Der saudi-arabische Außenminister Faisal bin Farhan Al Saud bei einem Treffen zur Situation in Gaza im Dezember 2023
Foto: Fabrice Coffini/AFP/Getty Images
Ein kleiner Teil der am 14. April aus dem Iran in Richtung Israel kommenden Drohnen und Raketen ist über arabischen Staaten abgeschossen worden. Das gibt westlichen und israelischen Hoffnungen Auftrieb, es sei erneut gelungen, einen Keil zwischen die Länder des Nahen Ostens zu treiben, die ein Ende des erniedrigenden Umgangs mit den Palästinensern fordern. Tatsächlich wurde mit den Abwehrmaßnahmen ein Zeichen gegen Eskalationsgefahren gesetzt, die durch den israelischen Beschuss der iranischen Botschaft in Damaskus virulent geworden waren. Dieser Angriff – weder legitimiert durch das weltweit anerkannte Völkerrecht noch Ausdruck einer „regelbasierten Ordnung“, wie sie die deutsche Außenpolitik vertritt – wurde von allen arabischen
en Staaten mit der gleichen Entschiedenheit verurteilt wie die israelische Kriegsführung im Gazastreifen und in der Westbank.Dabei war das Zerstören iranischer Raketen zugleich ein Signal, dass das Existenzrecht Israels durchaus anerkannt wird. Eine Chance, das offiziell zu besiegeln, hatte sich Anfang der 1990er Jahre durch die Oslo-Verträge ergeben. Mit ähnlichen Aussichten war 2002 das Friedensangebot der Arabischen Liga und aller 57 Mitglieder der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) verbunden, der auch der Iran angehört. Man wollte Israel anerkennen, sobald es die Besatzung in der Westbank, im Gazastreifen und in Ostjerusalem beendet, dazu der Gründung eines palästinensischen Staates zustimmt.Da dies bislang unterblieb und die Besatzung zu fortwährender Enteignung palästinensischen Landbesitzes führt, boykottieren arabische Länder in ihrer Mehrheit den Handel mit Israel. Jordanien und Ägypten, die schon vor Jahrzehnten Friedensverträge geschlossen haben, unterhalten nur begrenzte wirtschaftliche Beziehungen, die nicht auf israelische Massenprodukte ausdehnt werden, weil die Bevölkerung sie nicht kaufen würde. Das gilt ebenso für Marokko, den Sudan, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, die 2020 unter Vermittlung Donald Trumps ihre Beziehungen mit Israel normalisiert haben. Joe Bidens Versuch, auch Saudi-Arabien zu einem solchen Abraham-Vertrag zu bewegen, ist im Sommer 2023 fehlgeschlagen. Aus Riad hieß es, dass man beim Beschluss von 2002 bleibe, solange keine „greifbaren politischen Fortschritte“ für die Palästinenser sichtbar seien.Als der auf den Terroranschlag der Hamas folgende israelische Vergeltungskrieg jede Verhältnismäßigkeit vermissen ließ, verurteilten das auch die Staaten, die ihre Beziehungen zu Israel normalisiert hatten. Das eng mit Saudi-Arabien verbundene Bahrain brach den diplomatischen Kontakt sogar ab. Und der unter dem Druck täglicher propalästinensischer Demonstrationen stehende marokkanische König Mohammed VI. sah sich gezwungen, humanitären Beistand für die extrem unterversorgte Bevölkerung Gazas auf den Weg zu bringen.Es ist ein verbreiteter, medial unterlegter Irrtum, dass das großflächige Engagement der Islamischen Republik Iran im israelisch-palästinensischen Konflikt entschiedener ausfalle als das der arabischen Staaten. Trotz aller markigen anti-israelischen Propaganda dürfte sich die iranische Führung dessen bewusst sein, dass ein Krieg gegen Israel mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts Positives für die Palästinenser bringen würde, außerdem die eigene Vernichtung zur Folge haben könnte. Überdies sind die Wurzeln eines regionalen Engagements des Iran nicht allein im israelisch-palästinensischen Konflikt zu suchen. Sie zehren vielmehr von einer Massenbewegung, die sich gegen eine Verankerung des Westens im Nahen Osten wendet, welche weniger dem Schutz Israels dient als eigenen handfesten Interessen wie dem Zugriff auf Rohstoffressourcen.Es war der Westen, der Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate antrieb, die alte Kluft zwischen Schiiten und Sunniten, die im praktischen Zusammenleben von Muslimen kaum noch Bedeutung hatte, wieder aufzureißen und zu vertiefen. Mutmaßlich war es die militärische Niederlage der vom Westen und von den meisten Golfstaaten unterstützten Islamisten in Syrien, die den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman bewog, sein Land nicht länger als Marionette der USA verfügbar zu halten und einen Konfrontationskurs mit dem Iran aufzugeben. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der saudischen Zurückhaltung bei der Abwehr von Militäraktionen der jemenitischen Huthi im Roten Meer, mit denen Riad nach einem langen und grausamen Krieg einen Waffenstillstand vereinbart hat.Obwohl Katar die größte US-Militärbasis im Nahen Osten beherbergt, ließ sich das Emirat – anders als der große Nachbar und die Vereinigten Arabischen Emirate – nie zur Gegnerschaft mit dem Iran bewegen, mit dem ein im Persischen Golf liegendes Erdgasfeld gemeinsam ausgebeutet wird. Seit langem hat sich Katar zu einer von Neutralität geprägten Politik entschlossen, was konkret bedeutet, nach allen Seiten hin friedliche Beziehungen zu suchen. Mit dem Einverständnis der israelischen Regierung fungierte es jahrelang als finanzieller Hauptversorger des Gazastreifens. Seit 2012 bietet Katar dem politischen Arm der Hamas ein Exil. Zusammen mit den USA und Ägypten versucht das Land im Gaza-Krieg, über indirekte Verhandlungen der Konfliktparteien eine Waffenruhe zu erreichen. Das sei – wie Emir Mohammed bin Adulrahman al-Thani soeben beklagt hat – bislang nicht gelungen. Ob Hamas-Chef Ismail Haniyeh in die Türkei reiste, um in diesem NATO-Staat neue Verhandlungsmöglichkeiten zu erkunden, wird sich zeigen. Hier läge es nahe, dass sich endlich auch die EU einschaltet. Beide Konfliktparteien blockieren bislang eine Lösung.Eine „zweite Nakba“Von israelischer Seite ist des Öfteren zu hören, es gäbe genug Geld in arabischen Staaten, um endlich die Nachkommen der Flüchtlinge von 1947/48 in ihren Exilländern vernünftig zu integrieren und die Palästinenser, die noch in von Israel besetzten Gebieten leben, zur Auswanderung zu animieren. Das sind nicht nur die Träume israelischer Rechtsradikaler und Nationalisten. Es ist durchaus vorstellbar, dass es so weit kommt. Ob eine „zweite Nakba“ indes geeignet sein kann, einen „ewigen Frieden“ im Nahen Osten zu garantieren, darf bezweifelt werden. Daran sollte insbesondere ein Volk zweifeln, das 2.000 Jahre lang auf seinem Recht zur Rückkehr in verlorenes Territorium bestanden hat.Entschieden vernünftiger erscheint eine Perspektive, in der Israelis und Palästinenser lernen, auf Augenhöhe neben- und schließlich auch miteinander zu leben. Wird ein solcher Weg eingeschlagen, dürften massive Investitionen aus den Golfstaaten einsetzen, um die ökonomische Entwicklung einer Region, einschließlich Israels, zu befördern, was rasch zu einem ersprießlichen Ertrag für alle dort lebenden Menschen führe dürfte.
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