Film zwischen Waffe und Widerstand

40 Jahre AG Dok Bis zum 20.September waren in Berlin und Brandenburg selten gezeigte Dokumentarfilme zu sehen. Es war das Jubiläumsfestival zum 40jährigen Bestehen der AG Dok

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Das Berliner Babylon Kino, ein Spielort der AG Dok
Das Berliner Babylon Kino, ein Spielort der AG Dok

Foto: John MacDougall/AFP via Getty Images

Eine Gruppe Autonomer probt Ende der 1980er Jahre für einen Szenefilm. Mittendrin eine charismatische junge Frau, die mehrere Männer auf Kreuz legt, mehrmals angeschossen wird und am Ende mit einen Motorrad der Atemsonne entgegen braust. Der Film ist erkennbar die feministische Persiflage eines Western. Im Film überlebt Andrea Wolf, so heißt die junge Frau. In der Realität wird Andrea Wolf von türkischen Militärs 1998 in den kurdischen Bergen erschossen. Doch sie lebt weiter unter ihren Kampfnamen Ronani. Nicht nur auf kurdischen Demonstrationen ist ihr Konterfei zu sehen. Sie lebt auch weiter in den Arbeiten der Künstlerin Hito Steyerl. Die Jugendfreundin von Wolf und war auch an den feministischen Western beteiligt. Immer wieder hat Steyerl auch als international anerkannte Künstlerin an ihre Freundin Aerinnert. In "November", den Film hat Steyerl 2004 gedreht, spielt sie die Hauptrolle. Es ist eine kritische Erinnerung, die auch erwähnt, dass auch die PKK für Kriegsverbrechen verantwortlich ist. Doch es wird auch an die deutsche Verantwortung für die Unterdrückung der Kurd*innen erinnert, durch Waffenlieferungen an die türkische Armee, die auch im Kampf gegen die kurdische Bewegung eingesetzt werden und mit der Unterdrückung von kurdischenOrganisationen in Deutschland. Im Film wird an die massiven Proteste von kurdischen Aktivist*innen in den 1990er Jahren erinnert. Damals verbrannte sich eine junge Aktivistin, ihren Namen Ronani hat Andrea Wolf übernommen, als sie in Kurdistan sehen wollte, was dort die revolutionäre Linke auch in anderen Ländern lernen kann. So erklärte Wolf in einen in den Film eingeblendeten TV-Interview ihren Entschluss, sich der kurdischen Bewegung anzuschließen. Später bekommt der 25minütige Film noch eine historische Dimension, den auch der Titel erklärt. Es wird erinnert an den Film „Oktober“ von Sergej Eisenstein, der die mit dem Monat verbundene Revolution in Russland zum Thema hat, die nach einer Kalenderreform im November lag. Steyerl hat nicht nur mit dem Titel an Eisenstein angeknüpft. Sie zeigt eine Kundgebung in München im Jahr Februar 1999, als ein linkes Bündnis in München an die Ausrufung der Bayerischen Räterepublik erinnerte, die der damalige Redner Nick Brauns nicht als Geschichte sondern Vermächtnis für die Zukunft erklärt. In der Kundgebung wurde auch an dieermordete Andrea Wolf erinnert.In einer längeren Szene sieht man Hito Steyerl als Aktivistin mit einen Schal mit kurdischen Symbolen und einer Kerze für Andrea Wolf auf einer Demonstration. Auch in dieser Szene geht es um die Frage der Symbolik einer linken Bewegung. Steyerl gelingt eine kritische Auseinandersetzung, die zu Gedanken anregt.

Die Frauen einer faschistischen Bewegung

Dagegen zeigt der Film „Die Frauen der Hamas“ von Suha Arraf, was passiert, wenn die Linke durch Repression und eigene Fehler, marginalisiert. Die palästinensische Regisseurin zeigt 4 Funktionärinnen der Hamas bei ihrer täglichen Arbeit. Der Film zeigt die Praxis einer extrem rechten Bewegung im Alltag. Die Funktionärinnen besuchen Kranke im Krankenhaus, bringen als Geschenke von der Hamas den Koran mit und verweisen darauf, dass die Kranken und ihre Angehörigen auf Gott vertrauen sollen. Soziale Themen wie ein besseres Gesundheitssystem sind tabu. Dafür verkündet eine Hamas-Politikerin, dass Frauen nicht verhüten sollen, weil sie Soldaten für den Krieg gegen den Feind gebären sollen, den die Frauen ganz offen benennen: Es sind die Juden, die aus dem Nahen Osten verschwinden sollen. Dass die Kinder nicht etwa ein schönes Leben bekommen, sondern „Märtyrer*innen im Krieg gegen die Juden werden sollen, wird im Film gut dargestellt. Da wird in aller Ausführlichkeit gezeigt, wie sich Jugendliche von ihren Müttern verabschieden, bevor sie ihre Attacken ausführen. Höhepunkt ist dann die Erklärung der Mütter, die betonen, wie stolz sie sind, dass ihre Kinder als Märtyrer*innen sterben. Es sind überwiegend aber nicht nur Männer. Die Erklärungen werden dann von der Hamas veröffentlicht, auch gegen den Willen der Frauen. Arraf gelingt es, die Propaganda der islamfaschistischen Organisation mit der Realität abzugleichen, wenn sie zeigt, wie die Frauen, die eben noch stolz erklärt haben, wie froh sie sind, dass ihre Kinder Märtyrer*innen wurden, am Friedhof deren Tod betrauern.Eine besonders starke Szene am Ende zeigt eine der Hamas-Funktionärinnen eine trauernde Mutter maßregelt. Sie sollte sich doch freuen, dass ihr Sohn jetzt im Paradies ist, wo er geschälte Apfelsinen essen kann. Zuvor hat sie die teuflische Zeit beschrieben, als Jugendliche auch im Gazastreifen in Teekneipen am Strand saßen und an ein besseres Leben vor dem Tod dachten. Die Hamas hat diesen Hoffnungen auf ein besseres Leben ohne Märtyrertod ein Ende gemacht. Die vierim Film begleiteten Frauen tragen vielleicht mehr zum Erhalt deren Herrschaft bei, als die in den Medien immer wieder gezeigten männlichen Politiker. Sie sorgen dafür, dass die islamfaschistische Ideologie im Alltag, in den Familien, im Kindergarten und den Schulen verankert wird, wie der Film gut zeigt. Wenn die Parole „Free Gaza von Hamas“ dereinst endlich Realität und der reale Konflikt mit Israel zivilisiert geklärt wird, könnte es einen Prozess geben, wo die Islamfaschist*innen sich für ihre Handlungen verantworten müssen. Dann könnten auch die vier Funktionärinnen vor Gericht stehen. Denn, auch das zeigt Arrafs Film, sie sind keine unterdrückten Wesen sondern sehr selbstbewusste Frauen, die ihre faschistische Ideologie mit Stringenz vertreten. Sie wissen, was sie tun, und tragen auch Verantwortung. Wenn auch in Beiträgen im Freitag allgemein gefordert wird, Frauen steht die Hälfe der Macht zu, dann kann der Film Anlass geben, von solchen Kollektivbegriffen Abstand zu nehmen. Frauen wie Andrea Wolf sollten mehr Macht haben, die Hamas-Funktionärinnen hingegen sollte die Macht, die sie und ihre reaktionäre Bewegung nicht nur im Gaza haben, entrissen werden.

Beide Filme waren in Berlin im Rahmen des Festivals „Film zwischen Waffe und Kunst“ zu sehen, dass aus Anlass des 40ten Jubiläums der AG Dok zusammengestellt wurde. Die AG DOK wurde 1980 als film- und medienpolitische Interessenvertretung des Dokumentarfilms gegründet. Noch bis zum 20. September können in verschiedenen Kinos in Berlin und Brandenburg selten gezeigte Dokumentarfilme gesehen werden

Perlen des linken Medienaktivismus

Am 20. September gibt es mal wieder die Gelegenheit eine Ausfall von Filmen des Videokollektivs ak kraak zu sehen. Sie gehörten zu den Klassikern des linken Medienaktivismus der frühen 1990er Jahre. Der Name verweist auf die Aktuelle Kamera der DDR und das Kraak steht für Kraaken, das ist der holländische Begriff für Hausbesetzung. In der Ostberliner Hausbesetzer*innenbewegung ist ak Kraak entstanden. Die ersten Videos drehten sich auch stark um die Besetzer*innenbewegung. Die ersten Kinos waren die Kneipen und Lokalitäten der besetzten Häuser, die oft als verlängerte Wohnzimmer der Bewegung dienten. Doch bald wurden die Zeiten zwischen den einzelnen Videos länger und ak kraak bildete nicht mehr einfach ab, was in der Szene passierte sondern setzte sich kritisch dazu ins Verhältnis. Wenn man heute einen Querschnitt der Arbeiten von 18 Jahren sieht, kann man diese Entwicklung natürlich viel besser beobachten.

Hier findet sich das Programm des Festivals "Film zwischen Kunst und Waffe":

https://media02.culturebase.org/data/docs-ag-dok/PM_AG_DOK_BERLIN_Potsdam_24_08_2020.pdf

Peter Nowak

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Peter Nowak

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