Abi: Krönung und Tragödie eines Schülerlebens

Schule Das Abitur stellt den höchsten deutschen Schulabschluss dar, und ist gleichzeitig das Ergebnis eines Schulsystems, das mich als Schüler nicht ernst nimmt.

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Hurra, hurra die Schule brennt? Die Zeiten sind vorbei ...
Hurra, hurra die Schule brennt? Die Zeiten sind vorbei ...

Foto: FREDERICK FLORIN/AFP/Getty Images

Mit drei Dosen Red Bull im Gepäck bin ich gestern zu meiner letzten schriftlichen Abiturprüfung angetreten. Nervös bis hyperaktiv wartete ich auf die Aufgaben, die mir um 8 Uhr vorgesetzt wurden. Anschließend folgte das, was man in Deutschland mit dem Begriff Prüfungssituation meint: Knapp hundert Köpfe, über ihre Tische gebeugt, bei dem stressigen Versuch, dass Maximum ihres Intellekts, auf das Blatt vor sich zu bringen. Man könnte diesen Vorgang auch als fünfstündiges Tetrisspiel beschreiben, bei dem man sein erlerntes Wissen, möglichst effizient auf die gestellten Fragen zu sortieren versucht.

Als ich Mittags den Prüfungsraum verließ, hatte ich einen Krampf in der rechten Hand und zehn Minuten später den Inhalt einer Sektflasche im Blut. Wie könnte man auch das Ende von vier Wochen kognitiven Hochleistungsdrucks besser Feiern als mit Alkohol? Also entschied ich mich mit dem Großteil meines Jahrgangs dazu, meine Hirnfunktion vorübergehend auf ein Fünftel zu herunterzutrinken.

Nach vierundzwanzig Stunden und zwei Aspirin wird mir bewusst, dass sich mein Leben als Schüler langsam dem Ende zuneigt. Fast dreizehn Jahre habe ich nun im Klassenzimmer verbracht. Das bemerkenswerte ist, dass die Abiturprüfungen der letzten Wochen meine gesamte Schulzeit in ihrer grundlegenden Struktur zusammenfassen: Seit ich denken kann stellt mir die Schule mithilfe eines Lehrplans Fragen, die ich anschließend mit ihren eigenen Antworten bearbeite. Das Rekonstruieren der Antworten nennt sich Lernen und das Aufschreiben des Gelernten Klausur. Während diesem Prozedere erschaffe ich jedoch kaum Wissen, sondern konsumiere es in der Menge, wie es mir die Schule präsentiert. Lernen entspringt keiner persönlichen Relevanz, sondern wird zu einem Nachvollziehen fremder Denkprozesse innerhalb der Rhetorik sinnentleerter Wörter und Zahlen. Somit verfault Bildung zu einem endlosen Herumwälzen bedeutungsloser Inhalte, wobei ich nicht lerne, sondern belehrt werde, nicht gestalte, sondern konsumiere, und nicht denke, sondern nachdenke, was andere vorgedacht haben.

In dreizehn Schuljahren wurde ich nie gefragt, wer ich bin, sondern mir wurde immer gesagt, wer ich sein muss, um das zu tun, was von mir gefordert wurde. Die Schule interessiert sich nur für die Antworten, die sie mir in den Mund gelegt hat. Aber nicht für meine Fragen. Seitdem ich das verstanden habe, bin ich Klassenbester.

Da es nur Wenigen dauerhaft Sinn spendet, irrelevante Fragen zu beantworten, bekommt das Wort Langeweile im Unterricht regelmäßig eine neue Dimension. Vermutlich ist das Einzige, was in der Schule zuverlässig gelehrt wird, die Erfahrung, dass Lernen eine ähnliche Lebensqualität bietet, wie die Lektüre eines Telefonbuchs. Es scheint absurd, dass jene Institution, die sich die Bildung ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt hat, sich ihrer eigenen Vorraussetzungen beraubt, indem sie Eintönigkeit und Lernverdruss vermittelt.

Nur über Umwege abseits der Schule durfte ich erleben, dass Bildung etwas wunderbar sinnvolles und lebendiges sein kann. Ich verstand, dass Lernen immer eine Antwort auf eine persönliche Frage sein muss, wenn es erfolgreich sein will - gewissermaßen eine glaubwürdige Entgegnung auf die eigene Lebensrealität.

Ist es das nicht, wird Bildung zu einem Menü fremder Antworten, bei dem ich fresse, was mir vorgesetzt wird. Gemästet mit Antworten tritt man dann beim Abitur an, feiert sich anschließend als erbärmliche Kopie von Wikipedia und kotzt den ganzen Mist morgens wieder aus. Prost Mahlzeit!

Für einen kompletteren Eindruck der Schülerperspektive: Das Buchprojekt "13 Jahre Schule statt Bildung" ist seit Januar 2018 im Buchhandel erhältlich.

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