Blockierte Lenkung

Automobil Audi-Chef in U-Haft: Geht’s der Autoindustrie endlich an den Kragen? Leider nein. Merkel lässt die Verkehrswende versanden, Widerstand regt sich kaum
Ausgabe 26/2018
Dummy Bundesregierung
Dummy Bundesregierung

Foto: SSPL/Getty Images

Es gibt keinen Zweifel: Die Bundesregierung versucht gerade, die Verkehrswende in der Versenkung verschwinden zu lassen. Nach Dieselgate, drohenden Fahrverboten und einem EU-Vertragsverletzungsverfahren will sie wieder Ruhe haben – die für 2018 angekündigten Gipfel zum Thema finden nicht statt.

Noch nie in der Geschichte der BRD hat es eine Regierung gewagt, die versammelte Expertenschar bei einem solch wichtigen Thema quasi nach Hause zu schicken. Über 300 Fachleute aus Industrie, Wissenschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft hatte die Bundesregierung zu Autogipfeln versammelt, um Expertisen einzuholen. Vieles davon ist in den Schubladen des Bundesverkehrsministeriums verschwunden, der Rest wurde erst gar nicht erstellt, weil man auf eine konstruktive Auseinandersetzung nicht mehr zählt.

Das aber heißt: Die politische Steuerung wird weitgehend der Automobilindustrie überlassen, die selbst ratlos wirkt. Wie einst in der Finanzkrise: Da ließ man sich die Gesetze von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann diktieren, heute bestellt man Daimler-Boss Dieter Zetsche ein, um dann zu vollziehen, was VW, Audi und Porsche für nötig erachten: keine Diesel-Entschädigung, stattdessen Schnäppchen-Wettbewerb und fortgesetzten SUV-Wahnsinn. Das selbstfahrende Auto, die Wundertüte von Autoindustrie und Politik, fällt bei den Bürgerinnen und Bürgern glatt durch. Nur ein Fünftel kann sich laut Umfragen vorstellen, es zu kaufen – am meisten jene zwischen 18 und 34 Jahren, die es sich kaum leisten können. Autobauer, wacht auf! Die Menschen wollen eure teuren Spielzeuge nicht.

Die Verkehrswende-Versenkung hat aber auch ihre Dulder und Mitspieler. Die EU strengt ein Vertragsverletzungsverfahren wegen zu hoher Emissionswerte an, aber die Bundesregierung weiß, dass ein Urteil erst in vielen Jahren erfolgen wird. Die wichtige Entscheidung der Leipziger Richter zu den Fahrverboten liest sie so, dass diese kaum noch verhängt werden können.

Auch von den ermittelnden Staatsanwaltschaften zu Dieselgate hat die Bundesregierung wenig zu befürchten, selbst wenn sie amtierende Vorstandsvorsitzende wie jenen von Audi in Untersuchungshaft stecken. Die Staatsanwaltschaften sind in der Regel personell so schwach ausgestattet, dass ihre Aufklärungsarbeit noch Jahre dauern wird, also politikentschärfend wirkt. Das scheinbar kooperative Verhalten der Automobilindustrie gegenüber den Staatsanwaltschaften ist clever. Man zeigt Akten und E-Mail-Bestände – aber die sind so gewaltig, dass sie die wenigen Staatsanwälte auf Jahre beschäftigen. So hat VW alle staatsanwaltlichen Ermittlungen aus Braunschweig blendend überstanden. Eine Milliarde Euro Bußgeld zu verhängen, das ist ein preiswertes Ohnmachtszeichen.

Manager haben Vollkasko

Ob das Kartellamt Licht in die atemberaubenden Absprachen der Autoindustrie bringt, darf bezweifelt werden. Auch hier ist der Personaleinsatz so schmal bemessen, dass mit einem Bußverfahren nicht vor 2021 zu rechnen ist. Ohnehin können die Manager durchatmen, weil sie in der Regel beim AIG-Konzern derartig haftpflichtversichert sind, dass sie keinen Cent berappen müssen.

Bitter ist, dass die Bundesregierung sich eine solche Unverantwortlichkeit nur leisten kann, weil die Oppositionsparteien so schwach oder desinteressiert sind. Die Medien haben zwar haben einige Skandale akribisch an die Öffentlichkeit gezerrt. Der „Versenkungsprozess“ der Bundesregierung hingegen spielt kaum eine Rolle.

Bisher zahnlos agiert auch die Zivilgesellschaft. Es gibt zwar wichtige einzelne Beiträge von Greenpeace, Deutscher Umwelthilfe und anderen, aber übergreifende Kampagnen kommen nicht zustande. Auch die Verbraucherverbände spielen eine viel zu leise Rolle.

Es ist eine strukturelle Komplizenschaft von Politik, Automobilindustrie und Konsumenten, die durchbrochen werden muss, wenn eine wirkliche Verkehrswende mit weniger Autos und mehr Lebensqualität stattfinden soll. Das Nahziel: den Versenkungsprozess der Bundesregierung verhindern. Nicht nur empören, sondern den Mächtigen die rote Karte mit dem Mittel des zivilen Ungehorsams zeigen.

Peter Grottian ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der FU Berlin und Koordinator des Bündnisses Verkehrswende „Weniger Autos – Mehr Lebensqualität“

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