Das Volk war dann nur noch Staffage

Ausstellung Nach der spezifischen Ästhetik des Totalitären fragt in München die Schau "Typographie des Terrors". Und lässt uns auch vor dem vermeintlich Harmlosen schaudern

Die Ausstellung Typographie des Terrors im Münchner Stadtmuseum hat sich zweierlei vorgenommen: Sie will, anhand von rund 100 Exponaten, die spezifischen Ästhetiken der Plakatproduktion unter einer faschistischen Diktatur vor Augen führen – und sie will, wenn auch implizit und ohne zeitgenössische Plakate als Folie, ein Bewusstsein dafür wecken, wie manches Ideal von damals noch heute umherspukt in unserem visuellen Repertoire.

Das Totalitäre in der Kunst, dies veranschaulicht die Münchner Schau, bedeutet ja nicht, dass alles gleich auszusehen habe. Vielmehr ist allen gestalterischen Mitteln, allen Zeichen, allen Codes eine ganz genaue Funktion zugeordnet – sei es im schon gleichgeschalteten Räderwerk des Staates oder im erhofften Aufruhr der Revolution, mit welchem die Schau den Besucher empfängt. Es ist durchaus verblüffend, wie ähnlich die Bildsprache der gezeigten Wahlkampfplakate aus den letzten Jahren der Weimarer Republik über die Parteigrenzen hinweg tatsächlich war. Ob die Bayerische Volkspartei unter der Parole „Schützet die Stadt!“ die harmlose Figur des Münchner Kindl zu einem schlagbereiten Emblem der Wehrhaftigkeit umfunktioniert hat oder die Sozialdemokratie einen graublauen Leichnam in der zackigen Krone eines Fieslings mit langgezogenem Gesicht und Monokel ausbluten ließ – die Aggression und die Polemik, mit der damals um und gegen die Demokratie gerungen wurde, fegten zweifelsohne manchen Skrupel hinweg.

Schwere Schatten und unsägliche Blümchen

An einem Element freilich sind die Plakate der Nazis deutlich zu unterscheiden. „Arbeiter erwacht!“ heißt es auch bei ihnen, aber anders als bei Kommunisten oder Sozialisten kulminiert die unterdrückte Masse in der NS-Ikonographie immer in einer Führerfigur, einem aufrecht stehenden, kantigen, entschlossenen Modellathleten im Bildvordergrund, der das Volk zur Staffage degradiert. Doch zu dieser Agitation, das macht der chronologische Aufbau der Ausstellung deutlich, gehörte zumindest zwischen „Machtergreifung“ und Ausbruch des Krieges auch immer deren Gegenstück, die Beruhigung im volkstümlichen und heimatverliebten Kitsch. Die starken Kontraste, die schweren Schatten, die lebensfremden Posen und der entrückte Blick Richtung Zukunft und Himmel, wie sie der expliziten Propaganda eigen sind, fanden ihre Ergänzung im leichter Verdaulichen, explizit Populären, ja Populistischen: etwa den runden, in klaren Primärfarben gehaltenen Formen der pausbäckigen Knallchargen, mit denen die Inszenierung von Mattheis bricht’s Eis im Volkstheater beworben wurde.

Sicher, revolutionär neue Erkenntnisse sind aus der Schau nicht mitzunehmen. Die Erläuterungen erklären das jeweils dargestellte Ereignis detailliert, halten sich aber zurück mit Analysen, die den Zusammenhang von Abbild und Ideologie, von Herrlichkeit und Rassenwahn, von idealisierten Körpern und Vernichtung näher beleuchteten. Ihn muss der Besucher selbst herstellen, und Anknüpfungspunkte gibt es genug: in den Werbeplakaten der Münchner Modehäuser. So ist zu erfahren, dass die Firma Knagge & Peitz, die ihren neuen Herrenmantel mit grausamst banalen Blümchenmustern bewarb, am Hetzblatt Stürmer beteiligt war. Ein anderes Plakat wirbt für das Kaufhaus Konen, auf dessen heutige Rückfassade der Besucher blickt, wenn er das Stadtmuseum verlässt. Entstanden war es aus dem Vermögen und Kundenstamm des Geschäfts von Isidor Bach, dessen Betrieb „arisiert“ worden war. Die ach so harmlosen Darstellungen passten zu Hitlers Ideal einer „jungen, gestählten, schönheitsfrohen Frauengeneration“, und man muss nicht bis zu den fetischisierten Bildern der Weiblichkeit etwa von Helmut Newton blicken, um eine Kontinuität zu entdecken. Eine Welt, in der die Hässlichkeit ebenso ausgemerzt ist wie jede Darstellung von nonkonformer Individualität, findet sich in jedem Versandhauskatalog.

Typographie des Terrors. Plakate in München 1933 bis 1945 . Bis 11. November, Eintritt 6€, Katalog 39,90 €

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