Keine Einigung in Doha - wirklich?

Mittelost Das mit Spannung erwartete “OPEC-plus”-Treffen am letzten Sonntag hat kein Ergebnis hervorgebracht, so zumindest die offizielle Version. China reibt sich die Hände.

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Dieser Artikel ist die Fortsetzung von "Dreiecksdiplomatie und große Zaubershow" vom 15. April.

Nachdem die Abschlusserklärung des OIC-Gipfels in Istanbul von einer stark anti-iranischen Rhetorik geprägt war, hat Teheran die Öl-Gespräche im katarischen Doha faktisch boykottiert und Riad seine Drohung wahrgemacht, in diesem Fall keiner Deckelung der Förderung zuzustimmen. Am 15. April hat die New York Times, sicher nicht ohne Absprache mit der Regierung, den Druck noch einmal erhöht, indem sie die saudische Drohung mit dem Verkauf von US-Staatsanleihen im Fall der Legalisierung von 9/11-Prozessen gegen das Land veröffentlicht hat.

Diese wohl als “nuklear” zu bezeichnende Erpressung wurde angeblich schon im März ausgesprochen und ist an sich wenig bemerkenswert, da das strategische Potential dazu ohnehin offensichtlich sein sollte. Äußerst bedeutsam ist hingegen deren jetzige Publikation, welche das Thema auf die Ebene der öffentlichen Politik hebt und damit zur Stellungnahme und zur Reaktion zwingt - und Riad an den medialen Pranger stellt. Diese deutliche Eskalation konnte jedoch das Blatt offenbar nicht mehr wenden; zumindest wurde am Sonntagabend gemeldet, dass es in Doha zu keiner Einigung kam.

Trotz Rückzug bloß nicht das Gesicht verlieren

Allerdings bleibt unklar, was von dieser Behauptung zu halten ist: Einerseits ist der Ölpreis in der darauffolgenden Woche um fast 10 Prozent gestiegen (und mit ihm die Börsen sowie andere Rohstoffe), andererseits sollte klar sein, dass die Saudis aus Gründen der Gesichtswahrung nicht offen hinter ihre früheren Aussagen zurückgehen und nachgeben können. Erfahrungsgemäß werden bei derart heiklen Verhandlungen gerne Nebelkerzen gezündet, und das offizielle (nicht-)Ergebnis ist nicht immer das tatsächliche – gerade wenn eine Seite sich nicht öffentlich zur erzielten Einigung bekennen kann.

Genau dieser Fall war zuletzt bei den Verhandlungen zum Flüchtlingsrücknahmeabkommen zwischen EU und Türkei zu beobachten: Mutmaßlich um die Reaktionen auf Ankaras Forderungen auszutesten wurde verkündet, dass es keinen Konsens gäbe, obgleich offenbar nur noch Detailfragen offen waren. Angesichts dessen scheint es noch zu früh, das erreichte Niveau der Kooperation einzuschätzen und damit eine verlässli- chere Aussage zur weiteren Entwicklung des Ölmarkts zu treffen.

Eskalation oder Klärung der Fronten in Syrien?

Die sogenannte syrische “Opposition” (das “Hohe Verhand- lungskomitee”, d.h. die Statthalter Riads) kündigte derweil an, die Gespräche in Genf zu verlassen. Da sie dafür kaum inter- nationale Unterstützung zu erwarten hat, würde dies letztlich nur die Position der syrischen Regierung stärken; insofern dürfte auch hier das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Washington hat mit dem militärisch nur mäßig einleuchtenden, in seiner Symbolkraft jedoch nicht zu unterschätzenden Einsatz der B-52-Bomber gegen den “Islamischen Staat” seine Karten noch deutlicher als bisher auf den Tisch gelegt und sich in Syrien gegen Riad positioniert, so dass es zunehmend fraglich erscheint, ob dieses sich eine weitere Unterstützung der Islamisten politisch erlauben kann.

Vor diesem Hintergrund müssen auch die Berichte über eine erneute Zunahme der Kämpfe gesehen werden, für die sich die Konfliktparteien gegenseitig verantwortlich machen: Die neue amerikanische Deutlichkeit im Kampf gegen den IS ist trotz Kerrys widersprüchlicher Rhetorik zugleich ein Signal an Damaskus und Moskau, dass sie ihre Offensive gegen (mutmaßlich islamistische) Rebellen fortsetzen können. Wenn es ihnen gelingt, die nicht zu den Waffenstillstandsgebieten zählende Wirtschaftsmetropole Aleppo unter ihre Kontrolle zu bringen, ist der Krieg in Westsyrien endgültig entschieden.

Der lachende Vierte bei alldem ist China

Beijing kann nur gewinnen. Wenn der im November vereinbarte Fahrplan für Syrien eingehalten wird und es mittelfristig eine politische Lösung gibt, nimmt der Einfluss der NATO-Staaten in Westasien ab, der seines Verbündeten Russland hingegen zu. Wenn der Krieg weitergeht oder gar eskaliert, werden Kräfte der anderen Großmächte gebunden und ihr weltweites Ansehen weiter beschädigt, während Beijing sich als glaubwürdigere “neutrale Macht” profilieren und in anderen Regionen seinen Einfluss ausbauen kann. Für ein dringend benötigtes Steigen des Ölpreises muss Washington substantielle Zugeständnisse an anderer Stelle machen - doch wenn er niedrig bleibt, profitiert China wirtschaftlich und vor allem auch währungspolitisch. Denn ein niedriger Ölpreis bedeutet einen geringeren Dollar-Umsatz, und damit ernsthafte Probleme für die westlichen Finanzmärkte.

Im Rückblick dürfte das vergangene Wochenende vor allem für seine Auswirkungen auf das internationale Finanzsystem lange in Erinnerung bleiben. Neben der “saudischen Nuklearoption” und den Öl-Gesprächen machte auch die IWF-Frühjahrstagung in Washington Schlagzeilen - und im Windschatten von all dem vergab die BRICS-Bank NDB ihre langerwarteten ersten Kredite. Die Kräfteverhältnisse auf der Welt verschieben sich, und das Kriegsgeschehen (nicht nur) im Mittleren Osten ist dabei untrennbar mit den Reformen des Weltfinanzsystems sowie dem Öl- und Gasmarkt verbunden. Bislang galt das “Schwarze Gold” als der Stoff, aus dem Weltmachtträume sind - aber wie lange wird das noch so bleiben?

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Geschrieben von

smukster

Ich lese und schreibe ab und zu was.Meine Themenschwerpunkte: Geopolitik, globale Wirtschaftsfragen, Europa, Klima und Energie - twitter: smukster

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