Jugendcheck in Politik: "Eine charmante Idee"

Mediensalon Jugendthemen Spott nach der Wahl: Vielleicht sollte Berlin sich öfter am Bund orientieren. Im Mediensalon wurde das ohne Ironie diskutiert: Die Jugendstrategie des Bundes als Vorbild.

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Die Online-Veranstaltung „Berliner Mediensalon“ am 13. Oktober zur Frage, wie sich Jugendliche in der Landespolitik wiederfinden, begann mit der ersten Antwort von Tilmann Weickmann vom Landesjungendring genau da, wo die Vorgängerveranstaltung kurz vor den Wahlen zum Bundestag, zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Berliner Bezirken als Fazit geendet hatte: Wahlalter auf 16 Jahre absenken, lautete seine Empfehlung.

Dass ein Wahlalter mit 16 Jahren, wie es in einigen anderen Bundesländern schon eingeführt ist, in der neuen Legislaturperiode endlich auch für das Land Berlin durchgesetzt werden sollte, darin waren sich die Teilnehmer*innen in der von Charlotte Bauer von der Berliner Morgenpost moderierten Diskussion überwiegend einig. Eine Absenkung des Wahlalters mache die Jugendlichen als potenzielle Wähler*innen für die Politik interessanter und sei bei der gegenwärtigen Bevölkerungspyramide ein wichtiger Ausgleich. Das habe die Pandemie-Politik gezeigt, deren Fokus auf den Älteren lag.

Für Franziska Brychy von der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus ist es ungerecht, dass 16Jährige in Brandenburg wählen dürfen, auf Berliner Landesebene aber nicht. Mathias Schulz, neugewähltes SPD-Mitglied des Abgeordnetenhauses mit der ungewöhnlichen Berufskombination Lokführer und Jurist, verlangte das Wahlalter 16 generell einzuführen, nicht nur im Bundesland, sondern auch auf Bundesebene sowie für Volksentscheide. Marianne Burkert-Eulitz von den Grünen erklärte dies zu einer schnell zu erledigenden Aufgabe, ein Antrag der Grünen-Fraktion habe schon in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegen. Da es sich aber um eine Verfassungsänderung handele, sei eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig, und das sei mit der Berliner CDU nicht zu machen gewesen.

Die neugewählte CDU-Repräsentantin für Mahlsdorf und Kaulsdorf, Katharina Günther-Wünsch, die als Lehrerin schon an vielen Schulen in Deutschland und im Ausland gearbeitet hat, bevor sie in ihren Heimatbezirk zurückgekehrt ist, hatte keinen leichten Stand in dieser so einhelligen Runde. Sie stehe „sehr ambivalent“ zu einem Wahlalter mit 16 Jahren, sagte sie. Allerdings habe die Politik die „Interessen von Jugendlichen lange von hinten aufgezogen, statt direkt mit ihnen zu reden“. In Marzahn-Hellersdorf gebe es ein Jugendparlament, das leider von Corona ausgebremst wurde. Dass dessen Vertreter*innen allerdings im Gegensatz zur Seniorenvertretung in der Bezirksversammlung kein Rederecht hätten, könne so nicht bleiben.

Allerdings meinte sie, ein Wahlrecht im Bezirk reiche aus. Jugendliche würden sich eher „für ihren Kiez“ interessieren, was Brychy und Burkert-Eulitz energisch bestritten. Jugendliche würden sich sehr für „die großen Themen und die Weltpolitik“ interessieren. Das zeige auch das Engagement bei „Fridays for Future“. Oder bei der Grünen Jugend, fügte Burkert-Eulitz hinzu: „Die halten uns ganz schön auf Trab.“

Die zweite dringende Forderung des Landesjugendring-Geschäftsführers Weickmann an diesem Abend galt einer „Jugendstrategie“ für Berlin. Diese wurde für die Bundespolitik von der Großen Koalition im Dezember 2019 beschlossen. Diese Jugendstrategie sieht in einem „Jugendcheck“ vor, dass alle Gesetzesvorhaben und Maßnahmen in allen Ressorts auf ihre Auswirkungen für Kinder und Jugendliche abgeklopft werden müssen und Jugendpolitik nicht nur eine Angelegenheit des entsprechenden Ministeriums sein darf.

Gerade in einer solchen Verbindlichkeit und vor allem in der Öffnung vieler Themen für eine Jugendperspektive sah die Diskussionsrunde eine Möglichkeit zu einem wesentlichen Fortschritt. So würde in der Wohnungspolitik zwar von jungen Familien und ihre Nöten gesprochen, zu selten aber von Auszubildenden und Studierenden, die sich vom Elternhaus abnabeln und in einer eigenen Bleibe selbstständig werden wollten. Öffentliche Räume würden viel zu wenig als Aufenthaltsorte für Jugendliche gesehen, die nicht nur auf die zu wenigen und oft zu maroden Jugendfreizeiteinrichtungen verwiesen werden dürften. Gerade bei beengten Wohnverhältnissen seien öffentliche Räume mit Aufenthaltsqualität für Jugendliche eine wichtige Rückzugsmöglichkeit, ein Ort für den wichtigen Austausch unter Gleichaltrigen. Das zeige ja die laufende Diskussion um die Parks, die nicht für Jugendliche gesperrt werden dürften, meinte Schulz.

Neben der Sozialpolitik seien auch Verkehrspolitik und öffentliche Sicherheit Beispiele, wo die Interessen junger Menschen zu wenig beachtet würden. Schließlich wollten sich auch junge Menschen gut und gefahrlos durch die Stadt bewegen können.

„Eine charmante Idee“ nannte Brychy eine solche Jugendstrategie für Berlin. Schulz forderte, diese nicht nur vom Bund zu übernehmen, sondern für Berlin eigene, vielleicht in Teilen sogar bessere Lösungen zu finden. Burkert-Eulitz sah dafür als Ausgangsbasis eine Bestandsaufnahme, wie der „Jugendcheck“ auf Bundesebene bisher funktioniere. Auch Günther-Wünsch sieht zu viel „Stückwerk“ in der Jugendpolitik und würde einen „Jugendcheck“ schon jeweils bei Planungsbeginn begrüßen. Reaktionen, die Weickmann am Ende der Online-Runde sehr erfreut zur Kenntnis nahm, weshalb er voller Spannung auf die kommende Legislaturperiode – und die Berliner Regierungskoalition – blickt.

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Die Veranstaltungsreihe „Jugend, Politik und Medien im Wahljahr“ wird von der Landeszentrale für Politische Bildung Berlin gefördert.

#Mediensalon ist eine Veranstaltung der gemeinnützigen meko factory – Werkstatt für Medienkompetenz in Kooperation mit Deutscher Journalistenverband DJV Berlin – JVBB e.V., Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di, unterstützt von der Otto Brenner Stiftung und Landau Media. Den Livestream gestaltete die taz kantine.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Susanne Stracke-Neumann

Susanne Stracke-Neumann ist freie Journalistin. Für die meko factory berichtet sie über Veranstaltungen.

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