Der Zauderer von Hannover

Niedersachsenwahl Über die Notwendigkeit linker Bündnisse im Kleinen und das falsche Verständnis von Populismus – Liebe SPD, hör auf Chantal Mouffe!

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Stephan Weil (Sturmfest) fremdelt mit den Linken
Stephan Weil (Sturmfest) fremdelt mit den Linken

Foto: David Hecker/Getty Images

Nach der Bundestagswahl, nachdem die SPD ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit der Gründung der Bundesrepublik erzielte, las ich des Öfteren jenen Fußballvergleich: “Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.” Nach der Bundestagswahl kann ein wirklicher Neubeginn der SPD in der Opposition beginnen. Hoffentlich. Aber auch, nach der Bundestagswahl ist kurz vor der Landtagswahl in Niedersachen.

Während die Bundes-SPD mit ihrer neuen Oppositionsführerin Andrea Nahles ihr Verhältnis zur Linkspartei zu kitten versucht, bekennt sich der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil indes nicht klar zu einem Linksbündnis. Er schließt es im TV-Duell im NDR zwar auch nicht aus, immerhin. Aber er will versuchen die Linke in Niedersachsen unter der 5%-Hürde zu halten.

Zugegebenermaßen, die Linke ist in Niedersachsen kein politisches Schwergewicht. Sie ist derzeit nicht im Landtag vertreten und sie liegt laut der INSA-Umfrage vom 9. Oktober bei gerade einmal 5%. Aber was an Weils Aussagen stört, ist die Zauderei. Der Ministerpräsident hätte das gar nicht nötig. Als wenn die Niedersachsen rot-rot-grün so abschätzig sähen wie - bei allem Respekt - etwa die Bayern. Ein Scheingefecht mag man sagen, angesichts der geringen Bedeutung der Linken in Niedersachsen. Doch das ist es nicht. Die SPD wird sie - die Linke - brauchen, wenn sie wirklich einen grenzenlosen neoliberalen Kapitalismus einhegen will.

Der Soziologe Heinz Bude hat einmal gesagt, nach der Weltfinanzkrise 2007/2008 glaube niemand mehr an die "Selbstregulation von Märkten". Leider ein Trugschluss. Und gerade deshalb sollte die SPD auch im Kleinen Bündnisse eingehen, die auf die Veränderung marktwirtschaftlicher Verhältnisse setzen.

Der Ministerpräsident sollte den zuletzt im Guardian veröffentlichten Kommentar von Paul Mason lesen, in dem der Journalist an die deutsche Sozialdemokratie apelliert, etwa wie die Labour-Party, keine Kapitalismuskritik zu scheuen und für die Notwendigkeit möglichst breiter Linksbündnisse plädiert.

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Rot-rot-grün sollte für die SPD als Koalitionsbündnis zur "normalen" Option werden, so wie es rot-grün einst wurde. Auch deshalb weil die Verortung der Grünen im "linken Lager" angesichts schwarzer Ampelspiele nicht mehr sicher ist.

Die Landesbühne kann dafür eine passende Ebene darstellen, um das schwierige Verhältnis der Parteien zu kitten. Siehe Thüringen. Ja, zugegebenermaßen, auf Landesebene geht es vielmehr um die kleinen Themen, wie Schul- und Bildungspolitik. Aber es is absurd zu glauben, dass die Linke auf solchen Politikfeldern nicht Vorschläge unterbreitet, über die man nicht wenigstens reden kann.

Stattdessen ist Stephan Weil vom Wording her seinem weithin unbekannten CDU-Herausforderer Althusmann näher, der die Linke in einen Topf mit der AfD wirft, in dem er zur Koalitionsfrage sagt:

“Wir werden nicht zugehen auf die Rechtspopulisten, und wir werden nicht zugehen auf die Linkspopulisten.”

Von diesem eindimensional-negativen Populismusverständnis von Althusmann mal abgesehen, müsste Herr Weil da doch weiter sein.

Eine politisch progressive Linke, lässt sich doch - und ja auch gerade positiv-populistisch - auf die vermeintlich “kleinen” Landesthemen in Niedersachsen ummünzen. Wenn es um die Frage von Solidarität und Chancengleichheit im Bildungsbereich geht, wenn es um die Frage von Inklusion geht, bei der die niedersächsische CDU am liebsten einen zeitweiligen Inklusionsstop durchsetzen würde.

Die SPD müsste also von einem positiven Populismus-Verständnis ausgehend die neue linkspopulistische Kraft sein. Demnach dürfte Althusmann nach der Wahl gerade nicht auf die SPD zugehen. Die SPD sollte vielleicht mehr auf politische Theoretiker wie Chantal Mouffe hören und den Populismus zur

"Wiederbelebung der Demokratie in Zeiten einer weitgehenden Stilllegung der parteipolitischen Konfliktlinien"

nutzen, wie mein früherer Theorie-Professor Winfried Thaa Mouffes Populismusverständnis beschrieb.

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Dass Stephan Weil sich nicht offen zu einer Zusammenarbeit mit der Linken bekennt, ist schlicht feige und schade. Wenn man den Stimmungsumfragen trauen kann, hat rot-grün derzeit ebenso wenig eine Mehrheit wie schwarz-gelb. Aber es geht nicht nur um die strategische Mehrheitsfrage. Es wäre einfach glaubwürdiger, wenn Herr Weil sich zu einem Linksbündnis bekennen würde und den negativen Rechtspopulismen seitens der AfD mit einem positiven Linkspopulismus für die hoffentlich am Sonntag mehr als 87 Prozent begegnen würde.

Es steht dann ohnehin im Ermessen der Wähler, ob rot-rot-grün möglich würde. Könnte ich am Sonntag in meiner Heimat wählen, würde ich wahrscheinlich die SPD und Stephan Weil wählen. Einfach weil ich glaube, dass die Partei die besseren Konzepte, und mit weiteren Politikern wie dem niedersächsischen Wirtschaftsminister Lies auch kompetente Charaktere hat, die Niedersachsen souverän regieren können.

Aber ich würde mich - anders als Stephan Weil - über einen Einzug der Linken in den niedersächsischen Landtag freuen.

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