Fast fünf Prozent mehr Lohn: Für Deutschland klingt das beinahe nach Revolution. Die IG Metall hat sich mit den Arbeitgebern vor Pfingsten auf ein Plus von 4,8 Prozent geeinigt, sie liegt damit knapp über dem Ergebnis, das die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst von Bund und Gemeinden zuvor erzielt hatten.
Betrachtet man das Resultat der mehrwöchigen Warnstreiks allerdings genauer, verblasst der revolutionäre Glanz schnell: Läppische 150 Euro haben die Metaller für die Zeit zwischen Ende März und Ende Juni 2016 herausgeholt, für die Phase zwischen dem Auslaufen des alten Tarifvertrags und der ersten Entgelterhöhung um 2,8 Prozent am 1. Juli also. Weitere zwei Prozent mehr gibt es von April 2017 an. Der neue Tarifvertrag hat eine Gesamtlaufzeit von 21 Monaten. Das ist sehr lang und entspricht dem Wunsch der Arbeitgeber, ebenso wie Ausnahmeregelungen für wirtschaftlich schwächelnde Betriebe. Legt man die komplizierte Arithmetik an, nach der sich das Jahresergebnis eines Tarifabschlusses berechnet, dann kommen leider nicht viel mehr als zwei Prozent für je zwölf Monate raus. Zum Vergleich: Bei ihrem letzten Abschluss im Jahr 2015 erreichte die IG Metall ein Plus von 3,4 Prozent auf zwölf Monaten.
Es stimmt freilich: 4,8 Prozent mehr bedeuten bei einer so gut wie nicht vorhandenen Inflation eine kräftige Reallohnsteigerung für die Beschäftigten. Doch da die hiesige Inflationsrate gerade erst wieder ins Negative gerutscht ist, auf minus 0,1 Prozent im April 2016 im Vergleich zum Vorjahresmonat, hätte es ein sehr viel höheres Ergebnis gebraucht. Denn wo Deflation näher ist als Inflation und die Preise trotz Niedrigzinsen und Geldfluten der Europäischen Zentralbank nicht steigen wollen, braucht es dicke Nominallohnzuwächse – sehr viel eher die fünf Prozent für zwölf Monate, mit denen die IG Metall in die Verhandlungen gegangen war.
Um aber fünf Prozent für ein Jahr zu erreichen, muss man anfangs höher pokern. So weit sind die deutschen Gewerkschaften nach anderthalb Jahrzehnten devoter Lohnzurückhaltung, die die Unternehmen ihre Gewinne steigen und an die Finanzmärkte haben tragen lassen, noch nicht. Diese Chuzpe wäre jedoch dringend nötig. Denn deutsche Gewerkschaften tragen nicht nur Verantwortung für ihre hiesigen Mitglieder, sondern für Europa: Sollen Deutschlands Nachbarn wieder auf die Beine kommen, braucht es noch viel mehr deutsche Binnennachfrage, mehr Importe hierher – also viel, viel mehr Geld in den Portemonnaies der Arbeitnehmer.
Kommentare 9
IG Metall: 2 x 2 : 2 = 5 ?
Oder: Der ewige Dauerschwindel mit den Lohnprozenten?
Die IG Metall hatte ursprünglich fünf Prozent mehr Lohn innerhalb einer einjährigen Laufzeit gefordert.
Die Kapitalisten der Metall- und Elektroindustrie hatten für 24 Monate Entgelterhöhungen in zwei Stufen angeboten, die sich auf 2,1 Prozent summierten - plus eine Einmalzahlung von 0,3 Prozent.
Die IG Metall schreibt: "insgesamt bedeutet dies eine tabellenwirksame Entgeltleistung von 4,8 Prozent bis zum Ende der Laufzeit." [Merke: "bis zum Ende der Laufzeit"]
Und: "Die Laufzeit beträgt insgesamt 21 Monate."
Dabei wurde die "Differenzierungsklausel" - zwischen Metall-Elektro-Industrie und IG Metall - noch nicht berücksichtigt!
Unter Berücksichtigung einer (möglichen) "Verschiebung der Entgelterhöhung", wäre eine Unterschreitung von 2 Prozent - im "Durchschnitt" - durchaus möglich!
Fazit: Die Kapitalisten der BDI-Elektro- und Metallindustrie haben in Zusammenarbeit mit ihren sozialdemokratischen gewerkschaftlichen "Sozialpartnern" ihr vorgegebenes K(l)assenziel erreicht!
R.S.: Gewerkschafter seit März 1969.
>>Es stimmt freilich: 4,8 Prozent mehr bedeuten bei einer so gut wie nicht vorhandenen Inflation eine kräftige Reallohnsteigerung für die Beschäftigten.<<
Für die oberen Tarifgruppen sind 2,8 % schon etwas mehr als nichts, angesichts der zur Zeit niedrigen Inflationsrate*. Für die unteren Tarifgruppen ist es fast nichts.
* die EZB will ja die Inflation unbedingt wieder ankurbeln.
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Apropos, nebenbei: Bei den Prozenterhöhungen der Renten ist das anders, denn die werden nach der Verkündigung ohnehin wieder auf null herunter "gerechnet": Nichts für Alle.
"Fast fünf Prozent mehr Lohn: Für Deutschland klingt das beinahe nach Revolution."
und
"Es stimmt freilich: 4,8 Prozent mehr bedeuten bei einer so gut wie nicht vorhandenen Inflation eine kräftige Reallohnsteigerung für die Beschäftigten."
Wenn die Laufzeit auf 3 Jahre abgeschlossen worden wäre, hätte der Autor dann den Text geändert? Es ist mehr als ärgerlich, wenn selbst Wirtschaftsredakteure solchen "Falschformulierungen" erlegen sind, denn prozentuale Abschlüsse beziehen sich immer auf 1 Jahr!
Es macht es auch nicht besser, wenn im Header "Die erreichte Lohnsteigerung der IG-Metall von knapp fünf Prozent ist zu wenig." formuliert wurde.
Zumal in einer Zeitung wie dem Freitag sollte es selbstverständlich sein, von dem "Arbeitgebersprech" und dem anschließenden Selbstlob der Gewerkschaft zu differenzieren.
Sprachkritik ist die Reflexion der Inhalte bevor man schreibt.
prozentuale Abschlüsse (Vergleiche)
Wahre Worte: Renten werden "auf Null herunter gerechnet"!
Meine Grundmiete wurde von der Berliner Baugenossenschaft e.G., Tempelhof-Mariendorf, Zentrale: Dahlem-Zehlendorf,
zum 1. Januar 2016 um 12,7 % erhöht.
Auch für den sozialdemokratischen Berliner Mieterverein e.V. ist damit die Mietwelt (offenbar) immer noch in Ordnung? (!)
Merke: "Genossenschaften" in der "sozialen Marktwirtschaft".
Ich verstehe Sie nicht. Der ganze Text dreht sich doch darum, dass der Abschluss zwar allenthalben als großer Erfolg gefeiert wird, es aber eigentlich nicht ist. Und wenn ich in Bezug auf die Reallohnsteigerung nochmal die 4,8 Prozent erwähne, dann heißt das einfach: Am Ende der 21 Monate werden die Beschäftigten tatsächlich ein nicht viel kleineres Plus von 4,8 Prozent auf dem Konto haben – vorausgesetzt, die Inflation bleibt so niedrig wie derzeit, was ja durchaus nicht unwahrscheinlich ist... Für die Metaller ist der Abschluss in der Tat nicht so schlecht, aber gesamtwirtschaftlich gdeacht müsste er eben viel, viel höher sein. Fünf Prozent auf 12 Monate etwa, wie geschrieben. Der revolutionäre Klang indessen bezieht sich ja auf dort, wo wir herkommen: 15 Jahre devoter Lohnzurückhaltung.
ein nicht viel kleineres Plus als 4,8 Prozent
Ich wundere mich nicht, weil seit Jahren auch von den Gewerkschaften ein Spiel gespielt wird, dass anfangs hohe Prozentsätze gefordert werden, sagen wir mal mit 5 Prozent, die sich üblicherweise auf 12 Monate beziehen. Es ist noch nicht so lange her, da waren Tarifabschlüsse über 12 Monate Laufzeit normal.
Es ist Täuschung der Öffentlichkeit, wenn nach Tarifabschlüssen sowohl in den Nachrichten als auch in den meisten Medien in den Überschriften und den einführenden Worten ein Prozentwert genannt wird, der auf den 1ten Blick etwa der ursprünglichen Forderung entspricht, aber sich eben nicht auf eine Laufzeit von 12 Monaten bezieht!
„Der ganze Text dreht sich doch darum, dass der Abschluss zwar allenthalben als großer Erfolg gefeiert wird, es aber eigentlich nicht ist.“
Völlig korrekt, umso wichtiger ist es dann, auch gleich herauszustellen, dass es eben kein Abschluss von 4,8 Prozent ist, bezogen auf ein Jahr.
Bei ihrem übrigen Text kann ich echt nicht „meckern“, der ist gut geschrieben. :-)
Bevor man das Eregbnise abwertet und auf "Die Kapitalisten" schimpft: Wie war noch die Tariferhöhung im Öff. Dienst? Und im LINKs regierten Thüringen?
Und wie sind die die Grundgehälter, wie die Urlaubs- und Weihnachtszuschaläge? In den überwiegend von Kapitalisten geführten Metall-Unternehmen erhalten die Arbeitsnehmer erheblich höhere Einkommen als anderswo.
(Und da bin ich doch gespannt, was aus der 5-Prozent-Forderung der DJU wird ...)