Wer soll das bezahlen?

Wirtschaft Die Lieblingsfrage der Deutschen hat Hochkonjunktur. Linke sollten den Diskurs jedoch selbst bestimmen, statt sich auf das Spiel des politischen Gegners einzulassen

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Wenn die „zukünftigen Generationen“ es sich aussuchen könnten, würden sie sich wohl eher für gut ausgestattetes Bildungssystem und Klimaneutralität entscheiden, als für ein paar Prozentpunkte weniger Staatschuldenquote
Wenn die „zukünftigen Generationen“ es sich aussuchen könnten, würden sie sich wohl eher für gut ausgestattetes Bildungssystem und Klimaneutralität entscheiden, als für ein paar Prozentpunkte weniger Staatschuldenquote

Foto: Adrian Dennis/AFP/Getty Images

Besser ausgestattete Schulen: Klingt gut, aber wer soll das bezahlen? Ein öffentlicher Nahverkehr, der eine echte Alternative zum Auto ist: Klingt gut, aber wer soll das bezahlen? Investitionen in die digitale Infrastruktur: Klingt gut, aber wer soll das bezahlen? Es ist naheliegend, dass die Deutschen ihre Lieblingsfrage auch auf die Corona-Krise anwenden. Die Pandemie ist zwar noch nicht vorbei, doch die Diskussion darüber, wer für die Kosten der Krise aufkommen soll, läuft bereits auf Hochtouren. Konservative und Neoliberale mahnen zum Spardiktat. Linke lassen sich auf dieses Spielchen ein und fordern Vermögensabgaben oder gar einen Lastenausgleich. So weit, so vorhersehbar. Das Problem ist nur, dass es sich um eine fiskalpolitische Scheindiskussion handelt. In Zeiten historisch niedriger Zinsen für Staatsanleihen und Inflationsraten unter dem angestrebten Inflationsziel muss niemand extra an den Kosten beteiligt werden. Der Staat kann es sich nicht nur leisten, er muss es sich sogar leisten, damit die Folgen der Pandemie nicht zu einem volkswirtschaftlichen Totalschaden führen. Warum wird trotzdem so munter diskutiert?

Kronzeugen der Austeritäts-Apologeten sind ausgerechnet die „zukünftigen Generationen“. Diese sehr vage definierte Personengruppe solle keinen Schuldenberg erben, so das Standardargument. Hierbei wird geflissentlich ausgespart, dass die „zukünftigen Generation“ weitaus mehr unter einer fehlenden oder maroden Infrastruktur leiden würden. Wenn „zukünftige Generationen“ wählen könnten, würde sie sich sicher lieber für ein gut ausgestattetes Bildungssystem und Klimaneutralität entscheiden, als für ein paar Prozentpunkte weniger Staatschuldenquote. Sie können aber nicht entscheiden. Das übernehmen gerne die „heutigen Generationen“ für sie, die seit Jahrzehnten bewusst der fatalen „schwäbischen-Hausfrau-Indoktrination“ ausgesetzt werden.

Alles folgt dem von Konservativen und Neoliberalen sorgsam tief in das politökonomische Bewusstsein der Deutschen eingepflanzte Narrativ, irgendwer müsse für jede Politikmaßnahme schließlich immer die Zeche zahlen. Dieses Haushalts-quid-pro-quo ist einerseits ein intellektueller Offenbarungseid und andererseits eine Nebelkerze, die davon ablenken soll, dass die Diskussion im Kern keine fiskalpolitische, sondern eine verteilungspolitische ist. Natürlich braucht es dringend eine Vermögensabgabe und eine reformierte Erbschaftssteuer, aber nicht, weil der Staat ansonsten nicht für die Folgen der Krise aufkommen kann, sondern um die durch die Krise noch größer gewordene Ungleichheit zu reduzieren. Es darf hier nicht verwechselt werden, dass es gesellschaftlich zwar dringend nötig wäre, die Reichen zur Kasse zu bitten, fiskalpolitisch aber nicht. Daher sollte sich das linke Spektrum auch nicht auf fiskalpolitische Scheindiskussionen einlassen, sondern klar benennen, dass Konservative und Neoliberale lediglich versuchen, von ihrem argumentativ äußerst schwach unterfütterten Widerstand gegen verteilungspolitisch sinnvolle Maßnahmen abzulenken. Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung haben sie nämlich wenig mehr als die plumpe Strategie der Diffamierung („Neidsteuer“) zu bieten. Beteiligen sich Linke an einer Scheindiskussion auf fiskalpolitischer Ebene, spielen sie nach den Regeln des politischen Gegners. Besser wäre es, die Regeln selbst zu bestimmen.

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