Ein Künstler, der genau hinschaut

Franz Wanner Ja, es gibt noch gesellschaftskritische Kunst, die sich nicht in dem Beschwören von dystrophischen Weltbildern erschöpft. Franz Wanners Arbeiten stehen dafür

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Lena Lauzemis in „Die Befragung“ – ein Einblick in das Innenleben des Schulungsorts des Bundesnachrichtendienstes
Lena Lauzemis in „Die Befragung“ – ein Einblick in das Innenleben des Schulungsorts des Bundesnachrichtendienstes

Foto: Franz Wanner

Wer kennt noch die Story von Heidrun Hofer? Sie war in den 1970er BND-Mitarbeiterin und hatte Sympathien für die Nazis. Damit war sie bei dem von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern gegründeten Organisation nun sozusagen unter Kamerad*innen. Deshalb war sie auch sehr gesprächig, als sich angeblicher Hans Puschke als Mitarbeiter einer Altnazi-Organisation „Überlebensträger“ vorstellte und geheime Informationen abgreifen wollte. Hofer gab sie dem vermeintlichen Kameraden problemlos. Doch als sich der vermeintliche Altnazi als KGB-Agent entpuppte und klar wurde, dass Hofers Informationen an die Sowjetunion gingen, sprang sie aus dem sechsten Stock des Landeskriminalamtes, überlebte aber schwerverletzt.

Erfahren kann mal diese längst vergessene Geschichte, die schon Stoff für einen Fernsehkrimi bot, in dem Katalog „Foes at the Edge of the Frame“, in dem die aktuellen künstlerischen Interventionen von Franz Wanner in Text und Foto dokumentiert sind. Franz Wanner ist das Pseudonym eines 1975 in Bad Tölz geborenen Künstlers, dessen Arbeiten in der Tradition einer Gesellschaftskritik steht, die aktuell nur selten zu finden ist. Das mag erstaunen, wo doch in den letzten Monaten in den Galerien verstärkt Werke mit gesellschaftskritischen Anspruch zu betrachten sind. Doch meistens geht es um die Klimathematik, um die Sichtbarkeit von immer neuen Identitäten. Da wird nur die aktuelle Debatte über die Klimaproblematik gespiegelt, nicht selten gepaart mit irrationalen Untertönen. Dystrophie statt Utopie könnte das Motto sein. Gesellschaftskritik hingegen findet sich kaum. Wanner hingegen macht seinen Arbeiten gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar. Dabei lehnt Wanner die modischen Etiketten vom investigativen Künstler ab. „Obgleich sein Prozess häufig erstaunliche Informationen hervorbringt, deckt der Künstler weniger auf, als dass er genau hinsieht und nachfragt“, fasst die Herausgeberin des Katalogs Stephanie Weber Wanners Arbeitsmethode zusammen. Im Katalog gibt es hierfür zahlreiche Beispiele. Die kurze Notiz zu Heidrun Hofer ist da ein gutes Beispiel. Sie ist ein Teil eines ganz besonderen Stadtplans von München, der auf dem Cover des Katalogs zu sehen ist. Dort sind Ziffern zu sehen, die die Adressen, Tarnbezeichnungen und Funktionen von geheimdienstlichen Einrichtungen in München kenntlich machen.

Dort ist mit der Eisenheimerstraße 21 auch die ehemalige Arbeitsstelle von Heidrun Hofer aufgeführt. Wir erfahren auch, dass sich in der Münchner Helene-Weber-Allee 23 hinter großen Wettermessgeräten Dienststellen des BND befinden. Wir erfahren aber hier vor allem über die Arbeitsweise eines Künstlers, der den Begriff Gesellschaftskritik noch ernst nimmt.

Vom Camp zum Campus

So lernen wir etwas aus dem Innenleben des Schulungsorts des Bundesnachrichtendienstes kennen, in dem Geheimdienstmitarbeiter*innen zur Befragungen von Migrant*innen ausgebildet werden. Das Ziel ist auch, Mitarbeiter*innen zu gewinnen, die Informationen über ihre Herkunftsländer weitergeben. Wir sehen einen dieser Fragebögen, in dem unter anderem nach der Versorgungssituation gefragt wird. Dass aus solchen Fragen schon Kriege entstanden sind, zeigt der Fall des irakischen Migranten mit dem Pseudonym Curveball, der dem BND über verborgene Waffen im Irak berichtete, die vom militärisch-industriellen Komplex der USA für den Irakkrieg genutzt wurde. Dass Curveball den Irak-Krieg auslöste, wie die Welt schlagzeilte, dürfte allerdings eine völlig Überschätzung seiner Rolle sein. Doch diese BND-Informant*innen und auch der Druck, der auf sie ausgeübt wird, damit sie erwünschte Aussagen machen, ist bisher wenig thematisiert worden. Wanner leistet hier Pionierarbeit. In vielen seiner Arbeiten thematisiert er das Agieren von Bundeswehr und des militärisch-Industriellen Komplexes in Deutschland. Dazu gehört auch der 2013 nach einem für die Nazis tätigen Ingenieur benannte Ludwig-Bölkow-Campus in Ottobrunn bei München. Er war im NS als Luftfahrtforschungsanstalt von Zwangsarbeitern aus Konzentrationslagern und Kriegsgefangenenlagern errichtet worden. Die Fundamente des Kriegsgefangenenlagers liegen in Sichtweise des Campus. Heute werden dort im Bachelorprogramm Studierende als Kampfpilot*innen für die Bundeswehr ausgebildet. Bei dieser Arbeit wird Wanners Arbeitsprinzip besonders gut deutlich. Die Geschichte des Ludwig Bölke Campus muss nicht aufgedeckt werden. Es liegt offen, wenn man nur hinschauen will. Und Wanner schaut hin.

Polizei und Objektschutz werden Teil von Wanners Kunst

Dass er mit seiner gesellschaftskritischen Arbeit immer wieder auch ins Visier der repressiven Staatsapparate gerät, wird in dem Katalog durch seinen Briefwechsel mit der Polizeidirektion München dokumentiert. Wanner wurde an seiner Arbeit gehindert, als er die Mauer von Neuperlach fotografierte, die die Bewohner*innen vor Migrant*innen trennen sollte. Nachdem zwei Objektschützer Wanner zur Löschung der Fotos aufforderten und der Künstler sich weigerte, wurde die Polizei eingeschaltet. Auch die drängte Wanner zum Löschen der Fotos. Dazu stellt er in dem Brief an die Polizeidirektion einige Fragen: Die ersten beiden lauten: Geht von dem Schutzobjekt in Neuperlach eine öffentliche Gefahr aus? Welcher Verdacht führte zu dem verstärkten Polizeieinsatz?“ Wanner lamentiert nicht über die Einschränkung der Kunstfreiheit durch Objektschutz und Polizei, sondern er macht deren Einsatz zum Teil seiner Kunstarbeit.

Vorstellungstermine des Katalogs Foes at the Edge of the Frame von Franz Wanner:

München: 25.7.2020, 16 Uhr, Lenbachhaus (im Rahmen der Ausstellung Radio-Aktivität)

Berlin: 18. September Hopscotch Reading Room

Hier ein Interview mit Franz Wanner über seine Arbeit

https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/vom-camp-zum-campus

Homepage von Franz Wanner:

http://roulettepolar.net

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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