Populistische Parteien und Bewegungen gewinnen immer dann Zulauf, wenn eine Gesellschaft mit „Krisen“ oder Umbrüchen konfrontiert ist. Dabei ist es unerheblich, ob der Umbruch wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder politischer Natur ist.
Das letzte Jahrhundert war in Europa nicht gerade arm an Umbrüchen und Krisen. Das Dritte Reich war das Erbe des Ersten Weltkriegs, der nicht nur politisch, sondern auch auch kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich zu erheblichen Umwälzungen führte. Nur auf diesem Boden konnte der Faschismus gedeihen. Ohne den Ersten Weltkrieg ist der Zweite Weltkrieg nicht denkbar. Das Europa, das wir heute kennen, ist die logische Konsequenz des Zweiten Weltkriegs. Die EU ist ohne den Zweiten Weltkrieg nicht denkbar. Der Ansatz, Europa durch wirtschaftliche und politische Kooperation zu befrieden, war in den letzten 70 Jahren erfolgreich. Was in Europa gesellschaftlich und wirtschaftlich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erreicht wurde, ist mehr als erstaunlich.
Vieles davon verdanken wir den Studentenbewegungen, den Linken und Grünen, die nach dem Zusammenbruch des Weltwährungssystems und der ersten Ölkrise 1973 mit der Nachkriegspolitik brachen und sich politisch mehr und mehr etablierten. Das war aber nicht der Grund für das Erstarken der Populisten. Erst die Hinwendung zum Neoliberalismus, dem Abbau von Sozialstaat, der Privatisierung von Unternehmen und der Deregulierung der Märkte hatte zur Folge, dass viele Geringqualifizierte zu Spielbällen des freien Marktes wurden.
Das war ein Umbruch mit negativen Konsequenzen für viele Menschen, der den Verlust sozialer Sicherheit bedeutete. Danach erstarkten in Europa populistische Parteien: die FPÖ in Österreich, die SVP in der Schweiz, Vlaams Blok in den Niederlanden, die Dansk Folkeparti in Dänemark wurde 1995 gegründet, in Norwegen feierte Fremskrittspartiet ebenfalls Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre erste Erfolge. In diese Zeit fallen auch die Erfolge Republikaner in Deutschland.
Es hat sich nicht so viel geändert seit 9/11, dem „Krieg gegen den Terror", der Destabilisierung des Nahen Ostens, der Flüchtlingssituation, der Finanzkrise ab 2007, der Eurokrise ab 2008, der Ukrainekrise und den Terroranschlägen in Paris und Brüssel. Die populistischen Parteien haben mehr Zulauf. Die „etablierten Parteien“ haben scheinbar keine Lösungen, denn die Populisten haben für alles eine Lösung. Die Populisten haben aber immer die einfachste Lösung: eine Lösung, die so einfach ist, dass sie keine Lösung sein kann, sondern nur eine Gutenachtgeschichte. Das ist die Politisierung des Apolitischen, der Stammtisch drängt mit der AfD ins Parlament und mit Pegida auf die Straße. Die etablierten Parteien haben dagegen kein Rezept, weil sie seit Jahren versuchen, die Populisten mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen: Populismus. Das ikonische Beispiel dafür ist Sigmar Gabriels „Pack“. Und es war „Pack“, aber ein Politiker wie Sigmar Gabriel muss wissen, dass so eine Aussage kontraproduktiv ist.
Die Populisten, Rassisten und Fremdenfeinde haben es geschafft, die politische Kultur auf ihr Niveau zu bringen, der modernisierte Rassismus bestimmt die Debatte. Die heutige politische Kultur ist eine Folge des Rechtspopulismus, denn der Rechtspopulismus ist kein politisches Korrektiv, keine Alternative, sondern hat die Alternativlosigkeit erst ermöglicht. Der Rechtspopulismus hat dazu geführt, dass Politik inszeniert wird und die mediale Vermittlung in den Fokus rückt. Das ist ein Problem für die etablierten Parteien, denn Antworten auf komplexe Fragen sind medial schwer zu vermitteln. Man sollte trotzdem keine Gutenachtgeschichten erzählen.
Kommentare 19
"Erst die Hinwendung zum Neoliberalismus, dem Abbau von Sozialstaat, der Privatisierung von Unternehmen und der Deregulierung der Märkte hatte zur Folge, dass viele Geringqualifizierte zu Spielbällen des freien Marktes wurden."
Bis dahin würde ich noch zustimmen,
und dann kamen sie über uns, alternativlos ..., macht der weitere Blogtext genau das, was er an den etablierten Parteien ein wenig kritisiert,
ergeht sich in Sprachblasen ohne konkreten Inhalt.
Tja, ich bin eben auch nur ein Populist...
Hallo Sven Kerkof.
Ich halte Ihre Analyse für nicht zutreffend.
Ich glaube vielmehr, dass wir Anfang der 1970er einen Höhepunkt des ungebrochenen Fortschrittsoptimismus erlebten, der sich noch über Jahre in einem Höchstmaß an politischer Zustimmung bei höchster Wahlbeteiligung und einer eher unkritischen Haltung (in einer doch so bewegten Zeit) äußerte. Auch die Ölkrise der frühen 1970er ging ja nicht auf eine Knappheit zurück, sondern darauf, dass die Saudis de Hahn zu drehten. Der Mensch hatte eben den Mond bereist, eine Höhepunkt der Technik. Die Antibiotika waren neu und wirksam und so war man optimistisch, das Thema Krankheit (inklusive Krebs) bald in Gänze hinter sich zu lassen. Forschung und Technik würden es schon bringen. Probleme mit der Atomkraft, mit der Umwelterschmutzung usw. all das war elitäres Wissen. Die Welt war politisch hübsch in Blöcle geordnet und man wusste wo man steht, wer Freund und Feind ist. Migration und die Folgen war kein Problemthema.
Nach und nach, in kleinen Schritten kam es, auf vielen Ebenen zu kleineren und größeren Enttäuschungen. Erst im Zuge dieser Enttäuschungen konnten erste Protestparteien, -bewegungen und eine breitere Skepsis in der Bevölkerung Fuß fassen. Die Populisten wollen ja gerade deshalb die Uhr zurückdrehen, die 1950er sind das Ziel der Zeitreise der AfD, Heidi und die grüne Alm.
Aber was waren die "vielen Ebenen" auf denen es zu kleineren und größeren Enttäuschungen kam? Ich glaube, vieles hat mit dem Neoliberalismus zu tun und nicht so mit dem "Backlash" auf die linken Bewegungen, aus denen dann die Grünen hervor gegangen sind.
„Aber was waren die "vielen Ebenen" auf denen es zu kleineren und größeren Enttäuschungen kam?“
Technischer Fortschritt und menschliche Zufriedenheit gingen nicht mehr parallel. Die Umweltpropblematik rückte erstmalig ins Bewusstsein. Die Krankheiten verschwanden nicht und auf einmal kam noch sowas die AIDS hinzu. Wir erfuhren, dass unsere Ressourcen endlich sind. Der Space Shuttle Challenger explodierte 1986, im selben Jahr war die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Die ganze Idee der Machbarkeit (durch Forschung und Technik) ging in die Knie. Und so weiter. Alles als Einzelereignis niederschwellig, aber in der Summe nicht zu unterschätzen. Es ist kein Zufall, dass die Öko-, Eso- und Retrobewegungen so Anfang der 1980er richtig Fahrt aufnahmen und nicht 10 Jahre zuvor, im ausklingenden Wirtschaftswunder, wo es Zeit wurde andere Themen anzugehen, die der Gleichbereichtigung der Geschlechter, der sexuellen Spielarten und abweichenden Lebensweisen.
Es muss nicht sein, dass ich recht habe, aber das wäre so meine Beobachtung oder Ergänzung.
War Neoliberalismus nicht später? Ich verbinde damit Mitte udn Ende der 1990er, als alle an die Börse wollten, die Finanzgurus so richtig hipp waren (auch wenn sich da heute scheinbar niemand mehr dran erinnert).
Mitunter werden die Anfänge des Neoliberalismus in der Wirtschaftspolitik von Margaret Thatcher Ronald Reagan Anfang der 80er Jahre verortet. Das kann man vielleicht anders sehen, aber auch in Deutschland wurden in dieser Zeit viele Staatsbetriebe privatisiert, sodass der Leistungsdruck höher wurde, in den meisten hochentwickelten Länder stieg die Arbeitslosigkeit, in Deutschland hat sich die Arbeitslosenquote von 1980 bis 1983 verdoppelt. Das war schon ein Umbruch.
Das ist mir zu kompakt, zuviel soll - zu dicht - erklärt werden. Und Sie wollen eine schlüssige Logik.
Ich denke, der Vorläufer der "Alternativlosigkeit" ist der - Sachzwang, der auch oft ins Feld geführt wurde, bis TINA als schöpferische Weiterentwicklung kam.
Neoliberale Entwicklungen in Deutschland kann man am Lambsdorff-Papier festmachen - das stammt von 1982 in der folge von Reagan und Thatcher und als der Vorläufer des Koalitionsbruchs.
Populismus ist und war allen Parteien eigen, Sie haben es auch angedeutet.
Aber, was Sie jetzt wirklich sagen wollen - das ist mir nicht klar geworden.
https://krautreporter.de/1497--schauble-ist-ein-inkompetenter-kleiner-mann
ich weiß nicht, ob das jetzt hier passend ist, aber es ist ein so interssantes Interview von Varoufakis, der hier auch den deutschen Politikerinnen und Politikern gleich mal den Marsch bläst, vor allem Schäuble.
Der Neoliberalismus war die dem Kapital genehme ökonomische Anwort auf das Ende des westlichen Wachstums, das die Nachkriegszeit gekennzeichnet hatte. Er spiegelt die wiedererlangte Macht des Kapitals wieder, das durch den von ihm unterstützten Faschismus seine Legitimation und damit auch seine Allmacht nach dem Krieg zeitweise verloren hatte und zu sozialen Kompromissen bereit sein musste.
Je mehr die Erinnerung an den Faschismus verblassste, desto mehr gewann das Kapital seine Macht zurück. Gleichzeitig verblassten eine Menge Tabus und damit wuchs die Meinungsmacht der dumpf Unpolitischen.
Hinzu kam die Globalisierungs des Kapitals, wodurch dessen Erpressungspotential sich vervielfachte.
Während also das ökonomische Machtgefälle und die Spaltung der Gesellschaft sich ausweiteten, gab es auch wieder die alten Entlastungsmöglichkeiten, die nicht die Ursachen bekämpfen, sondern die jeweils aktuellen Sündenböcke, die im Grunde immer noch die alten sind - wobei der Antisemitismus immer noch eher unterm Ladentisch bedient wird.
Politik und Gesellschaft haben diese Entwicklung mehrheitlich schlicht verpennt. Der Grundfehler war, dass man den Aufschwung nach dem Krieg für den Normalfall und nicht für eine absoute Ausnahme hielt. Irgendwie, dachte man, würde sich ein Weg finden, zu den alte Zeiten zurückzukehren und dann würde sich der Rest schon von alleine geben.
Und als Königsweg sah man schließlich den Neoliberalismus, weil man nicht das Ende der Nachkriegszeit, sondern den Keynesianismus für die Probleme seit den 80er Jahren verantwortlich machte, die in England naturgemäß früher auftraten als auf Kontinentaleuropa, da der Krieg dort für weniger Neuanfang und Aufschwung gesorgt hatte.
Im Grunde ist der Neoliberalismus die populistische Scheinlösung der Herrschenden, dem die Beherrschten ihren (Fremden)Hass als alternative Scheinlösung entgegenstellen.
Für ein neues Denken und neue Lösungsversuche scheint die Krise bei weitem zu milde zu sein
Stimmt!
Neoliberalismus und sein/ dessen besten Prediger Herr Gauck will die SPD nochmal, das ist der eigentlicher Hammer!
"Der Rechtspopulismus hat dazu geführt, dass Politik inszeniert wird"
Nein, da irren Sie. Er ist die Folge davon, daß Politik seit langem inszeniert IST! Die Worthülsen und Sprechblasen der Politiker in Talkshows und Interviews -einfach unerträglich!
Man denke an Hr. Scholl-Latour, der es noch wagte, mit Sachkenntnis und auch gegen den Mainstream in einer Diskussion aufzutreten. GEGEN diese Blasen und Hülsen.
Wie soll ein Mensch FÜR Demokratie sein und gleichzeitig zustimmen, daß ihm sämtliche Möglichkeiten der Einflußnahme verloren gehen? Wie kann ich an Brüssel Befugnisse eines Landes abtreten, ohne diese Beschlüsse ja wieder "zurückholen" zu können, weil ja ALLE zustimmen müssen? Es kann nicht gutgehen, wenn man den Menschen predigt, das Individuum ist unantastbar, da ist die Würde des Menschen zu achten. Und gleichzeitg wird eine Art "Weltregierung" als Ideal in die Köpfe der Mensche gehämmert. Und jeder der da Angst bekommt wird als "rechtsradikal" diffamiert. Leute, da stimmt doch was nicht?!
Die Uhr zurückdrehen? Das glaube ich weniger. Wer könnte denn die gebauten Atomkraftwerke "zurückdrehen" und die immensen Falschaussagen zu dieser Technik wieder hinunterschlucken? Es gab eine Menge Menschen, die gegen Wiederbewaffnung, für ökologisches wirtschaften, für gerechtere Verteilung, gegen Feindbilder auf die Straße gegangen sind. Könnte es sein, daß es JENE sind, die heute feststellen, daß ihre Befürchtungen TROTZ des Widerstandes eingetroffen sind? Die Mauer ist gefallen und die NATO verbreitet bei ihren Mitgliedern Angst und Schrecken, der nun angeblich über uns schwebt - aus Rußland kommend.
Anstatt klar gemacht wird, WER die Flüchtlinge aus ihrer Heimat durch angezettelte Kriege vertreibt, wird uns in Deutschland die ungenügende Sorge für diese armen Menschen tagtäglich vorgehalten! Diese ganze Maschinerie der Verschleierung von Tatsachen, von Halbwahrheiten, bringt diese ausufernde Empörung hervor - so denke ich.
TTIP, Gentechnik, Kriegsgründe - viele möchten das nicht mehr schlucken.
Durchaus nachvollziehbar, ist mir in der Form aber deutlich zu undifferenziert.
Was genau ist einem Populisten eigentlich vorzuwerfen?
Dieser AFD-Politiker Björn Höcke, hat m.E. eine gewisse Ähnlichkeit mit Adolf H. Ich könnte mich aber diesbezüglich natürlich auch irren.
»Die heutige politische Kultur ist eine Folge des Rechtspopulismus, denn der Rechtspopulismus ist kein politisches Korrektiv, keine Alternative, sondern hat die Alternativlosigkeit erst ermöglicht.«
Das ist völlig absurd, weil es eine historische Ursache Wirkung Beziehung total auf den Kopf stellt. Unsere heute politische Kultur ist eine geradlinige Fortsetzung dessen, was sich in Europa nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion politisch radikal verändert hat. Rechte Kräfte gab es vorher auch, aber die hatten keine Chance, selbst wenn sie sich populistisch gaben. Erst durch die Brüche, die sich seit den 80er Jahren im Bewusstsein unserer politischen Eliten vollzogen und die im Alltag konkret zu den Veränderungen wie zum Beispiel zum Abbau des Sozialstaates geführt haben, konnte sich der Rechtspoulismus in der Form bilden, wie man ihn heute beklagt. Schon allein der Begriff "Alternativlosigkeit" bescheibt nichts anderes als die Tatsache, dass es keine politische Mainstream Alternative mehr gibt, durch die sich die großen und kleineren neoliberalen "Volks" Parteien wirklich unterscheiden. Was auch die irrationale Bewegung zur AfD erklärt, der einzigen Partei, die zwar im Kern nicht weniger neoliberale Konzepte vertritt, aber mit dieser Alternativlosigkeit nicht in Zusammenhang gebracht werden will und wird.
»Das Dritte Reich war das Erbe des Ersten Weltkriegs, der nicht nur politisch, sondern auch auch kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich zu erheblichen Umwälzungen führte. «
Zweifelsfrei hat die Geschichte zur heutigen Situation geführt.
Ich würde das Dilemma des 20. Jahrhunderts aber früher verorten. Bismarck hatte noch von einem Gleichgewicht der politischen Kräfte geträumt, aber eine kleine Lösung für sein Deutsches Reich akzeptiert. Das ehemalige Römische Reich hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch europäisches Dimensionen.
Die Frankfurter Nationalversammlung wurde vom Kartätschen Prinzen, dem späteren Kaiser Willem Eins, zusammengeschossen, weil das arrogante Feudalistenpack keine Krone von Volkes Gnaden wollte.
Der völlig überflüssige Krieg 1870/71 hatte die Gründung der Kleindeutschen Lösung zur Folge und die war für ein Gleichgewicht in Europa zu groß (und ist das immer noch) und für eine europäische Dimension zu klein. Damit hatte Bismarck den Nazionalismus eines Willem Zwoo erst geschaffen - und damit die Folgen.
Populismus - bähh!
Warum kommt mir das nur so bekannt vor?
Ach ja - SPD-Absturz zur Nischenpartei: Nein, WIR haben nichts verkehrt gemacht. Die Anderen sind schuld!
So kann man sich die Welt auch schön - oder schlecht - reden.
Wer den Nährboden für die Rechten fleissig düngt, darf sich hinterher nicht beschweren, wenn die Pflänzchen wachsen.
Der Rechtspopulismus hat dazu geführt, dass Politik inszeniert wird und die mediale Vermittlung in den Fokus rückt.
Einspruch. Diese Art von Politik ist keine Erfindung des Rechtspopulismus, sondern wird schon seit Jahrzehnten - und erst recht nach 1989 - von den etablierten Parteien betrieben.
Das sozialistische Korrektiv fiel weg und der Kapitalismus wähnte sich als Sieger der Geschichte. Arroganz kommt bekanntlich vor dem Fall.
Eine klare Analyse, der ich zustimmen kann.
Und Ihr letzter Satz erscheint mir leider auch sehr richtig.