Es folgt, aus aktuellem Anlass, ein kleiner Auszug aus dem Fachlexikon für Politikverdrossene: Regierung ist, wenn sich irgendwer in einem Ministerium verschanzt, um Freunde und Verwandte mit Aufträgen, Posten oder anderen Vorteilen zu versorgen. Opposition ist, wenn diejenigen, die es früher genauso gemacht haben, sich jetzt darüber empören.
So einfach ist es natürlich nicht. Aber wer sich die jüngsten Vorgänge im Wirtschaftsministerium des Mustergrünen Robert Habeck anschaut, kann das resignierende Kopfschütteln mancher Menschen über den Zustand der Demokratie ein bisschen verstehen. Habeck konnte zwar am Ende nicht anders, als Patrick Graichen zu entlassen, den Staatssekretär mit vielfältigem Familienanschluss im Energiewen
Energiewende-Sektor. Zugleich aber klagt er über „Kampagnen“, die in Wahrheit gegen seine Politik gerichtet seien. Die Opposition wiederum spricht von „Netzwerken“ und „Familienclan“, als wäre Habeck der Pate einer mafiösen Organisation zum gewaltsamen Ausbau von Gasheizungen.Es ist also Zeit, ein wenig zu sortieren, was hinter all dem Getöse steckt.Erstens: Diejenigen, die sich jetzt genussvoll empören, wissen immerhin, wovon sie reden, schließlich gehörte die Platzierung Gleichgesinnter und Vertrauter an wichtigen Stellen jahrelang zu ihrer eigenen Praxis. Eines von vielen Beispielen ist Hildegard Müller, deren Weg vom Vorsitz der Jungen Union über Angela Merkels Kanzlerinnenamt und den Energiekonzern RWE an die Spitze des Verbands der Automobilindustrie führte. Wer solche Leute in der Partei hat, verfügt bei Netzwerken automatisch über eine gewisse Expertise.Zweitens, jetzt ganz im Ernst: Natürlich weiß auch die Opposition, dass bei der Neubesetzung von Ministerien Menschen ausgewählt werden, die mit der Leitung des Hauses politisch übereinstimmen, und auch gegenseitiges Vertrauen unter den Beteiligten ist nicht verboten. So zu tun, als sei schon dadurch eine grüne Verschwörung im Gange, ist Nonsens. Und dass Verwandte eines Umweltaktivisten, wie Staatssekretär Graichen einer war, ebenfalls in umweltbewegten Institutionen arbeiten: Na und?Allerdings, drittens: Die Verlogenheit der Kritik legitimiert das kritisierte Verhalten keineswegs, Posten- und Auftragsvergaben aus freundschaftlicher oder familiärer Nähe sind nicht zu entschuldigen. Und die Art, in der Graichen sich (unterstützt von Habeck) anfangs dennoch rechtfertigte, disqualifizierte ihn zusätzlich: Wer von sich behauptet, dass ihm so etwas quasi aus Versehen passiert, mag ein energiepolitisches Genie sein, ein verantwortlicher Politiker ist er nicht.Viertens, und hier wird das ganze Drama zum echten politischen Problem: Die Affäre Graichen macht es der Konkurrenz der Grünen (inklusive FDP) leicht, klimapolitische Bekenntnisse und Vorstöße als Ausgeburten moralisierender Überheblichkeit abzutun. Das ist zwar zutiefst bigott. Aber tatsächlich zeigt ja diese Affäre, wie schnell selbst die Führungskräfte einer aus zivilgesellschaftlichen Bewegungen entstandenen Partei grundlegende Ansprüche an eine saubere und transparente Amtsführung vergessen können.Fünftens schließlich hat das Ganze eine paradoxe Pointe: Der Vorwurf, Robert Habeck peitsche mit seinen Kumpels eine radikale Heizungspolitik durch, bestätigt ja indirekt sein Selbstbild als konsequenter Klimaschützer. In Vergessenheit gerät dabei, dass er im Zweifel windelweiche Kompromisse mitträgt – zum Beispiel die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes auf Drängen der FDP. Die Frage, ob für eine solche Politik überhaupt engagierte Klimaschützer wie Patrick Graichen notwendig sind, wäre wirklich eine Debatte wert.