Kunsthölle Berlin

Seilschaften Der Aufruf zum Boykott der neuen Kunsthalle des Kulturmanagers Walter Smerling ist richtig. Warum man trotzdem auf sein Angebot zum Dialog eingehen sollte
Ausgabe 05/2022

Unter #boycottkunsthalleberlin laufen auf Instagram seit Anfang letzter Woche die Aufrufe zu einem Boykott der sogenannten Kunsthalle Berlin. Wer auch immer es wagt, in Berlin einen Ausstellungsraum mit diesem Namen aufzumachen, hat entweder keine Ahnung oder will Krawall. Seit bald Jahrzehnten haben immer wieder alle möglichen Beteiligten versucht, die große Halle der Kunst zu verwirklichen. Mittlerweile schwebt sie als ein imaginäres Luftschloss wie der Heilige Geist über dem Kunstsumpf an der Spree. Das Einzige, was sich in diesem Luftschloss angesiedelt hat, ist ein riesiges Wespennest.

Nun bekommen die Wut der Kunstszene also die Hangars 2 und 3 des Tempelhofer Flughafengebäudes ab. Als hätten sich Hunderte von Nutzern darum gedrängt, die irrsinnigen Kosten für einen Teil des ehemals größten Flughafens aller Zeiten zu übernehmen. Die Stadt Berlin wird froh gewesen sein, als sich vor ein paar Jahren ein Immobilienentwickler samt Kurator aus dem fernen Westen gefunden hat, um dort überhaupt etwas zu machen.

Bei Bedarf verziert er Bugattis

Vergangene Woche wurde die Halle mit einer Retrospektive des französischen Künstlers Bernar Venet eröffnet. Hierzulande ist er nicht weiter bekannt, und dafür gibt es gute Gründe. An dem Werk lassen sich einige Probleme der klassischen Moderne gut ablesen. Er war bei einigen der frühen Konzeptkunst-Ausstellungen beteiligt, so etwa bei der Prospect 68 in Düsseldorf und vor allem bei der stilprägenden Schau Information am MoMA 1970. Leider drängt die Ausstellung die frühen Arbeiten ganz an den Rand. Dazu darf der in Berlin lebende Künstler Simon Denny, der sonst bei der hoch angesehenen Galerie Buchholz ausstellt, eine etwas mager geratene Auseinandersetzung mit dem Frühwerk Venets kuratieren

Trotz aller Boykottaufrufe zeigte sich zur Eröffnung der Ausstellung ganz stolz der Galerist Johann König, schließlich konnte er nach dem Ende der Galerie Blain Southern die Vertretung des Franzosen in Deutschland übernehmen. Eigentlich hätte der Einfluss von Buchholz und König schon ausreichen können, um die Wut der Berliner Szene zu besänftigen. Dass die Beruhigungspillen nicht wirkten, liegt sowohl am unsäglichen Werk wie auch an den Beteiligten. Wie so viele Helden der Konzeptkunst fand Venet für sich eine Nische, in der er, euphemistisch gesagt, „unverwechselbar“ wurde. Er verlegte sich auf rostige, in Halbkreisen gebogene Vierkantstangen. Damit bedient er als Nachahmer ungefähr denselben Markt für Drop-Skulpturen wie sein um Klassen besserer Kollege Richard Serra. Vom Erfolg bestärkt, erschöpft sich sein Werk seither in der Selbstwiederholung. Die wenigen künstlerischen Ausflüge beschränken sich darauf, bei Bedarf ein neues Bugatti-Modell zu verzieren.

Kurz gesagt: Es gibt keinen Grund, diesen Haufen nichtssagenden Blechs in einer Retrospektive zu zeigen. Es sei denn, irgendein Sammler hätte sich verspekuliert, wollte nun seine Altlasten loswerden und brauchte dafür eine Werbeveranstaltung. Dass das Vorhaben, künstlerischen Sondermüll in Berlin zu verklappen, auf vehemente Proteste stößt, ist nur allzu verständlich.

Etwas eigenartig muten aber die Forderungen vonseiten der protestierenden Künstler:innen an. Der Kurator Walter Smerling genieße die „herzliche Unterstützung von Wladimir Putin, Armin Laschet, Anselm Kiefer, Markus Lüpertz und Lars Windhorst“. Dazu wird auf einen Artikel von Niklas Maak verwiesen, der in der FAS das „System Smerling“ bis zum letzten Link vorbildhaft und gründlich auseinandernimmt. Tatsächlich hat vom Springer-Verlag bis zum Kanzleramt kaum jemand den Aktivitäten des umtriebigen Kurators seinen Beistand versagt. Nur vergisst Maak darauf hinzuweisen, dass ein derartiger Filz im bundesdeutschen Kunstbetrieb ganz schlicht allgegenwärtig ist. Das hat bereits die Auseinandersetzung mit dem „System Flick“ gezeigt, leider ohne großen Erfolg. Auf den Artikel zum „System Stoschek“ wird man ewig warten müssen, weil Julia Stoschek wenigstens gute Ausstellungen macht, die ihr von allen Seiten zu Recht Respekt einbringen.

Außerdem mokiert sich der Protestaufruf an dem Bestreben der Kunsthallen-Seilschaft, „Ansehen und privaten Reichtum all derer zu steigern, die mit ihr verbunden sind“. Man würde nur zu gerne wissen, in welchem Winkel des Kunstbetriebs dieses Prinzip nicht gilt. Die Klage gegen die toxische Wirkung der Meritokratie hat vollkommen recht, wenn sie nur von Leuten käme, die sie aus Prinzip ablehnen und selbst andere Strategien verfolgen. Aber leider geben sich die meisten Künstler ja sofort zufrieden, wenn sie nur einen Krümel vom neoliberalen Kuchen abbekommen.

Daher läuft auch die Klage, es handele sich bei der Kunsthalle um ein „zynisches, neoliberales Vehikel“, ins Leere. Selbstverständlich stimmt es, dass die Kunst ein Problem mit Oligarchen hat. Nicht nur in London, Moskau oder New York, im Globalen Süden, in Luanda, in São Paulo, sondern auch in Deutschland. Im Vergleich mit Akteuren wie der Sackler-Familie, die ihr Geld über die Leichen von Hunderttausenden Drogentoten gemacht hat, oder Isabel dos Santos, deren Familie ein ganzes Land für ihre Reichtümer ausbluten ließ, nehmen sich die hiesigen Multimillionäre hinter Smerling geradezu provinziell menschenfreundlich aus.

Damit ist das Oligarchenproblem der Kunst keineswegs gelöst. Denn leider bildet es nur den Zustand einer Welt ab, in der Ungleichheit und private Reichtümer unkontrolliert wachsen.

Vielleicht aber könnte man die Auseinandersetzung mit diesem Problem intelligenter suchen als nur mit einem Boykott. Bei der Pressekonferenz auf die Proteste angesprochen, wirkte der Kurator Walter Smerling ernsthaft bestürzt. Er wurde von Christoph Gröner, dem Vorstandsvorsitzenden des Hauptsponsors CG Elementum, mit dem Einwurf unterbrochen, das sei in Berlin so üblich. Hier werde gegen alles protestiert. Während auf der Seite also offenbar der Wille zum Verständnis gänzlich fehlt, scheint beim Kurator noch nicht alles verloren zu sein. Smerling bot an, den Dialog mit den Kritikern zu suchen. Nun darf man sich bei derart in politischen Seilschaften und altbackener Künstler-Herrlichkeit aus dem letzten Jahrhundert verstrickten Figuren keine allzu großen Hoffnungen machen, aber vielleicht wäre es doch einen Versuch wert, auf das Angebot einzugehen.

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