Es dauerte einige Tage, bis Mohammed VI. nach dem schweren Erdbeben in seinem Land erstmals in das Katastrophengebiet reiste und in einem Hospital Blut für Überlebende spendete. Tröstende Worte verlor er kaum und enttäuschte manche Erwartung, doch war das anders kaum zu erwarten. Der 1963 geborene Monarch bestieg 1999 den Thron und weckte große Hoffnungen. Er versprach, das Land modernisieren und eine teils mittelalterlich anmutende Armut überwinden zu wollen.
Sein Vater, Hassan II., war durch das Buch Notre Ami Le Roi von Gilles Perrault weltweit als gnadenloser Verfolger jeglicher Opposition bekannt, der vor politischem Mord nicht zurückschreckte. Bei Pressekonferenzen im Ausland, bei denen der Regent im eleganten Anzug auftrat, brachte er es mit einiger
e er es mit einiger Geschmeidigkeit fertig, Vorwürfe als Lügen hinzustellen. Bei solcher Gelegenheit saß der Kronprinz nur wenige Meter vom Vater entfernt. Der junge Mann studierte zunächst Jura in Rabat und promovierte 1993 in Nizza zum Thema Die Kooperation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Union des Arabischen Maghreb. Er heiratete die Bürgerliche Salma BennaniMohammed VI. hat sein Land tatsächlich verändert, wenn seine Reformen auch weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Für ein paar Jahre gewährte der junge König dem Land mehr Pressefreiheit. Er heiratete 2002 die Informatikerin Salma Bennani, die bürgerlicher – nicht adeliger – Herkunft war. Die Maghzen als arrivierte, traditionelle, oft zum Islamismus neigende Oberschicht brüskierte er, als die Polygamie abgeschafft und das Frauen stark diskriminierende Familiengesetz von einigen Paragrafen entstaubt wurde.Doch gab Mohammed VI. als 19. Repräsentant der Alawiden-Dynastie, die ihren Ursprung auf die Familie des Propheten zurückführt, sein Vorrecht nicht preis, alle wichtigen Entscheidungen selbst zu treffen, inklusive der Besetzung relevanter Staatsposten. Das blieb so, nachdem er unter dem Eindruck des 2011 in Marokko schnell vergehenden Arabischen Frühlings den Anspruch aufgab, „Führer aller Gläubigen“, sprich: die höchste religiöse Autorität zu sein. Ungeachtet dessen hatte sich das Parlament weiter mit beschnittenen Rechten abzufinden. Jede Kritik am Monarchen konnte wie zuvor als Verrat an der Nation geahndet werden.Mohammed VI. ist einer der reichsten Männer der ErdeHatte das höchste Streben Hassans II. im Niederhalten der Opposition bis in den Militärapparat hinein gegolten, ist die größte Passion Mohammeds VI. die Wirtschaft. Sie agiert störungsfreier als anderswo in Nordafrika und Nahost, da Marokko ein strategischer Partner der USA und mit dem Wohlwollen der EU gesegnet ist. Mit einer neuen, zum Teil aus Jugendfreunden bestehenden Regierungsmannschaft gelang es, maßgebliche Branchen, besonders die Landwirtschaft in Form eines Agrobusiness voranzubringen. Dabei sind der König und seine Familie die Haupteigner von Holdings und Unternehmen, die manchmal sogar als Nationale Gesellschaften firmieren. Mohammed VI. gehörte bereits 2015 mit einem geschätzten Vermögen von etwa 5,7 Milliarden Dollar zu den zehn reichsten Monarchen der Erde. Und so waren es Publikationen über seine unverhältnismäßigen Gewinne, die den Herrscher bewegten, die Presse- und Meinungsfreiheit wieder einzuschränken, sodass Journalisten ins Ausland fliehen mussten. Der Rückgriff auf eine Kontinuität der Unterdrückung galt linken wie extrem religiösen Kräften gleichermaßen. In Marokko kann eine islamistische Partei wie die PJD regieren, ohne dass der Übergang zu einem Gottesstaat winkt. Das verhindert die Allmacht des Königs, der weiß, wie er Schaden von der Ökonomie abwenden kann und muss. Dies garantiert Eigentümern, Managern und der von ihnen verkörperten Mittelklasse Liberalität, soweit sie auf private Lebensführung beschränkt bleibt. Zugleich sind neue selbstbewusste Milieus entstanden, die das Recht auf unabhängige, eigener Kompetenz verhaftete Entscheidungen bei gesellschaftspolitischen Fragen stärker in Anspruch nehmen.Hilfsangebote an Marokko nach dem ErdbebenJüngstes Beispiel war die im Staatsfernsehen erfolgte Ankündigung des Justizministers, die nach dem Erdbeben vom Nachbarn Algerien angebotene technisch-humanitäre Hilfe anzunehmen, obwohl beide Länder wegen des Westsahara-Konflikts offiziell verfeindet sind. Der Bedarf an Hilfe war in vielen nach dem Beben von der Außenwelt abgeschnittenen Bergdörfern immens – trotzdem wurde der Minister zurückgepfiffen.Eigenwillig ging die königliche Autorität auch mit Hilfsangeboten europäischer Länder um. Vor allem Frankreich, das die ehemalige Kolonie zu den wenigen verbliebenen Freunden in Afrika zählt, fühlt sich brüskiert. Gesellt sich Marokko wirklich zu denen, die wie die meisten Staaten der Sahelzone auf Distanz gehen? War das eine Ohrfeige für Emmanuel Macron, der sich an EU-Beschlüsse halten muss, die – gemäß vorliegenden UN-Resolutionen – über das Selbstbestimmungsrecht der Westsahara gefasst wurden? Während Donald Trump als US-Präsident die Annexion der Westsahara durch das Königreich anerkannte. Vor Kurzem hat Mohammed VI. noch mit einem anderen Affront aufgewartet: Er beantragte die Aufnahme in die Gruppe der BRICS-Staaten.