Tod eines Arbeitermilitanten

RIP Christian Krähling "Ganz egal, wie man es auch betrachtet: Am Ende kommt die Revolution!“Refrain eines von Christian Krähling getexteten Arbeiterliedes

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In dem Film „Rot liegt in der Luft“ von Chris Marker gibt es eine kurze Szene über den Tod eines Arbeitermilitanten in einem französischen Großbetrieb. Es wird ein Brief von seiner kommunistischen Gewerkschaftszelle im Betrieb vorgelesen, in der er jahrzehntelang mitarbeitete. Für den kommunistischen Arbeiter war der Betrieb seine Welt, in der lebte, in der sich auskannte und er hatte gar kein Interesse, die sogenannte weite Welt außerhalb zu sehen. Ein Arbeiter, der sein Leben in der Fabrik verbringt, das gehörte zum fordistischen Zeitalter ebenso dazu, wie die eine starke Gewerkschaft. Doch es gibt sie auch heute noch, die Arbeitermilitanten. Sie verbringen aber nicht mehr fast ihr gesamtes Leben in der Fabrik und sie haben sehr wohl ein Interesse für die Welt außerhalb. Christian Krähling war einer dieser Arbeitermililitanten des 21. Jahrhunderts. Er spielte eine ganz zentrale Rolle bei der Organisierung der Amzon-Beschäftigten in Bad Hersfeld, Am 10. Dezember 2020, an seinen 43ten Geburtstag, wurde er tot in seiner Wohnug aufgefunden.

Warum keine Obduktion, wenn ein Arbeitermiltanter mit 43 Jahren tot aufgefunden wird?

Es heißt, dass ein Fremdverschulden ausgeschlossen ist. Eine Obduktion, die von einen seiner Freund*innen und Kolleg*innen gefordert wurde, fand nicht statt. Man wahrt heute über Todesumstände Stillschwiegen, auf Rücksicht auf den Verstorbenen, heißt es immer. Mir scheint dieses Schweigen genau so ein Teil der neoliberalen Agenda, wie das Schweigen über Verdienst und Mieten. Das waren alles Themen, über die sich die Kolleg*innen in den Arbeiter*innenkneipen früher unterhielten. Da gab es keine Tabus und da kam schnell auch mal gemeinsame Empörung auf, wenn man merkte, dass alle zusamen wieder mal eine Mieterhöhung oder einen Lohnabzug bekommen haben. Heute, wo die kapitalistische Ideologie so sehr die Individualität betont, wird versucht, gemeinsame Widerstandsmomente erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dass waren Lohnkürzungen ebenso wie Mieterhöhungen und natürlich auch der frühe Tod von Proletarier*Innen. Gerade Christian Krähling hat immer gegen diesen falschen Individualismus gekämpft, der das Reden über Lohn, Mieten und Todesumstände aus der gesellschaftlichen Debatte raushalten will. Die Industrial Workers of the World (IWW), auch als Wooblies bekannt, verwandelten die Beerdigung von jung gestorbenen Proleatrier*innen oft zu einer Anklage gegen eine kapitalistische Gesellschaft, die dafür verantwortlich ist. Sie sind mit dem aufgebahren Leichnamen vor die Fabriken gezogen, in denen sich die Kolleg*innen die tödlichen Krankheiten zugezogen hatten. Es war damals allen Kolleg*innen klar, dass der frühe Tod der Arbeiter*innen eine Folge von unmenschlichen Arbeitsbedingungen ist. Damals täuschten sich viele Arbeiter*innen auch nicht darüber, dass das Kapital zur Sicherung ihres Profit über Leichen geht, wenn Kolleg*innen unter ungeklärten Umständen gestorben sind, die die Interessen ihrer Klasse besonders laut vertreten hatten. Damals waren sie auch noch überall zu sehen, die Pinketons, wie die Schlägertrupps des Kapitals hießen, die immer wieder Proletarier*innen ermordeten, die sich nicht alles gefallen ließen. Heute scheinen sich auch schlauere Linke Morde an Oppositionellen durch die Staatsapparate nur noch in Ländern wie Russland und der Türkei, nicht aber in Deutschland vorstellen zu können. Die vom Historiker Karl-Heinz Roth in seinen Buch „Die andere Arbeiterbewegung“ zusammengetragenen Fakten über die Rolle des Technischen Hilfsdienst beim Kampf gegen Renitenz in Fabriken in Deutschland scheint heute vergessen. Dabei wurde erst vor Krählings Tod bekannt, dass der Amazon-Konzern gezielt Streiks und Arbeitskämpfe von gemieteten Detekteien beobachten ließ. Stellt sich doch hier die Frage, wurden nicht damit die sogeannten Rädelsführer*innen kenntlich gemacht? Gemeint sind damit diejenigen, die in Arbeitskämpfen vorangehen und ihre Kolleg*innen immer wieder ermutigen. Ein solcher Arbeitermilitanter war Christian Krähling.

In der Tradition von Joe Hill

Er war nicht nur in Bad Hersfeld gewerkschaftlich aktiv, er suchte und fand Kontakte zu Beschäftigten in anderen Ländern. Denn für ihn war klar, dass einen kapitalistischen Globalplayer wie Amazon nur mit transnationaler Solidarität beizukommen ist. Er war ein wichtiger Akteur in dem länderübergreifenden Bündnis Amazon Workers International (AWI), die in ihrem Nachruf auf Krählings Wirken erinnerten:

„Wenn er von Arbeiter*innen hörte, die sich lokal organisierten und Unterstützung brauchten, sprang er einfach ins Auto und tauchte da auf“.Hörte er z.B. rechtzeitig von einem Streik in Frankreich oder den USA, schrieb er noch in der Nacht davor ein Lied in französisch oder englisch und schickte es ab. Diese zu Herzen gehenden, meist humorvollen, oft aufrüttelnden Texte können nun nicht mehr gelöscht werden, sie können mit dem Tod des Dichters nicht mehr zum Schweigen gebracht werden, zu spät!Lasst uns sie weiter verbreiten, rezitieren, singen!“

So ist auch das Lied „Ganz Egal" entstanden, aus dessen Refrain am Anfang zitiert wrd. Damit agierte Christian Krähling in der langen Tradition der Arbeiterkünstler*innen, die mit ihren Kolleg*innen gemeinsam über das sangen, was sie erlebten, was sie störte und wogegen sie oft auch kämpften. Solche Arbeiterkünstler*innen lebten gefährlich, wie der Justizmord an Joe Hill, den Sänger der Wooblies in den USA, zeigte. Heute wird diese Arbeitergeschichte oft nur als etwas aus der Vergangenheit betrachtet, das mit der Welt des 21. Jahrhunderts angeblich nichts mehr zu tun haben soll. So wird auch diese proletarische Solidarität als Episode aus der Vergangenheit erklärt. Doch das Leben des Arbeitermilitanten Christian Krähling zeigt, dass diese Arbeiter*innensolidarität in Gegenwart und Zukunft wichtiger denn je ist. Sie muss aber von den Proletarier*innen immer wieder theoretisch und praktisch erkämpft werden. Dabei müssen sie gegen die gesamte Ideologiekonstrukt der Offenen Gesellschaft ankämpfen, die jeglichen Dissenz aus der Gesellschaft eliminieren will. Schon der Philosoph der Offenen Gesellschaft Karl Popper nannte explizit Klassenkämpfe als Feind der Offenen Gesellschaft. Dieser Kampf sollte angenommen werden.

RIP Christian

Im westpolnischen Poznan nahmen Amazon-Beschäftigte mit Schildern auf denen „RIP Christian“ stand, von ihren Kollegen Abschied, der im Kampf für die Sache der Lohnabhängigen nicht nur keine geographischen Grenzen kannte. Er war organisiert in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und kooperierte ganz selbstverständlich mit der anarchosyndikalistischen IP (Workers Initiative), in der die Amazon-Beschäftigten in Poznan gewerkschaftlich organisiert sind. Ich habe sie erlebt, wie sie Ende April 2019 gemeinsam den Amazon-Boss Bezos den Marsch bliesen, als der im Springer-Gebäude in Berlin einen Preis bekommen sollte. Vorher wurde noch die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles von der Bühne gepfiffen, die auf Initiative des Verdi-Vorstands dort ein Grußwort halten sollte. Die Kolleg*innen an der Basis wollten sie nicht hören. Diese recht kurzfristige Protestaktion gegen die Preisverleihung an Bezos, die von der außerbetrieblichen Initiative "Make Amazon Pay" unterstützt wurde, war ein gutes Beispiel für Solidarität unter Lohnabhängigen im 21.Jahrhundert. Ohne Christian Krähling wäre sie wohl kaum möglich gewesen. Wir handeln in seinen Sinne, wenn wir dazu beitragen, dass diese Kämpfe weiterentwickelt werden.

Peter Nowak

Postcriptum.:

Eine persönliche Nachbemerkung: In meinen vorherigen Beitrag (https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/er-sang-nicht-die-lieder-macht) ging es um den Tod des militanten Intellektuellen Michael Panser, der sich der kurdischen Guerilla angeschlossen hatte und bei einen türkischen Luftangriff mit 30 Jahren ums Leben kam. Christian Krähling und Michael Panser kannten sich wohl nicht, es ist wenig wahrscheinlich, dass sie voneinander gehört haben. Sie hatten wohl auch sehr verschiedene theoretische und praktische Zugänge bei ihrem Kampf gegen den Kapitalismus. Doch sie haben eines gemeinsam. Sie kämpften gegen die Brave New World, genannt Offene Gesellschaft, mit der der Kapitalismus seinen globalen Sieg zementieren will. In einer transnationalen kommunistischen Organisation, die auf der Höhe der aktuellen Herausforderungen wäre, müsste das Gedenken an Michael Panser und Christian Krähling gleichberechtigt Platz haben.

Nachtrag: In Verdi-Publik kann man einen guten Artikel über die Praxis der Unterdrückung von Widerstand bei Amazon lesen:

https://publik.verdi.de/ausgabe-202008/der-schein-trügt/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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