Zeit für Allianzen

Politik In Thüringen regiert das Chaos. Das füttert die Wut auf die Politik. Der gute alte Lagerwahlkampf könnte ein Weg aus der Krise sein und zu nachhaltigen Visionen führen

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Bildet Banden – nur welche?
Bildet Banden – nur welche?

Foto: Steinach/imago

Wer dachte, es könne in der Causa Thüringen nicht noch chaotischer werden, den belehrt die CDU eines Besseren. Die Linke um Bodo Ramelow hatte eigentlich seine Amtsvorgängerin und CDU-Politikerin Christine Lieberknecht als Übergangslösung bis zum Vollzug der Neuwahlen vorgeschlagen. Eine gute Sache – dachte man. Die notwendigsten Regierungsgeschäfte könnten so am Laufen gehalten werden, während die anderen Parteien einen neuen Wahlkampf vorbereiten. Doch die Thüringer CDU will auch in diesen Deal nicht einwilligen. Führt uns so ein Weg heraus aus den populistischen Verführungen und der allgemeinen Politikverdrossenheit? Ganz sicher nicht.

Was die Gründe der Konservativen für diese Verweigerung sind? Nun, die schlechten Umfragewerte. Bei schnellen Neuwahlen müssten wohl einige Abgeordnete um ihr Mandat fürchtet – mit massiven Stimmverlusten für die CDU ist nämlich zu rechnen. Da bleibt man dann eben lieber in der Sackgasse der Äquidistanz, die bislang eher einseitig zulasten der Linken ausgelegt wurde.

Auf den Markenkern kommt es an

Aber wer will schon kleinlich sein, wenn es doch die schöne Hufeisentheorie gibt. Die besagt, dass es eine klar definierbare, demokratische Mitte gibt, die sich von einem rechts- und einem linksextremen Rand abgrenzen muss. Ein Denkkonstrukt, das in den Reihen der CDU/CSU besonders wirkmächtig ist, aber auch bei der FDP vorherrscht. Ein Linker, auch wenn er Bodo Ramelow heißt und pragmatische, sozialdemokratische Politik vertritt, bleibt ein Linker, bleibt ein Linker, bleibt ein Feind.

Nun wurde jene Hufeisentheorie von einigen Kommentatoren als die Hauptursache für das AfD-Kemmerich-Desaster ausgerufen. Sicherlich hat es seinen Teil dazu beigetragen. Als Erklärung reicht dieses Theorem jedoch nicht aus. Und ein Weg aus der Misere lässt sich daraus erst recht nicht ableiten. Nein. Es gibt ein viel grundlegenderes Problem.

Die Parteien, das wird dieser Tage sehr deutlich, drehen sich nur noch um sich selbst. Die SPD hat nach der letztjährigen Castingshow für Parteivorsitzende immer noch nicht zu einer wirklichen Linie gefunden. Die CDU taumelt nach dem Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer in den Abgrund, den die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz aufgerissen hat. Und die Linkspartei streitet darüber, wie viel grüne Politik für eine linke Partei überhaupt möglich ist, ohne von den Grünen ununterscheidbar zu werden. Diese Liste könnte auch für alle anderen Parteien fortgesetzt werden. Im Grunde geht es bei innerparteilichen Problemen um den Markenkern der Parteien, der in den Zentralen der Macht als bedroht angesehen wird.

Das Erstarren des politischen Raumes

Markenkern. Dieser seltsame Begriff fällt in der Tat ziemlich häufig. Damit bezeichnen Parteistrategen gerne die grundsätzliche Ausrichtung ihrer Partei. So schmückt sich die SPD gerne mit der Vorstellung, immer noch eine Arbeiterpartei zu sein. Der Wähler muss wissen, auf den ersten Blick, für was eine Partei steht. CDU ist bürgerlich-konservativ. Grün ökologisch-linksliberal. Die Linke vor allem eine Protestpartei. So oder so ähnlich. Die politische Landschaft wird eingeteilt in geologische und klimatische Zonen. Man kann sagen, dass es sich hier um ein starres, topologisches Konzept von Politik handelt, bei dem die Differenz alles ist und für Orientierung sorgt.

Zwar lassen sich die Bestrebung zur harten Differenzierung auch historisch zurückverfolgen, bis hinein in die sozioökonomischen Entstehungskontexte der jeweiligen Weltsicht der Parteien – inklusive Klassenkampf. Zwar spielt dabei auch die Wechseldynamik aus politischem Streit und Konsens, d. h. die Ordnung einer Demokratie als "Wettstreit" eine große Rolle. Dennoch muss es auf der Klaviatur des politischen Handelns von Parteien innerhalb einer Demokratie auch andere Akkorde geben. Zumal die Rede vom Markenkern ein Abrücken von den Weltsichten andeutet: Parteien und politische Konzepte sind zunehmend zu Waren geworden. Die Auffassung, dass eine Partei eine Art Produkt sei, mit dem man sich auf dem Markt von der Konkurrenz abgrenzen müsse, hat sich festgesetzt.

Unendlich viel politische Energie wird für unnötige Differenzierungskämpfe und Haarspaltereien aufgewendet. Kooperationen sind häufig nur strategischer Natur. Auf den eigenen Anteil an einer guten Sache muss natürlich sofort hingewiesen werden, während die Politik insgesamt ihre gestalterische Kraft verliert, weil im Wesentlichen auf Umfragewerte geschielt wird.

Die Zukunft verliert sich in der Blockade

Die Gestaltung der Zukunft gerät dabei völlig ins Hintertreffen. In Thüringen klammert sich die CDU an ihr Wahlergebnis und verliert demokratische Visionen im Kampf gegen Rechtspopulisten aus den Augen. Es werden keine Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit – Europa, Klimawandel, rechte Parteien, Armutsschere – gegeben, weil die inner- und zwischenparteilichen Kämpfe alles blockieren.

Es ist an der Zeit einen verstaubten Begriff aus der Mottenkiste zu holen: den guten alten Lagerwahlkampf. Zugegeben, das klingt nach BRD-Muff, nach Franz Josef Strauß und rabiater Frontstellung. Vielleicht sollte man daher eher den Begriff der Allianz verwenden. Wenn wir heute also an einem Punkt angelangt sind, an dem stabile Mehrheiten unwahrscheinlicher, die Bedrohungen von Rechts immer größer und notwendige Projekte immer weiter aufgeschoben werden – wieso ändert man nicht die Art und Weise, wie sich Politik gegenwärtig strukturiert, d. h. wie heutzutage Wahlkampf geführt wird.

Um es konkret zu machen: Hinfort mit der Idee des Markenkerns, der das konservative Gespenst aus längst vergangenen Zeiten in die Gegenwart retten will. Nein, die SPD ist nicht mehr die klassische Arbeiterpartei. Diese Form von Arbeiter gibt es (zumindest in Deutschland) nicht mehr. Die Linke darf sich nicht bloß als Protestpartei verstehen und der Konservativismus der CDU/CSU ist womöglich ein Bremsklotz aus des alten Onkels Zeiten. Wieso nimmt sich nicht der Projekte der Zukunft an? Wieso führen SPD, Grüne und Linke nicht einen aufeinander abgestimmten Wahlkampf? Oder die CDU/CSU gemeinsam mit der FDP? Auf diese Weise könnten die Allianzen den Bürgerinnen und Bürgern durchdachte Konzepte präsentieren, die sich nicht erst in einer trägen Koalitionsverhandlung ergeben.

Zur Wahl stünden selbstverständlich immer noch die einzelnen Parteien. Die Wahl betrifft vielmehr die konkreten Kräfteverhältnisse innerhalb der Allianzen. Für den Fall, dass sich eine Allianz aus SPD, den Grünen und der Linken schon während eines Wahlkampfes finden würde, um womöglich gegen ein konservatives Lager anzutreten, würde für klare Verhältnisse sorgen: Mit was ist nach der Wahl rechnen? Die politische Kraft, die vorher im Ziehen von Differenzen verschwendet wurde, könnte in politische Visionen fließen. Damit würde man eine fatale Marktlogik hinter sich lassen und der Politikverdrossenheit etwas entgegensetzen. Es ist allerhöchste Zeit für Experimente. Ein weiteres Chaos, wie in Thüringen, das kann niemand gebrauchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Seidler

Schreibt über Kino, Kultur und Politik. Liebt düstere Musik, Filme, die einem etwas abfordern und liest zu wenig Romane - was aber auch egal ist.

Sebastian Seidler

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