Stimmlos in der Demokratie

Österreich Eine Million in Österreich lebender Menschen sind zwar den Gesetzen unterworfen, dürfen aber nicht wählen. Das ist ein immer größer werdendes Demokratiedefizit

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Wien - Österreich und Migration – das ist keine Liebesgeschichte. Ein Großteil der Bevölkerung ist der Meinung, die Republik wäre kein Einwanderungsland (was, höflich ausgedrückt, fern der Realität ist), strikte Einbürgerungsregeln erschweren den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft massiv, rechtsextreme Parteien hetzen gegen Asylwerber: Migration ist ein Reizthema. Nichtsdestotrotz sind Migrantinnen und Migranten eine immer größer werdende Gruppe, die in dieser Demokratie aber zusehends zu einer stimmlosen wird. Denn das österreichische Einbürgerungsrecht ist nicht nur strikt, sondern auch mit dem Wahlrecht gekoppelt. Das führt zu einer Situation, in der Menschen zwar einem Gesetz unterworfen sind, aber ihre Vertreter nicht mitbestimmen können. Das mag wie ein Randphänomen wirken, betrifft allerdings einen großen Teil der Gesellschaft. In Österreich sind das aktuell eine Million Menschen.

Um einen österreichischen Pass zu erwerben, ist es notwendig, mindestens zehn Jahre lang ununterbrochen den Wohnsitz in Österreich zu haben (was allerdings bedeutet, regelmäßig um Visa anzusuchen), Deutsch auf B1-Niveau zu beherrschen, in allen Belangen unbescholten zu sein sowie sich in einem Arbeitsverhältnis mit einem Mindestverdienst von 11.000 Euro im Jahr zu befinden (das ist derjenige Betrag, ab dem man steuerpflichtig ist) und in einem Staatsbürgerschaftstest Kenntnisse von österreichischer Demokratie und Geschichte unter Beweis zu stellen.

All diese Voraussetzungen zeugen im Prinzip davon, dass österreichische Politikerinnen und Politiker die Staatsbürgerschaft als Privileg verstehen, das man sich erarbeiten muss. Dieser Leistungsgedanke steckt deswegen auch prinzipiell hinter dem Wahlrecht – es ist mit der Staatsbürgerschaft gekoppelt. Letztendlich führt das allerdings zu einer Unterscheidung in zwei Gruppen von Menschen: Erstklassige, die nichts dazu tun müssen, um ihre Rechte wahrnehmen zu können, da sie hier geboren sind, und Zweitklassige, die sich diese Rechte erst einmal verdienen müssen, da sie in einem anderen Staat geboren wurden.

Eingangs habe ich schon erwähnt, dass das zu einer immer größer werdenden Lücke zwischen Wahlberechtigten einerseits und dem Gesetz Unterworfenen andererseits führt. In einer Demokratie, deren Grundprinzip es immerhin ist, dass die Macht vom Volk ausgeht, also diejenigen, die einem Gesetz unterworfen sind, dieses auch bestimmen sollen, ist das äußerst problematisch. Abgesehen davon bilden Wahlen die grundlegendste Form politischer Partizipation. Diese wird Österreicherinnen und Österreichern ebenfalls nicht verwehrt, wenn diese die oben genannten Staatsbürgerschaftskriterien nicht zur Gänze erfüllen.

Ob kurz oder lang wird, ändert sich an der aktuellen Situation nichts, dieses Demokratiedefizit ein sehr bedrohliches Ausmaß erreichen. Wie aber kann es behoben werden? Das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft zu entkoppeln, wäre eine Möglichkeit, die in Österreich allerdings kaum gangbar scheint. Würde eine Regierung versuchen, das umzusetzen, müsste sie damit rechnen, von rechtspopulistischen Parteien sofort auf das Heftigste angegriffen zu werden. Höchstwahrscheinlich wäre ein enormer Popularitätsverlust das Nächste, was passieren würde – durch rechte Hetze wohl verstärkt. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Einbürgerung zu erleichtern, die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaften zu vereinfachen und auf österreichischem Boden geborenen Menschen automatisch den Pass zu verleihen. Das ist in Österreich aktuell nicht der Fall, da nach wie vor die Staatsbürgerschaft der Eltern den Ausschlag gibt.

Doch, wie gesagt, das möchte keine Regierung riskieren. Wirklich dringend wird diese Frage auch erst dann, wenn Migrantinnen und Migranten zu einer noch größeren Gruppe geworden sind, damit sie für die eine oder die andere Partei als potenzieller Wählerpool interessant wird. Dann kann die Behandlung dieses Problems allerdings auch nicht mehr aufgeschoben werden. Auf lange Sicht wird sich also irgendwann irgendetwas am österreichischen Recht – entweder am Wahlrecht oder am Einbürgerungsrecht – ändern müssen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

rjspoetta

International relations and security policy aficionado, diplomat by training.Twitter: @rjspoetta

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