Bauer sucht Kunden

Protest Weil der Milchpreis fällt, gehen Landwirte auf die Straße. Wer ihre Arbeit kennt, versteht die Wut
Ausgabe 37/2015
Die Milchbauern empfinden ihre Situation als entwürdigend
Die Milchbauern empfinden ihre Situation als entwürdigend

Bild: Imago/BildFunkMV

Wer jemals einen Kuhstall von innen gesehen hat, weiß, wie viel Arbeit es macht, Milch zu produzieren. Frühmorgens und spätabends sind die Milchbauern im Stall, zum Füttern, Melken, Klauenpflegen, zum Besamen der Rinder, zum Behandeln kranker Tiere, bei der Reparatur des Futtermischwagens. Dann geht’s auf die Felder, danach an den Computer, zur Kontrolle der Milchleistung und der Futterzusammenstellung, und dann wieder in den Stall, oft bis spät in die Nacht. Kälber kommen auch nach Mitternacht zur Welt. Gemolken wird zweimal täglich, natürlich auch am Wochenende und an Feiertagen. Und selbst da, wo ein Melkroboter die Arbeit erleichtert, muss der Landwirt präsent sein und seine Hochleistungskühe im Blick haben.

Das ist kein Beruf, eher eine Berufung, sagen die Milchbauern und schwärmen von den schönen Momenten: Wenn sie abends in den Stall kommen und 100 Kühe friedlich daliegen und gewissenhaft wiederkäuen. Oder wenn die Rinder im Frühjahr auf die Weide gelassen werden und dort herumtoben. Wer das gesehen hat, versteht den Zorn der Milchbauern, die in der vergangenen Woche in München, Brüssel und Paris gegen die fallenden Milchpreise protestiert haben. Weniger als 30 Cent für einen Liter Milch bekommen die deutschen Bauern zurzeit – ein entwürdigender Preis für die malochenden Bauernfamilien, deren Kühe gigantische Milchleistungen von mehr als 10.000 Litern pro Jahr oft mit dem frühen Erschöpfungstod bezahlen.

Ende März hat die EU die Milchquote abgeschafft, seitdem darf jeder Milchbauer in Europa so viel Milch produzieren, wie er möchte, und seitdem sind die Preise im freien Fall. Mit dem Erlös für Milch können die Bauern ihre Kosten nicht mehr decken, viele stehen kurz vor der Pleite. „Ich komm mir vor, als müsste ich Eintritt zahlen, wenn ich in den Stall gehe“, klagt ein Milchbauer. Weil aber die Millionenkredite für die teuren Ställe, Melkanlagen und Maschinen trotzdem weiter abbezahlt werden müssen, holen die Landwirte so viel Milch wie möglich aus ihren Kühen. Und das verschärft das Problem: Je mehr Milch auf den Markt kommt, desto tiefer sinken die Preise. Eigentlich sollten diese Milchmengen auf dem wachsenden Weltmarkt abgesetzt werden, das war zumindest die Hoffnung des Bauernverbands und der Politik. Weil Inder, Chinesen und Russen immer mehr Milchprodukte konsumieren und Milchpulver aus Deutschland dort einen guten Ruf hat, machen die Molkereien gute Geschäfte. „Mit deutscher Qualität weltweit erfolgreich“, wirbt die größte deutsche Molkerei, das Deutsche Milchkontor.

Das Risiko tragen die Milchbauern: Wegen des Kriegs in der Ukraine hat Russland einen Importstopp für Milch aus Europa verhängt, und darauf können sie nicht flexibel reagieren und die Milchmenge drosseln. Sie können ihre Milch weder lagern noch den Kühen Kurzarbeit verordnen. Gut für die Molkereien, sie nutzen das Überangebot und kaufen den Rohstoff eben unter den Herstellungskosten.

Wie es besser gehen kann, zeigt die Ökolandwirtschaft. Für biologisch produzierte Milch gibt es derzeit 17 Cent pro Liter mehr als für Milch aus konventionellen Betrieben. Das zeigt den Landwirten, dass die regionale Nachfrage nach frischer Biomilch beständiger ist als der unkalkulierbare Weltmarkt. Landwirte brauchen zuverlässige Kunden. Und die sollten vielleicht auch mal einen Stall besuchen.

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