Das muss man dem Landrat lassen: Er hat ein schönes Thema für den Stammtisch gefunden. Christian Herrgott, Regent des Saale-Orla-Kreises, hat die Gesetzeslage geprüft und eine alte Regelung entdeckt: Er darf Asylsuchende für 80 Cent pro Stunde arbeiten lassen. Er kann sie sogar zwingen, aber das nennt er natürlich nicht Zwangsarbeit, im Gegenteil: Die Geflüchteten, so das Gesetz, erhalten eine „Arbeitsgelegenheit“. Okay, ein bisschen Zwang ist natürlich schon dabei, denn ablehnen dürfen sie die „Gelegenheit“ nicht, sonst können die Sozialleistungen gekürzt werden. Aber Zwangsarbeit ist kein schönes Wort, das wissen auch die Leute, die unsere Gesetze machen.
Ein schönes Thema für den Stammtisch, wie gesa
, wie gesagt. Besser als herumlungern, werden sie in der einen Kneipe sagen, oder auch Schlimmeres. In der anderen Kneipe – nicht alle Stammtische sind rechts – werden sie die Köpfe schütteln und eine ziemlich vernünftige Frage stellen: Warum erlaubt man den Leuten nicht einfach, sich einen richtigen Job zu suchen? Allerdings: Wer weiß, ob es die Stammtische noch lange gibt – in der Gastronomie fehlt es an Personal, aber die Leute aus dem Flüchtlingsheim um die Ecke dürfen nicht mal kellnern.Landrat Christian Herrgott von der CDUDem Landrat Herrgott von der CDU ist das egal. Ihn kümmert nicht das widersinnige Verbot regulärer Arbeitsaufnahme, das für alle Geflüchteten in den ersten Monaten des Aufenthalts und für Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ sogar darüber hinaus besteht. Ihn kümmert nicht die Frage, wie inhuman es ist, Menschen zum Nichtstun zu verurteilen, weil sonst ja die „Gefahr“ besteht, dass sie sich in Deutschland integrieren, ohne ein ordentlich gestempeltes Aufenthaltspapier zu besitzen. Nicht einmal der Widerspruch zum viel beklagten Arbeitskräftemangel (nicht nur in der Gastronomie) interessiert den Landrat. Nein, er will etwas anderes: „Die Leute“, sagt er, „sehen dann: Jawoll, der bemüht sich, der gibt etwas zurück und ist nicht nur Leistungsempfänger“. Kurze Frage: Gälte das nicht auch, wenn Geflüchtete regulär arbeiten dürften und auf Sozialleistungen verzichten könnten?Es sind also „die Leute“, denen Landrat Herrgott etwas klarmachen will. Welche Leute? Nun ja, an welchem Stammtisch sie sitzen, ist nicht schwer zu erraten. An demjenigen, wo geglaubt wird, dass Asylsuchende in der Hängematte liegen oder uns die Zahnarzttermine wegnehmen – es sei denn, man zwingt sie, für 80 Cent pro Stunde die Unterkunft zu putzen.Rhetorik und Politik der AfDChristian Herrgott hat erst Ende Januar die Landratswahl sehr knapp gegen einen AfD-Kandidaten gewonnen, unterstützt vom gesamten demokratischen Spektrum bis hin zur Linken. Nun aber setzt er ein weiteres Zeichen, wie der „Kampf gegen rechts“ aus CDU-Sicht im Jahr der drei Ost-Landtagswahlen gemeint ist: Bekämpfung der AfD durch Imitation ihrer Rhetorik und ihrer Politik. Die CDU-Landtagsabgeordnete Beate Meißner hat das gerade in schamloser Offenheit auf den Punkt gebracht. Auf X kommentierte sie Herrgotts Vorstoß so: „Apropos, was macht eigentlich dieser erste AfD-Landrat Deutschlands in #Sonneberg? Nichts als heiße Luft: weder #Bezahlkarte noch Arbeitsverpflichtung für #Fluechtlinge! Die einen hetzen, die anderen machen!“ In Kurzfassung: Wer macht hier wirklich AfD-Politik? Die CDU!Es ist nicht nur die zunehmende Angleichung an den rechtsextremen Diskurs, was diese Art von „Christdemokratie“ so gefährlich macht. Es ist auch der symbolpolitische Überschuss, der darin steckt.Was Thüringens CDU-Landeschef Mario Voigt sagtThüringens CDU-Landeschef Mario Voigt hat Herrgotts 80-Cent-Manöver ein „Zeichen für notwendige Begrenzung von Zuwanderung“ genannt, und damit hat er auf fatale Weise recht. Selbst wer dem Mantra von der „Begrenzung von Zuwanderung“ folgt, weiß sehr genau, dass Arbeitspflicht zum Dumpinglohn in Deutschland niemanden im globalen Süden davon abhalten wird, vor Gewalt, Klimaschäden oder Armut zu fliehen. So werden mit Bezahlkarten, Abschiebe-Erleichterungen oder eben 80-Cent-Jobs „Zeichen“ gesetzt, die nur einen Zweck erfüllen: den Leuten wider besseres Wissen vorzutäuschen, dass Zuwanderung, die man vorher ständig als Bedrohung darstellt, auf diese Weise einzudämmen sei.Das ist, wie gesagt, nicht nur deshalb problematisch, weil es den rechten Abschottungs-Diskurs zugleich bedient und verstärkt. Es ist vor allem auch deshalb fatal, weil es die Anfälligkeit für die Parolen der antidemokratischen Rechten noch verstärken wird. Und zwar in der Weise, dass man die falsche Erwartung erfolgreicher Abschottung nicht nur schürt, sondern absehbar enttäuscht. Einfach deshalb, weil diese Abschottung nicht nur inhuman, sondern zugleich unrealistisch ist. Da wird ein vermeintliches Übel mit immer denselben „Zeichen“ behandelt, und wenn sie wie zu erwarten nichts bewirken, ist das zusätzliches Wasser auf die Mühlen der rassistischen Rechten.Eine Migrationspolitik, die die langfristige Bekämpfung von Fluchtursachen mit einem Höchstmaß an Humanität im Hier und Jetzt verbände, wäre sicher nicht einfach. Aber sie wäre die einzige Alternative. Nur redet davon praktisch niemand mehr. Und das ist das schlimmste aller Zeichen.