Die Leiden der Zurückgebliebenen

Erster Weltkrieg Rebecca Wests Debüt "Die Rückkehr" gilt als einziger zeitgenössischer Roman einer Frau, der die Schrecken des Ersten Weltkrieges beschreibt

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England, 1916. Der Erste Weltkrieg fegt über Europa hinweg. Die beiden Frauen Kitty und Jenny kümmern sich um ihr Landgut südlich von London, während ihr Ehemann beziehungsweise Cousin Chris als Soldat an der französischen Front kämpft. Eines Tages taucht eine unbekannte Frau in ihrem Haus auf und bittet um ein Gespräch. Mit ihrem gelben Regenmantel und dem groben Wollrock wirkt die Frau, ihr Name ist Margaret, auf Kitty und Jenny etwas schäbig, ja geradezu häßlich. Den beiden ist klar, dass diese Frau aus der Unterschicht stammt und wahrscheinlich nur etwas Geld erhaschen möchte. Doch Margaret bittet nicht um Almosen, sondern bringt den beiden eine Neuigkeit, die vor allem Kitty nicht glauben möchte. Chris, Kittys Ehemann, sei an der Front verletzt worden, es gehe ihm schlecht. Zwar sei er körperlich unversehrt, doch habe er einen Granatenschock erlitten. Kitty will davon nichts hören, sie wittert Betrug. Doch am nächsten Morgen erhält Jenny ein Telegramm von Chris‘ Cousin, das die schlechte Nachricht bestätigt.

„Es ging ihm besser, als ich erwartet hatte, aber er war nicht ganz er selbst. Zum einen war er seltsam übermütiger Stimmung bei der Begrüßung. Er schien sich zu freuen, mich zu sehen, und erzählte mir, dass er sich an seine Gehirnerschütterung überhaupt nicht erinnern könne und nach Harrowweald zurückwolle. […] Er hat mir – auf genau die jungenhafte Art, die er vor fünfzehn Jahren gewählt hätte – erzählt, dass er in ein Mädchen namens Margeret Allington verliebt sei.“

Tatsächlich hat der Granatenschock die letzten 15 Jahre in seinem Gedächtnis gelöscht und er kann sich nicht an seine Ehefrau Kitty erinnern. Stattdessen gilt seine Zuneigung seiner Jugendliebe Margaret, eben jener Frau, die Kitty und Jenny die Nachricht überbracht hat.

Zurück daheim muss Chris sich erst an die Veränderungen gewöhnen und bittet darum, Margaret zu sehen. Ärzte untersuchen ihn, hypnotisieren ihn, doch sein Zustand ändert sich nicht. Die drei Frauen versuchen ihn letztendlich mit einer ungewöhnlichen Methode ins Jetzt zurückzuholen.

Rebecca Wests Debütroman ist bereits 1918 erschienen und gilt als einziges Buch, das die Schrecken des Ersten Weltkrieges schildert. Hier werden nicht das Grauen der Schützengräben, nicht die Giftgasangriffe oder die entstellten Soldaten beschrieben, sondern das, was sich in der Heimat fernab der Front zugetragen hat, das Leiden der Angehörigen, die die Ungewissheit über das Verbleiben ihrer Ehemänner, ihrer Söhne, Brüder und Väter aushalten mussten und häufig nach der Rückkehr aus dem Krieg auf eine Person trafen, die nicht mehr dieselbe war, wie die, die zuvor an die Front gereist ist. „Die Rückkehr“ erzählt von den psychischen Schäden, die der Krieg angerichtet hat, von Verdrängung und dem Wunsch nach Vergessen. Erst jetzt, fast einhundert Jahre nach der Erstveröffentlichung, erschien der Roman in deutscher Übersetzung und bleibt doch angesichts der Leiden, die unzählige Kriege weltweit hervorrufen, mehr als aktuell.

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Geschrieben von

Sandro Abbate

Alltagshermeneut | Freier Autor | Kulturwissenschaftler | Blogger | novelero.de

Sandro Abbate

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