Besser ausgestattete Schulen: Klingt gut, aber wer soll das bezahlen? Ein öffentlicher Nahverkehr, der eine echte Alternative zum Auto ist: Klingt gut, aber wer soll das bezahlen? Investitionen in die digitale Infrastruktur: Klingt gut, aber wer soll das bezahlen? Es ist naheliegend, dass die Deutschen ihre Lieblingsfrage auch auf die Corona-Krise anwenden. Die Pandemie ist zwar noch nicht vorbei, doch die Diskussion darüber, wer für die Kosten der Krise aufkommen soll, läuft bereits auf Hochtouren. Konservative und Neoliberale mahnen zum Spardiktat. Linke lassen sich auf dieses Spielchen ein und fordern Vermögensabgaben oder gar einen Lastenausgleich. So weit, so vorhersehbar. Das Problem ist nur, dass es sich um eine fiskalpolitische Scheindiskussion handelt. In Zeiten historisch niedriger Zinsen für Staatsanleihen und Inflationsraten unter dem angestrebten Inflationsziel muss niemand extra an den Kosten beteiligt werden. Der Staat kann es sich nicht nur leisten, er muss es sich sogar leisten, damit die Folgen der Pandemie nicht zu einem volkswirtschaftlichen Totalschaden führen. Warum wird trotzdem so munter diskutiert?
Kronzeugen der Austeritäts-Apologeten sind ausgerechnet die „zukünftigen Generationen“. Diese sehr vage definierte Personengruppe solle keinen Schuldenberg erben, so das Standardargument. Hierbei wird geflissentlich ausgespart, dass die „zukünftigen Generation“ weitaus mehr unter einer fehlenden oder maroden Infrastruktur leiden würden. Wenn „zukünftige Generationen“ wählen könnten, würde sie sich sicher lieber für ein gut ausgestattetes Bildungssystem und Klimaneutralität entscheiden, als für ein paar Prozentpunkte weniger Staatschuldenquote. Sie können aber nicht entscheiden. Das übernehmen gerne die „heutigen Generationen“ für sie, die seit Jahrzehnten bewusst der fatalen „schwäbischen-Hausfrau-Indoktrination“ ausgesetzt werden.
Alles folgt dem von Konservativen und Neoliberalen sorgsam tief in das politökonomische Bewusstsein der Deutschen eingepflanzte Narrativ, irgendwer müsse für jede Politikmaßnahme schließlich immer die Zeche zahlen. Dieses Haushalts-quid-pro-quo ist einerseits ein intellektueller Offenbarungseid und andererseits eine Nebelkerze, die davon ablenken soll, dass die Diskussion im Kern keine fiskalpolitische, sondern eine verteilungspolitische ist. Natürlich braucht es dringend eine Vermögensabgabe und eine reformierte Erbschaftssteuer, aber nicht, weil der Staat ansonsten nicht für die Folgen der Krise aufkommen kann, sondern um die durch die Krise noch größer gewordene Ungleichheit zu reduzieren. Es darf hier nicht verwechselt werden, dass es gesellschaftlich zwar dringend nötig wäre, die Reichen zur Kasse zu bitten, fiskalpolitisch aber nicht. Daher sollte sich das linke Spektrum auch nicht auf fiskalpolitische Scheindiskussionen einlassen, sondern klar benennen, dass Konservative und Neoliberale lediglich versuchen, von ihrem argumentativ äußerst schwach unterfütterten Widerstand gegen verteilungspolitisch sinnvolle Maßnahmen abzulenken. Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung haben sie nämlich wenig mehr als die plumpe Strategie der Diffamierung („Neidsteuer“) zu bieten. Beteiligen sich Linke an einer Scheindiskussion auf fiskalpolitischer Ebene, spielen sie nach den Regeln des politischen Gegners. Besser wäre es, die Regeln selbst zu bestimmen.
Kommentare 7
Wer das bezahlen soll? Diese Frage ist recht einfach zu beantworten:
Der Faktor Kapital muss wieder stärker be- und der Faktor Arbeit entsteuert werden. In den letzten Jahrzehnten lief es genau umgekehrt. Ein neues Gleichgewicht ist vonnöten. Eine Finanztransaktionssteuer wäre z. B. wünschenswert.
Auch die Unternehmenssteuern sanken im internationalen Vergleich in den letzten Jahrzehnten überproportional. Sehr zum Nachteil der Zivilgesellschaft. Auch hier muss ein neues Gleichgewicht geschaffen werden. Ganz speziell bei Internetunternehmen: Es müssen da Steuern bezahlt werden, wo der Umsatz gemacht wird, nicht da, wo der Steuersitz ist. Die Domizilbesteuerung in ihrer heutigen Form gehört abgeschafft.
Wie es um die Besteuerung von Erbschaften steht, weiss ich nicht. Ganz speziell im Zusammenhang mit der Vererbung von grösseren Unternehmen. Wo es keine Erbschaftssteuern gibt: Eine moderate Besteuerung von Erbschaften ab z. B. 2 Mio. Euro wäre ebenfalls angebracht.
Diese drei Ansätze alleine würden schon enorm viel Geld in die Staatskassen spülen! Allerdings laufen sie der neoliberalen Agenda diametral zuwieder. Was nicht weiter schlimm ist: Der Neoliberalismus ist spätestens seit den Billionen schweren Corona-Hilfspaketen rund um den Globus eh‘ tot.
>>Wie es um die Besteuerung von Erbschaften steht, weiss ich nicht. Ganz speziell im Zusammenhang mit der Vererbung von grösseren Unternehmen.<<
Für diesen Fall sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, die Erbschaftssteuer auch in Firmenanteilen zu bezahlen.
Das ist eine Möglichkeit. Hätte das zur Folge, dass der Staat Miteigentümer wird? Zur Berechnung dieser Steuer könnte man z. B. den inneren Wert der Firma als feste Grösse veranschlagen. Umsatz und Gewinn sind Variablen.
„Taxes are what we pay for a civilized society.“ Oliver Wendell Holmes
Das sollte man sich vielleicht auch wieder einmal in Erinnerung rufen.
“In den USA gab es bereits Steuersätze bis 90 Prozent, allerdings mit vielen Abzugsmöglichkeiten, ohne dass deswegen der Kapitalismus oder die Wirtschaft zusammengebrochen wären. Noch 1980 wurden Einkommen von über 200.000 US-Dollar mit einer Steuer von 70 Prozent belegt.“
Schön, dass im Artikel mal die merkwürdige Pathosphrase von den "künftigen Generationen" aufgegriffen wird. Diese Metapher ruft absichtsvoll den Begriff der Familie auf (nur in der Familie gibt es Generationen), um zum Begriff der "Erbschaft" hinzuführen. Und dann funktionieren diese Bilder von "den Kindern keine Lasten hinterlassen" und ähnlicher Unfug. Denn hinterlassen wird im Gemeinwesen nur Sachvermögen, die Staatsschulden sind gleichzeitig Vermögen der Bürger und saldieren sich immer zu Null.
Im Gemeinwesen gibt es nur Jahrgänge, und die alle gleichzeitig. Wenn jemand seine Politik erst in hundert Jahren fruchten lassen will, dann kann er sich zum Anwalt der Neugeborenen machen. Aber dieser Zeithorizont reicht ja nicht. Es müssen auch noch "künftige" Generationen sein, also immer Leute, die es noch nicht gibt. Wer sich nur auf "künftige" Generationen beruft, will sich per definitionem niemals gegenüber den Zeitgenossen verantworten müssen. Es ist eine Formel für Verantwortungslosigkeit im Hier und Jetzt.
Der Finanzmarkt ist vollgestopft mit Billionen. Viele wissen nicht wohin mit ihrem Geld und fangen an zu spekulieren. Da müsste das Geld für eine Jahrhundert-Reform einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft mit Wohlstandsgarantie abgezapft werden.
Perspektivisch sollte man neben einem Mindesteinkommen auch ein Maximaleinkommen einführen. Ab SummeX-Einkommen 100% Gemeinwohlsteuer.
Die Schulden sollte man erst mal ausblenden.
>>Hätte das zur Folge, dass der Staat Miteigentümer wird?<<
Könnte es. Aber es sind natürlich unterschiedliche Formen von Gemeineigentum denkbar, in die solche Anteile eingebracht werden können. Oder die Rentenversicherung bekäme etwas davon ab. Oder eine Arbeitslosenversicherung, die damit die Möglichkeit erhielte bei geplanten Umstrukturierungen ihre Argumente einzubringen.
Oder ganz einfach Belegschaftsanteile.
Das könnte ja von Fall zu Fall entschieden werden.