Witzeklau in Zeiten des Schwarmhumors

Titanic gegen ZDF In der „heute-show“ war der Siedler-von-Katar-Gag nicht mehr als ein Wortspiel. Davon gibt es auf Twitter Tausende
Ausgabe 24/2015

Vergangene Woche veröffentlichte die Titanic einen Beitrag, dessentwegen sich selbst das ZDF in die Soutane gemacht haben dürfte. Auf seiner Webseite warf das Satiremagazin der ZDF-Satiresendung heute-show vor, Gags zu klauen – und lieferte eine Klickstrecke mit den „besten Titanic-Witzen in der heute-show" gleich mit. Das Heft hatte vergangenen Sommer etwa eine Spielanleitung zum FIFA-Brettspiel Die Siedler von Katar erfunden. Knapp ein Jahr später fand sich dasselbe Spiel nun in der heute-show wieder. Aus „Lucky Bernd Lucke“ wurde „Unlucky Lucke“. Und schrieb die Titanic „Von der Leyen bringt Drohne zur Welt“, titelte Oliver Welke „Hurra, es ist ein Dröhnchen“.

Dem ZDF blieb nichts anderes übrig, als die Vorwürfe des Magazins herunterzuspielen. Es gebe ähnliche Ideen, höchstens „Referenzen“. Die heute-show selbst hat inzwischen bei Twitter einen Clip der Nate Light (mit Philip Simon) hochgeladen, die auf ZDFneo auch den „Katar“-Gag gemacht hatte – noch vor der Titanic. Gehen wir also davon aus, dass der Witz nicht mutwillig geklaut wurde. Wie kommt es dann, dass anscheinend alle die gleiche Idee haben?

Erstens: In Zeiten von Twitter und Social Media ist es einfacher, auf einem Bären durch Berlin zu reiten, als einen Gag zu finden, den niemand zuvor gemacht hat. „Wir leben nicht nur in Zeiten von Schwarmintelligenz, sondern auch in Zeiten von Schwarmhumor“, hat Titanic-Chefredakteur Tim Wolff schon vergangenes Jahr im Meedia-Interview gesagt. Der Schwarmhumor hat binnen Minuten sämtliche Assoziationen und Wortspiele heruntergerattert. Ginge Montagabend die Welt unter, wären Dienstagfrüh alle Gags durchgespielt. Mittags würde sich der Postillon einschalten, zwei Stunden später der Titanic-Newsticker. Am Freitagabend säße die heute-show vor einem geplünderten Buffet und würde die Krümel zusammenkratzen.

Zweitens: Witze entstehen nie in einem Vakuum. Manchmal schnappt man einen Gedanken auf und er versteckt sich so lange im Hinterkopf, bis man vergessen hat, woher er kommt. Vielleicht sogar von Twitter. „Unbewusster Witzediebstahl“ nennt Wolff das. Wenn nun aber alle Gags schon gemacht wurden, kann es dann überhaupt noch Witzediebe geben?

Jan Böhmermann hat mal gesagt: „Der Kern ist immer der Inhalt, und dann suchst du eine Form, die dazu passt.“ In seinem Neo Magazin benutzt, faket und remixt der Entertainer alles, von Yanis Varoufakis bis zum Literarischen Quartett. Die Form, in der er die Briefe des „Beefträgers“ beantwortet, mag an die „Thank You Notes“ des US-Talkers Jimmy Fallon erinnern. Der Inhalt unterscheidet sich aber: Bei Fallon sind es ironische Alltags-beobachtungen, bei Böhmermann die Spitzen seiner Onlinefehden. Der Inhalt ist Böhmermanns eigene Idee. Die Form wird drumherum modelliert.

Die heute-show funktioniert genau umgekehrt. Die Sendung ist groß darin, flache Witze aus boulevardesken Assoziationen zu bauen. Bei Sigmar Gabriel haben Lügen „dicke Beine“ und Joachim Gauck fährt nur mit dem Trabbi ins Schloss Bellevue. Der Inhalt ist beliebig, weil der Fokus nicht auf Haltung, sondern auf Empörung liegt. Die Show transportiert keine Einstellung, sondern ein Gefühl. Der Siedler-von-Katar-Gag ist da nicht viel mehr als ein Wortspiel. Und davon gibt es auf Twitter Tausende. Diese Beliebigkeit führt dazu, dass der Witzdiebstahl programmiert ist – egal ob „unbewusst“ oder mutwillig.

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Geschrieben von

Simon Schaffhöfer

Taugenichts und Pausenclown

Simon Schaffhöfer

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