Ja, das einstimmige Urteil des Supreme Court in London ist eine laut schallende Ohrfeige für Boris Johnson. Ja, es ist gut, dass die von ihm und der Monarchin des Vereinigten Königreichs erzwungene Pause des Parlaments für null und nichtig erklärt worden ist. Und ja, als Premierminister des Landes war Boris Johnson schon zuvor längst nicht mehr tragbar. Was aber wird die neueste Episode in der scheinbar unendlichen Geschichte mit dem Brexit-Referendum am 23. Juni 2016 als Ausgangspunkt ändern? Jedenfalls nichts an der krassen Spaltung der britischen Gesellschaft.
Rund 52 Prozent der Wähler und Wählerinnen dort haben sich vor dreieinhalb Jahren dafür ausgesprochen, die Europäische Union zu verlassen. Seither hat sich an der ungefähr hälftigen Teilung in dieser Frage im Königreich nichts Wesentliches geändert. Die Menschen sind des ewigen Dramas müde – und genau das ist für Ausstiegsbefürworter wie Johnson oder Nigel Farage die Chance: Sie versprechen, alldem kompromisslos und bald ein Ende zu setzen; wenn es sein soll, dann auch mit einem Ausstieg ohne Abkommen. Alles, was dies verzögern oder aufhalten könnte – sei es zuletzt der Parlamentsantrag, einen No-Deal-Brexit auszuschließen, sei es das Supreme-Court-Urteil jetzt –, lässt sich von den kalten Brexiteers instrumentalisieren: Seht her, wir wollen euren demokratisch geäußerten Willen umsetzen, aber sie versuchen, uns daran zu hindern. Dass Johnson, Farage und ihre Verbündeten dafür bei Neuwahlen durchaus mit einer Mehrheit belohnt werden könnten, ließ die Opposition bisher vor dieser Option zurückschrecken.
An nichts anderem wird die dramatische Zerrissenheit Großbritanniens so deutlich wie am Zustand der Labour-Partei. Gerade vollbrachte sie beim Parteitag in Brighton Historisches – eine in etwa zur Hälfte von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen geprägte Partei hat sich mit großer Mehrheit für das Ziel von Netto-Null-CO₂-Emmissionen 2030 ausgesprochen. – inklusive Vergesellschaftung der sechs großen Energiekonzerne des Landes. Über dem verabschiedeten Antrag steht „Labour’s Socialist Green New Deal“. Ein solcher Schulterschluss zwischen Parteiapparat, Klima-Aktivistinnen, Arbeitern und Arbeiterinnen scheint in Deutschland noch sehr fern.
Was aber bringt diese wegweisende Entscheidung gegenwärtig, wer interessiert sich für sie? Wenige – denn das alles dominierende Thema ist und bleibt der EU-Ausstieg. Und eben in dieser Frage erscheint fraglich, ob sich der – richtige – Kurs Jeremy Corbyns in der Partei durchsetzen wird. Corbyn will die Gefahren eines Ausstiegs ohne Abkommen bannen, dann eine Neuwahl, dann die Regierungsmacht übernehmen, dann mit der EU ein neues Auskommen aushandeln und dann die britische Bevölkerung vor die Wahl stellen: Wollt ihr den EU-Ausstieg auf diesem Weg oder wollt ihr in der EU bleiben?
Längst aber intensivieren interessierte Kreise außerhalb wie innerhalb der Partei ihre immerwährenden Bemühungen, Corbyn von der Spitze zu vertreiben und Labour einzig und allein auf einen klaren Kurs des Verbleibs in der EU einzuschwören. Was die linksliberalen Remainer zu vergessen scheinen, das ist die breite Wählerinnen-und-Wähler-Basis der Labour-Partei, von der einst viele für den Ausstieg gestimmt haben.
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