Danke Weselsky! Die GDL hat die Arbeitszeitverkürzung für alle auf die Agenda gesetzt
New Work Der Erfolg der GDL im Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn hat auch ein paar Schattenseiten. Aber grundsätzlich ist es ein Erfolg für Schichtarbeitende überall. Und für Claus Weselsky, der die Arbeitszeitverkürzung wieder zum Thema macht
Dank Claus Weselsky bleibt Arbeitszeitverkürzung keine Theorie
Foto: Thomas Kienzle/AFP via Getty Images
Man konnte den allgemeinen Stoßseufzer der Erleichterung fast vernehmen, als am Montagabend bekannt wurde, dass sich die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) auf einen neuen Tarifvertrag verständigt hatten. Denn die Einigung beendet ein rund fünfmonatiges zähes Ringen um einen Kompromiss, mit mehreren ergebnislos abgebrochenen Verhandlungen und begleitet von insgesamt sechs Streiks, die den Bahnverkehr in Deutschland fast vollständig lahmlegten. Begleitet auch von einem lauter werdenden Chor von Politikern, Verbandsfunktionären und auch Kommentatoren in den Medien, die dieses Geschehen zum Anlass nahmen, mehr oder weniger drastische Einschränkungen des im Grundgesetz garantierten Streikrechts zu fordern.
Doch nachdem die
mehr oder weniger drastische Einschränkungen des im Grundgesetz garantierten Streikrechts zu fordern.Doch nachdem die Bahn kurz nach dem letzten Streik signalisierte, nun doch ernsthaft über die zentralen Forderungen der GDL verhandeln zu wollen, kehrte die GDL, die zuvor auch weitere Streiks in der Osterzeit nicht ausschließen mochte, an den Verhandlungstisch zurück. Seit Mitte März wurde hinter verschlossenen Türen im kleinen Kreis und ohne Schlichter ergebnisorientiert gearbeitet. Auch die in den Monaten zuvor üblichen derben gegenseitigen Beschimpfungen und Durchstechereien von Verhandlungsinterna seitens der Bahn unterblieben diesmal. Und siehe da: Nach knapp zwei Wochen konnte Vollzug gemeldet werden. Einen besseren Beleg für das Funktionieren der Tarifautonomie hätte es angesichts der aufgeheizten Debatte über das Streikrecht wohl kaum geben können.Die Tarifautonomie hat geliefert!Wichtigstes Ergebnis der Verhandlungen ist, dass die GDL ihre zentrale Forderung nach stufenweiser Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich durchgesetzt hat. Das hatte die GDL für unverhandelbar erklärt und die Bahn bis dahin kategorisch abgelehnt. Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky hatte gute Argumente für seine Hartleibigkeit. Denn nur bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Entlohnung könnten junge Menschen überhaupt noch dazu motivieren, anstrengende Berufe im Schichtdienst auszuüben. Mehr Freizeit und geregelte Erholungsphasen seien ein zentraler Baustein, um die dringend benötigten Nachwuchskräfte für die Eisenbahn zu gewinnen. Bei der Bahn fehlen derzeit unter anderem über 3.000 Lokführer.Zudem konnte Weselsky darauf verweisen, dass seine Gewerkschaft bereits bei 29 privaten Konkurrenten der Bahn AG im Regional- und Güterverkehr entsprechende Abschlüsse erzielt hat und keinesfalls akzeptieren könne, dass ausgerechnet der bundeseigene Marktführer auf schlechteren Arbeitsbedingungen beharrt.Bitteres Kleingedrucktes für die GDLAllerdings enthält der jetzt gefundene Kompromiss einige Fußnoten, die der GDL überhaupt nicht gefallen können. So kommt die erste Stufe der Arbeitszeitverkürzung (von 38 auf 37 Stunden) erst Anfang 2026 (statt 2025). Außerdem wird die Absenkung auf vier (statt drei) Stufen gestreckt, die 35-Stunden als Referenzarbeitszeit werden also erst im Januar 2029 erreicht. Nur die erste Stufe ist obligatorisch, ab der zweiten müssen Beschäftigte beim Unternehmen anmelden, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren wollen. Sie können sich aber auch für eine gleichbleibende Zeit oder sogar mehr Arbeitsstunden entscheiden, in einem Korridor von bis zu 40 Stunden. Wer das tut, erhält pro Stunde oberhalb der Referenzarbeitszeit 2,7 Prozent mehr Lohn oder mehr Urlaubstage, aber keine Überstundenzuschläge.Noch deutlich schwerer dürfte der GDL im Magen liegen, dass der Tarifvertrag nur für Fahrpersonal im Schichtdienst gelten soll, und nicht für Schichtdienstleistende in der Infrastruktur und den Werkstätten. Weselsky räumte bei der Vorstellung des Tarifergebnisses am Dienstag ein, dass sich zwar viele GDL-Kollegen aus diesen Bereichen an den Streiks beteiligt hätten, der Organisationsgrad dort aber noch zu gering sei, um tarifmächtig zu sein. Auch gehen aufgrund des Tarifeinheitsgesetzes jene GDL-Lokführer und Zugbegleiter leer aus, die in DB-Betrieben arbeiten, in denen die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder stellt. Zwar nicht bei den Lokführern, aber vor allem bei Verwaltungsangestellten.Möglicherweise wird die EVG, die bei ihren Tarifverhandlungen Arbeitszeitfragen ausgeklammert hatte, nicht umhin können, die vereinbarte „Nachverhandlungsklausel“ geltend zu machen und ebenfalls Regelungen für die Absenkung der Wochenarbeitszeit zu vereinbaren. Denn sie wird ihren Mitgliedern wohl kaum vermitteln können, dass diese ab 2026 bei gleichem Lohn mehr arbeiten müssen als die meisten GDL-Kollegen. Das läge auch im Interesse des Managements, dem kaum daran gelegen sein kann, dass in den Betrieben mit EVG-Tarifmacht ein Exodus der Lokführer einsetzt.Die GDL hat das Thema Arbeitsverkürzung mit Lohnausgleich gesetztIm erwartbaren Rahmen bewegen sich beim neuen Tarifvertrag die Laufzeit (26 Monate ab dem 1. November 2023) und die Entgelterhöhung um 420 Euro pro Monat in zwei Stufen. Dazu kommt eine ebenfalls zweistufige, steuerfreie „Inflationsausgleichsprämie“ von 2.850 Euro. Und für die Bahnkunden bedeutet der Abschluss, dass die GDL frühestens im März 2026 wieder streiken kann, da es nach Auslaufen des Tarifvertrages am 31.12.2025 noch eine zweimonatige „Verhandlungsphase“ mit Friedenspflicht geben wird.Doch der GDL gebührt das Verdienst, das Thema Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich äußerst nachdrücklich wieder auf die Tagesordnung der Tarifpolitik gesetzt zu haben, wo es dank der IG Metall Mitte der 1980er bereits stand, um dann wieder weitgehend in der Versenkung zu verschwinden. Das wird mit Sicherheit Impulse für die gesamte Gewerkschaftsbewegung geben. Denn in der hoch verdichteten Arbeitswelt jenseits der Wohlfühlzonen von Homeoffice und selbstbestimmten, flexiblen Arbeitszeiten braucht es angemessene Zeiten zur Regeneration, zum Leben, Lieben und Genießen. Und für Schichtarbeiter gilt das in ganz besonderem Maße. In diesem Sinne: Danke, GDL. Und danke, Claus Weselsky. Denn der wird auf der nächsten Generalversammlung der GDL im September 2024 sein Amt nach 16 Jahren aufgeben und in den Ruhestand treten.
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