Man kann ja immer etwas missdeuten und dabei schlau herüberkommen. Man kann ja immer und aus Prinzip vorhaben, der Merkel eins auszuwischen. Dumm, dass man so an wirklichkeitsnahen Beurteilungen meist vorbeischlittert. Wolfgang Michael, der immer mal goldrichtig liegt, hat hier wieder Kleingeist bewiesen. Denn er hat, was die jüngste Corona-Auseinandersetzung zwischen BundesLändern und Zentrale angeht, gnadenlos für die angeblich benachteiligten Länder Partei ergriffen https://www.freitag.de/autoren/wolfgang-michal/aufstand-der-zwerge. Keine Ahnung, warum Michal den Förderalismus so hochlobt, wo der doch in unendlich vielen Sachverhalten von großem Nachteil für unser Land ist. Man denke nur an 70 Jahre Diskussion um sinnvolle Schulformen, aber auch an die unsinnigen Eigenentwicklungen bei Polizei, Gesundheit und sonstwo. Die entstandenen Flickenteppiche sind ein Graus, wenn man nur daran denkt, dass die in allen Ländern bestehenden gleichnamigen Institutionen z. T. unterschiedliche Kompetenzen besitzen und noch dazu unterschiedliche Software benutzen, so dass sinnvolle Gesamtübersichten ( z. B. Gesundheits-, Bildungs-, Kultur-, KriminalitätsKataster), aber auch ein geschlossenes Gesamtverhalten (z. B. bei einer Seuche) immer wieder blockiert werden. Es gibt nachweislich bestimmte, aus der Sache heraus unstrittig optimierte Sachlagen, die nicht nur aus sich heraus, sondern auch aus ökonomischen Gründen zentral geregelt werden müssten. Andere Länder, die das tun, sind doch nicht automatisch schlechte Demokratien, oder wollen wir solches z. B. Frankreich anhängen?
Nein, Wolfgang Michal, Förderalismus macht nur Sinn, wenn Sachverhalte vor Ort – also in den Ländern – besser beurteilt werden können als von Berlin aus. Für mich ist bis heute nicht verständlich, warum man die Maßnahmen gegen Corona nicht klipp und klar an der Inzidenz, am R-Wert, an freien Intensivbetten etc. festmacht (die Kriterien sind auszudiskutieren und dann als verbindlich hinzunehmen). Um es dann den Ländern in Abhängigkeit vom dort herrschenden Infektionsgeschehen zu überlassen, ins jeweilige Maßnahmen-Register zu greifen. Wenn Merkel (Physikerin) und Braun (Arzt) am letzten Wochenende einen Vorschlag für strengere CoronaMaßnahmen an die Länder verschickt haben, dann geschah das doch nicht, weil man die Länder düpieren wollte, sondern offensichtlich aus einer immer schärferen Corona-Notlage heraus. Und mit dem Wissen um die Zusammenhänge. Eine Abstimmung vor dem darauffolgenden Mittwoch (18. 11.) wäre sinnvoll gewesen, JA. Aber hatten die Länderfürsten nicht genug Zeit, ihre Argumente bis zum Mittwoch zu sammeln? Nein - sie wollten sich lieber übergangen fühlen. Welch blödsinniger Kompetenzstreit in Zeiten, in denen alles schnell gehen muss.
Michal stärkt mit seinem Kommentar die Fürstlichkeit der Landesfürsten und freut sich über deren Beleidigtsein. Meine Güte! Das Ergebnis wird sich noch als eklatant herausstellen, denn unterlassene Verschärfungen werden sich bald in weiterhin bedenklichen Infektionszahlen manifestieren. Da ist nämlich kein wirkliches Abklingen in Sicht. Auch deshalb nicht, weil man längst gewonnene Erkenntnisse in den Ländern einfach nicht wahrhaben will. Man streitet gegen flexible Lösungen in den Schulen (Mix aus Homeschooling und Präsensunterricht) und versäumt es, die gesetzlichen Grundlagen für ein Verbot vorhersehbar gesundheitsgefährdender Demos zu schaffen. Dabei wissen wir, dass in der Kategorie Jugendliche zwischen 10 und 30 Jahren die höchsten Infektionszahlen kursieren (NDR-CoronaUpdate Ciesek vom 17. November 2020) und CoronaProtestler die Seuche geradezu antreiben (s. Stuttgart, Leipzig, Berlin). Merkel und Braun wissen das, denn sie sind - im Gegensatz zu einigen LänderMinisterpräsidenten – in der Thematik kompetent. Wissenschaftsfremden fehlt da oft das MatheGen.
Um das Ganze friedlich zu beenden: Ich hoffe, dass die Länder am kommenden Mittwoch ein ordentliches, ein ordentlich abgestimmtes CoronaPapier zur Diskussion bringen – und nicht wieder kontrovers in Diskutiertiraden stecken geblieben sind. Und ja: Ich bin für die offene Auseinandersetzung – doch nur dann, wenn es möglich ist, die Themen komplett auszuleuchten. Aber das sagte ich schon in meinem letzten Blog.
Ulrich Scharfenorth, Ratingen
www.stoerfall-zukunft.de
Kommentare 8
„Die Bundesländer, das ist die bittere Wahrheit, haben nur mehr den Status größerer Verwaltungseinheiten mit angeschlossenen Parlamenten, die wenig bis nichts zu sagen haben.“ Wolfgang Michal.
Die Bundesländer sind keine Verwaltungseinheiten. 1949 haben 12 selbständige Länder durch die Verabschiedung des Grundgesetzes den Bundesstaat Bundesrepublik Deutschland gegründet. Zwölf selbständige Länder waren 1949 bereit Rechte an einen Bundesstaat abzugeben.
Einen „Förderalismus bis zur Unsäglichkeit“ gibt es nicht. Der Förderalismus ist die Substanz der Bundesrepublik. Als ehemaliger Bürger der DDR, wie Sie sich selbst beschreiben, dürfte es vielleicht schwer fallen, die Struktur eines Bundesstaates zu begreifen und zu erleben.
Die Kritik von Wolfgang Michal teile ich. Ach ja, die Schulreformen! Einheitlich sollte die Schulausbildung sein wie in der DDR und, da gab es in Deutschland noch einen anderen Staat vor langer Zeit, gleichgehäkelt sein.
Wann „Förderalismus Sinn“ macht ist leider im Grundgesetz nicht geregelt. Der Förderalismus zählt zu den niedergelegten Grundsätzen des Grundgesetzes und ist selbst mit Begriffen wie „Landesfürsten“ nicht verhandelbar.
Korrektur: Es waren 11 selbständige Länder, die die Bundesrepublik gegründet haben.
Hallo Halino, das beantwortet doch meine Fragen nicht (z.B. zu länderübergreifenden Registern und Üersichten, zum Einsatz unterschiedlicher Software etc.). Wo sind die Kritikpunkte - was den förderalen Staat angeht? Und wie stehen Sie dazu. Vorausgehende breite Diskussionen zur Optimierung von Dingen, die auf alle Bundesländer in gleichem Maße zutreffen und vom Bund verabschiedet werden sollen JA - aber nicht die unkreativen, autark regierenden Quatschbuden, in denen alles zerredet wird.
Und DDR-Schulen waren fachlich sehr gut aufgestellt. Da wurden die Kinder aus prekären Verhältnissen nicht nach der 4. Klasse ausgesiebt. Nun ja, der Zugang zur Oberschule wurde zuweilen politisch versperrt - das kritisiere ich scharf.
„Vorausgehende breite Diskussionen zur Optimierung von Dingen, die auf alle Bundesländer in gleichem Maße zutreffen und vom Bund verabschiedet werden sollen JA - aber nicht die unkreativen, autark regierenden Quatschbuden, in denen alles zerredet wird.“
Der Bund darf und soll nur das verabschieden, wofür er ständig. Der Rest hat den Bund nicht zu interessieren. „Quatschbuden“, eine nette Formulierung für eine Ablehnung des Förderalismus. Die Bundesländer haben seit Jahrzehnten gemeinsame Einrichtungen, um sich mit einander abzustimmen. In denen quatschen sie miteinander. Länderübergreifende Register und Übersichten gibt es seit gefühlten Ewigkeiten. Die Diskussionen über den Förderalismus erinnern mich an Plattitüden, ohne ein Verständnis für die Bedeutung des Förderalismus zu haben.
Das ist doch nicht war. In vielen Bereichen gibt es eben keine länderüergreifenden Register, obwohl die dringend notwendig wäre.. Wie können sie so allgemein unwissend argumentieren. Und wie sieht das mit der unterschiedlichen Software bei der Polizei aus ... in den Ländern ... im Bund ... in Europa? Sie verteilen Watschen, statt sachkundig Argumente zu bringen. Ich verabschiede mich ...
Lieber Herr Scharfenroth,
ich glaube, Sie missverstehen da was. Ich hatte geschrieben, dass die Ministerpräsidenten - aufgrund des zunehmenden Kompetenzverlustes der Länder - den Bundesrat als Oppositionsinstanz und Profilierungsmöglichkeit missbrauchen. Mit Wichtigtuerei und Pressekonferenzen kompensieren sie häufig den faktischen Kompetenzverlust, der durch die zahlreichen Grundgesetzänderungen seit 1949 entstanden ist.
Trotzdem bleibt auch richtig, dass die norddeutschen Länder SH und MV ein anderes Infektionsgeschehen aufweisen als z.B. Bayern, BaWü, NRW oder jetzt Sachsen. Föderal unterschiedliches Handeln ist deshalb vernünftig und angebracht. Mit Betonung auf HANDELN.
Beste Grüße
Wolfgang Michal
Lesen Sie doch mal bitte folgendes Interview. Dann wird Ihnen vielleicht klar, dass Sie von einer völlig falschen Ausgangsbasis her argumentieren:
https://www.zeit.de/2020/50/juergen-windeler-coronavirus-test-pcr-iqwig-gesundheitsforschung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.freitag.de%2Fautoren%2Fder-freitag%2Fdemokratie-aus-dem-tunnel
Ansonsten mal wieder Fenster putzen :-)
Ichglaube, ich missverstehe da gar nichts. Meine Grundsatzfragen werden ja von keinem der Mitdiskutanten beantwortet. Natürlich muss man auf die ortlichen Gegebenheiten regional reagieren. Das ist doch eine Binsenweisheit. Was ich anspreche, sind die Nachteile des Förderalismus, die vieles mehr als problematisch machen. Die vielen unsinnigen, z. T. klerikalen Schulformen, Lernstoffe und unterschiedlichen Lernfortschritte, die den Anschluss von Kindern, deren Vater jobmäßig in ein anderes Bundesland umziehen muss, fast immer schwierig machen. Um das,was einschneidend ist, wird hier nicht diskutiert....es geht hier immer nur um die angeblichen Vorteile des Förderalismus, die z.T. irrwitzige, weil ausufernde IdeenVielfalt, die Gewaltenteilung und das Diskutierbedürfnis ... sehr enttäuschend.