Für eine emanzipatorische LINKE in Bewegung

DIE LINKE Plädoyer zur Strategiedebatte: Die Partei muss mehr Mut zum inneren Widerspruch zeigen und sich vom Verständnis der sozialdemokratischen Stellvertreter*innenpolitik lösen

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„Es darf keinen Zweifel geben: DIE LINKE ist DIE gesellschaftliche Oppositionskraft“
„Es darf keinen Zweifel geben: DIE LINKE ist DIE gesellschaftliche Oppositionskraft“

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

Die Partei DIE LINKE ist ein Geschenk. Noch nie zuvor ist es in Deutschland gelungen, eine Linkspartei jenseits der Sozialdemokratie zu etablieren, der dauerhaft eine bundespolitische Bedeutung zugeschrieben wird. Dieser Erfolg beruht auf der Tatsache, dass DIE LINKE unterschiedliche Strömungen und Ansätze des linken Spektrums bündelt und sammelt. DIE LINKE ist im besten Sinne des Wortes also eine linke Sammlungspartei. Bei allen notwendigen Debatten über die strategische Ausrichtung der Partei, darf dieser Fakt niemals vergessen werden. Nur gemeinsam und solidarisch im Umgang können wir stark sein. Oberstes Prinzip sollte deshalb der Grundsatz „Einheit vor Klarheit“ sein. Brüche mit einzelnen Traditionen innerhalb der Partei schaden nicht nur der Partei als Ganzes, sondern der gesamten gesellschaftlichen Linken. Dennoch habe ich versucht einige Gedanken zur künftigen strategischen Ausrichtung der Partei auszuformulieren, die dieses Prinzip berücksichtigen.


Mut zum inneren Widerspruch!

Genau so vielfältig wie die Mitglieder und Strömungen der Partei DIE LINKE sind die kollektiven und individuellen Ausbeutungs- und Diskriminierungserfahrungen in modernen kapitalistischen Gesellschaften. Was sie eint ist, dass der neoliberale Kapitalismus diese Ausbeutungs- und Diskrimierungserfahrungen nicht beseitigt, sondern immer wieder reproduziert:

Der Neoliberalismus bringt den von der bürgerlichen Mitte bereits überwunden geglaubten Klassenkonflikt als neue soziale Frage zurück auf das Tableau der politischen Auseinandersetzung. Dabei stehen die Kämpfe und Auseinandersetzungen um Wohnraum, prekäre Arbeit, Armut, Gesundheit und die ungleiche Vermögensverteilung im Zentrum der Debatte.

Die Kämpfe um den Paragraphen 219a und die große Zahl an Femiziden zeigen, dass das Patriarchat nach wie vor fest im Sattel sitzt. Die zunehmende Abschottungspolitik der Industriestaaten, Asylrechtsverschärfungen, Neonazi-Netzwerke bei Polizei und Bundeswehr und rechtsterroristische Gewalt sind Symptome einer strukturell rassistischen Mehrheitsgesellschaft. Trotz Fortschritten wie der „Ehe für Alle“ ist die Gleichstellung von queeren Menschen ist noch lange nicht erreicht.

Die Klimakrise verstärkt die Effekte einer auf Ausbeutung und Ungleichheit beruhenden globalen Wirtschaftsweise noch zusätzlich. Während die Einen durch ihren schier grenzenlosen Ressourcenhunger die Klimakrise vorantreiben, werden die Anderen zuerst von seinen Auswirkungen betroffen sein. Neue Fluchtursachen und steigende Fluchtbewegungen werden die Folge, eine nochmals verstärkte Abschottungspolitik die Antwort sein. Auch innerhalb reicher kapitalistischer Gesellschaften werden sich die Reichen leicht vor den Folgen der Klimakrise schützen können, während die Armen von den Kosten der Klimapolitik mit aller Wucht getroffen werden.

DIE LINKE muss die Kämpfe gegen all diese unterschiedlichen Ausbeutungs- und Diskriminierungserfahrungen bündeln und eine Plattform für all jene bieten, die nicht zu den Gewinner*innen des neoliberalen Kapitalismus gehören. Sie muss die verschiedenen sozialen Kämpfe in einer verbindenden Klassenpolitik zusammenführen.

Dabei können vordergründig durchaus Widersprüche zwischen unterschiedlichen sozialen Kämpfen entstehen, die nicht immer aufzulösen sind. DIE LINKE muss deshalb immer wieder das Verbindende in den Vordergrund stellen und Mut zum inneren Widerspruch zeigen. Ein verbindendes Element ist die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, hinter dem sich unterschiedliche soziale Kämpfe vereinen lassen. Statt mit detailreichen realpolitischen Forderungen in die politische Auseinandersetzung zu ziehen, muss unser Programm die Herzen und Emotionen der Menschen ansprechen. Damit wäre es im besten Sinne „linkspopulistisch“, da es die Vision einer besseren Zukunft vermittelt, ohne immer schon auf alle Fragen eine Antwort parat zu haben. Wir müssen den Mut haben uns auf den Weg zu machen, diese Antworten zu finden. Auf diesem Weg ist ein breiter und diskursiver Prozess notwendig, der nicht von oben dirigiert, sondern von den Betroffenen selbst entwickelt werden muss.

Wie dies gelingen kann, zeigt das Beispiel Hessen deutlich. Auf der einen Seite fungiert DIE LINKE hier als parlamentarischer Arm der Flughafenausbau-Gegner*innen, auf der andere Seite ist sie wichtige und anerkannte Verbündete im Kampf für gute und sichere Arbeitsplätze am Frankfurter Flughafen. Dieser scheinbare Widerspruch zwischen den Interessen löst sich im Kampf gegen das neue Billigflugterminal auf: es steht für mehr Lärm und klimaschädliche Mobilität aber auch für schlechtere Arbeitsbedingungen und Ausbeutung.


Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun

Aus diesem emanzipatorischen Politikverständnis des „selber machen“ heraus resultiert die Einsicht, dass DIE LINKE Bewegungspartei sein muss. Nur dadurch ist ein konsequenter Bruch mit einer sozialdemokratischen Stellvertreter*innenpolitik möglich. Uns darf es nicht nur darum gehen „für die Menschen“ Politik zu machen, wir möchten mit den Menschen zusammen unsere gemeinsame politische Zukunft gestalten. Deshalb muss DIE LINKE sich als aktiver Teil der sozialen Bewegungen und Initiativen sehen.

Wir arbeiten im Betriebsrat mit, organisieren das Stadtteilfest oder engagieren uns im selbstverwalteten migrantischen Zentrum. Wir sind Teil der Klimabündnisse, organisieren mit anderen Aktivist*innen feministische Lesekreise und bringen uns in den lokalen Antifa-Gruppen ein. Und natürlich machen wir Ämterbegleitung und sind in der Erwerbslosenhilfe aktiv um mit den Betroffenen zusammen den bürokratischen Dschungel zu durchdringen und zu verstehen. Dadurch tragen wir wesentlich zur Selbstermächtigung der Menschen bei und reichen ihnen die Hand, um gemeinsam für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Schon Emil Luckhardt dichtete 1910: „Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“


Fraktionen als Sprachrohre der Bewegung

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Gesellschaftlicher Fortschritt vollzieht sich in erster Linie nicht über die Parlamente, sondern über gesellschaftlichen Druck. Ohne die Kämpfe der Frauenbewegung hätten wir heute kein Frauenwahlrecht, ohne große gewerkschaftliche Auseinandersetzungen gäbe es keinen 8-Stunden-Tag. Immer mussten soziale Errungenschaften gegen Widerstand der Herrschenden erkämpft werden. Erst wenn der gesellschaftliche Druck zu groß wurde, griffen die etablierten Parteien in den Parlamenten Forderungen auf und setzten diese um.

Für die verschiedenen Linksfraktionen ergibt sich daraus ein klarer Auftrag: Sie müssen in den Parlamenten die Anwältinnen der Initiativen und die Sprachrohre der Bewegungen sein, die in der Gesellschaft für soziale Veränderungen eintreten. So geben sie den vielfältigen Bündnissen eine Stimme im parlamentarischen Diskurs, so fungierten sie als Scharnier zwischen Parlament und APO und unterstützen die Bewegungen personell und infrastrukturell. Je nach politischer Ebene ergeben sich andere Bündnispartner*innen für die Fraktionen. Diese reichen von den Gewerkschaften und der Klimabewegung über die Initiativen zur Abschaffung der Straßenbeiträge bis zum bürger*innenschaftlichen Engagement zur Erhaltung des kommunalen Schwimmbades.

Regieren ja - aber richtig!

DIE LINKE diskutiert gerne und leidenschaftlich über die Frage nach möglichen Regierungsbeteiligungen. Auch ich komme in diesem Beitrag nicht um diese Frage herum. Allerdings glaube ich, dass die Frage, ob DIE LINKE prinzipiell bereit für die Übernahme von Regierungsverantwortung sein sollte oder nicht, falsch gestellt ist. Stattdessen sollten wir uns die Frage stellen, wie eine gute linke Regierungsarbeit aussehen kann, die die konkrete Lage der Mehrheit der Menschen verbessert.

Es darf keinen Zweifel geben: DIE LINKE ist DIE gesellschaftliche Oppositionskraft. Wir stehen in Opposition zum herrschenden neoliberalen kapitalistischen System, zu Patriarchat und strukturell-rassistischer Mehrheitsgesellschaft. DIE LINKE kämpft für eine sozial gerechte, ökologische, friedliche und demokratische Gesellschaft in der jede Einzelne die Möglichkeit zur freien Entfaltung, frei von Armut, Ausbeutung und Diskriminierung besitzt - kurz: Für den demokratischen Sozialismus.

Diese Haltung muss sich auch in möglichen Regierungsbeteiligungen wiederspiegeln. Der LINKEN muss es gelingen, regierende Opposition zu sein. Niemals darf sie staatstragend oder gar Staatspartei werden, sich niemals mit den gesellschaftlichen Verhältnissen abfinden und soziale und ökologische Ausbeutung akzeptieren. Dazu ist es unerlässlich sich ein distanziertes und kritisches Verhältnis zu den staatlichen Institutionen und ihren Repressionsorganen zu bewahren.

In möglichen Mitte-Links-Koalitionen wird DIE LINKE immer eine Partnerin von mehreren sein. Das bedeutet zwangsläufig, dass sie das eigene Programm nicht vollumfänglich wird umsetzten können und Kompromisse eingehen muss. Dieser scheinbare Nachteil ist in Wahrheit allerdings ein großer Vorteil. So kann DIE LINKE auch in Regierungsverantwortung weiter Bewegungspartei bleiben und im Parlament den Forderungen der Bewegungen und Initiativen eine Stimme geben, statt mit den Koalitionspartner*innen ausgehandelte Minimalkompromisse als den großen Wurf zu verkaufen. Es muss unsere Aufgabe sein, über Maximalforderungen und dem gemeinsamen Agieren mit und in den Bewegungen, die Koalitionspartner*innen unter Druck zu setzen und vor uns herzutreiben. Das darf durchaus auch zu Reibereien führen, auch in einer Regierungkoalition sollten die Unterschiede zwischen den Regierungsfraktionen deutlich zu Tage treten. Damit dies funktionieren kann, braucht es die kritische Begleitung aus den Bewegungen.

Dass eine solche Strategie erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel Berlin sehr deutlich. Ohne das konsequente Eintreten der Genoss*innen in Regierungsverantwortung für die Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“ und der Druck, der damit auf die SPD erzeugt wurde, wäre ein mietenpolitischer Meilenstein wie der „Mietendeckel“ wohl kaum möglich gewesen.

Klar sollte allerdings auch sein: Wenn wir es über diese Strategie nicht schaffen, die konkrete soziale Lage der Menschen zu verbessern, dann müssen wir auch den Mut dazu aufbringen, Regierungsbündnisse zu verlassen. Ansonsten verspielt DIE LINKE das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit in der Zielgruppe, was eine Schwächung der gesamten gesellschaftlichen Linken mit sich zieht.

Der Parteivorstand der LINKEN hat für den 29. Februar und 1. März eine Stratgiekonferenz einberufen um über die künftigen Herausfforderungen und Strategien der Partei DIE LINKE zu diskutieren. Dieser Text entstand als Debattenbeitrag zur Vorbereitung der Konferenz.

Tim Dreyer ist Mitglied im Landesvorstand der LINKEN in Hessen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Tim Dreyer

Linker aus Hessen. Bloggt zu den Themen Politische Ökonomie, Antifaschismus und hessische Landespolitik

Tim Dreyer

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