das heißt, der Markt geht davon aus, dass die EZB ihr Ziel unterschießt.

Auch der schon erwähnte Hans-Werner Sinn warnt vor Inflation. Zwar nicht unmittelbar, aber er sagt, wenn Inflation entstünde, dann könnte die EZB nicht mehr gegensteuern. Ich denke, er meint damit Folgendes: Die EZB könne nur reagieren, indem sie Staatsanleihen verkauft; das aber kann sie nicht tun, weil dann Staaten wie Italien große Probleme bekämen.

Nun, dass es schwierig ist, von Inflationserwartungen runterzukommen, wenn sie einmal sehr hoch sind, ist richtig. Aber warum sollten wir überhaupt in diese Situation kommen? Wenn Sinn sagt, dass die EZB nichts gegen steigende Inflationsraten tun kann, weil sie die Staatsanleihebestände aus politischen Gründen nicht verkaufen würde, dann ist das eine krasse Unterstellung. Er nimmt an, dass die Notenbanker ihr Mandat, das im EU-Vertrag steht, missachten und aus politischen Gründen rechtswidrig handeln würden. Dieser Vorwurf ist durch nichts gedeckt. Da steckt aber auch der Nationalchauvinismus drin, dass da alle Südländer unter einer Decke stecken, um den Deutschen ihr Geld abzunehmen. Dabei ist die Sache ziemlich simpel: Wenn es Anzeichen dafür gibt, dass die Inflation dauerhaft steigt, erhöht die EZB die Zinsen, fertig. Im schlimmsten Fall hat sie dann einen Marktwertverlust, weil die Anleihen in ihrem Besitz weniger wert sind. Aber sie bleibt handlungsfähig. Die Fed hat genau dies bereits vorgemacht.

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Geschrieben von

Pepe Egger

Ressortleiter „Wirtschaft“ und „Grünes Wissen“

Pepe Egger ist Redakteur für Wirtschaft, Grünes Wissen und Politik. Er hat in Wien, Paris, Damaskus und London studiert und sechs Jahre im Herzen des britischen Kapitalismus, der City of London, gearbeitet. Seit 2011 ist er Journalist und Reporter. Seine Reportagen, Lesestücke und Interviews sind in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. 2017 und 2019 wurden seine Reportagen für den Henri-Nannen- bzw. Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert. 2017 wurde Pepe Egger mit dem 3. Platz beim Felix-Rexhausen-Preis ausgezeichnet. Seit 2017 arbeitet er als Redakteur beim Freitag.

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