Es ist noch unklar, wer für den Bombenanschlag auf eine Menschenmenge in der südostiranischen Stadt Kerman verantwortlich ist und damit hinter einem Verbrechen steckt, das die Risiken eines regionalen Krieges erhöht. In Washington wird in Regierungkreisen auf eine mögliche Rolle des Islamischen Staates (IS) oder einer mit ihm verbundenen sunnitischen Extremistengruppe verwiesen, zugleich über eine Partnerschaft zwischen Israel und der iranischen Rebellengruppe Mujahedin-e-Khalq (MeK) spekuliert, die Berichten zufolge zuvor schon Anschläge im Iran verübt haben soll.
Dabei handelte es sich zumeist um gezielte Attentate auf Wissenschaftler, die mit dem Atomprogramm zu tun hatten, oder um Sabotageakte. Der Bombenanschlag vom Mittwoch in Kerman passe jedoch nic
zumeist um gezielte Attentate auf Wissenschaftler, die mit dem Atomprogramm zu tun hatten, oder um Sabotageakte. Der Bombenanschlag vom Mittwoch in Kerman passe jedoch nicht in dieses Muster, argumentieren US- und britische Experten. Er richtete sich gegen Trauernde, die zum vierten Jahrestag des Anschlags auf General Qassem Suleimani – der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden war Anfang Januar 2020 durch eine US-Drohne getötet worden – zu seinem Grab pilgerten und ein öffentliches Gedenken abhalten wollten. Der Angriff erwies sich als entsetzlich, es gab fast einhundert Tote.Das Risiko einer Fehleinschätzung war von Anfang an hochZumindest nach außen ließ die iranische Führung keine Zweifel über die Täter erkennen. Präsident Ebrahim Raisi beschuldigte Israel rundheraus und warnte, dass es „einen bedauerlichen Preis“ zahlen werde. Es dürfte für Teheran unmöglich sein, auf den schlimmsten Terroranschlag seit Bestehen der Islamischen Republik nicht in irgendeiner Weise zu reagieren, doch räumte sich Raisi einen gewissen Spielraum ein, indem er sich nicht zu einem sofortigen Racheakt verpflichtete, sondern davon sprach, dass man zur „rechten Zeit und an einem richtigen Ort“ handeln werde.Die gängige Meinung in Washington, aber auch in Tel Aviv geht davon aus, dass der Iran keinen Konflikt mit Israel und seinen westlichen Unterstützern will – zumindest nicht jetzt. Die regionalen Partner Teherans – etwa die Hisbollah im Libanon und die Huthi-Rebellen im Jemen – haben Israel aus Solidarität mit dem Leid der Palästinenser in Gaza Schaden zugefügt.Doch blieben die grenzüberschreitenden Salven der Hisbollah und die Raketen der Huthi auf die Schifffahrt im Roten Meer so kalibriert, dass die Schwelle zu einem umfassenden regionalen Krieg nicht überschritten wurde. Freilich ist eine solche Kalibrierung eine heikle Angelegenheit, wenn sie mit hochexplosiven Sprengstoffen durchgeführt wird. Das Risiko einer Fehleinschätzung war von Anfang an hoch und ist stetig gestiegen.Die meisten Drohnen und Raketen, die von den Huthi auf Schiffe im Roten Meer abgefeuert wurden, konnten in den vergangenen Tagen von einer durch die USA geführte Taskforce abgefangen werden. Wie durch ein Wunder gab es auf den Zielschiffen keine Todesopfer. Dies wird möglicherweise nicht so bleiben. Im Pentagon kursiert die Meinung, dass die Huthi eine Bedrohung für die freie Schifffahrt darstellten – dies sei eine schon zu lange schwelende Gefahr.Hisbollah nennt Ermordung von Hamas-Führer Saleh al-Arouri Angriff auf LibanonAm 31. Dezember wurden in den frühen Morgenstunden von US-Hubschraubern drei Huthi-Boote versenkt, die an einem Schiffsangriff beteiligt waren. Die Besatzungen kamen ums Leben. Direkte Angriffe auf Raketenstandorte und Kommandozentralen im Jemen, die bisher aus Angst um den dortigen Friedensprozess vermieden wurden, gehören inzwischen zu den militärischen Optionen, die auf dem Tisch liegen. Am 3. Januar warnten die USA und elf ihrer globalen Verbündeten die Huthi, dass sie „die Verantwortung für die Folgen“ weiterer Angriffe auf die Schifffahrt zu tragen hätten. „Ich gehe nicht davon aus, dass es eine weitere Warnung gibt“, meint ein hochrangiger US-Beamter. Die Aussage spricht für sich.Unterdessen lässt sich auch nicht abschätzen, wie sich die Eskalation der Ereignisse seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober auf die Risiko-Nutzen-Rechnung in Teheran auswirkt. Am 25. Dezember wurde ein hochrangiges Mitglied der Revolutionsgarden bei einem israelischen Luftangriff auf Damaskus getötet, und am 2. Januar Saleh al-Arouri, der stellvertretende politische Führer der Hamas, bei einem offensichtlich israelischen Angriff auf Beirut getötet. Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah nennt die Ermordung Arouris eine „eklatante israelische Aggression gegen Beiruts Dahiyeh“ und bezieht sich damit auf den südlichen Vorort, eine Hochburg seiner Organisation, um deutlich zu machen, dass er darin einen Angriff auf die Hisbollah und den Libanon gesehen hat.Die libanesische Botschaft in Washington versicherte indessen der Biden-Regierung, dass die Tötung Arouris keine massive Vergeltungsmaßnahme der Hisbollah auslösen werde, die dazu führen könnte, dass die – noch – schwelende Konfrontation entlang der umstrittenen Grenze zwischen Israel und dem Libanon eine „rote Linie“ überqueren werde. Allerdings war die schwache libanesische Regierung bei ihrem Urteil über die Absichten der Hisbollah nicht immer vorausschauend.Seit dem 7. Oktober sind die Israelis an der Nordgrenze nicht mehr bereit, eine feindliche Präsenz auf der anderen Seite des Zauns zu dulden. Die USA haben deshalb zweimal interveniert, unmittelbar nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober und dann noch einmal um Weihnachten herum, um einen israelischen Präventivangriff auf die Hisbollah und ihr Arsenal von mehr als 120.000 Raketen zu verhindern. Es ist jedoch klar, dass im Blick auf Gaza und den Libanon innenpolitische Erwägungen wichtiger sind als der Druck der USA auf Premierminister Benjamin Netanjahu.Keine friedliche Lösung in Sicht„Netanjahu hört nicht so gut zu, wie alle gehofft hatten“, sagte ein europäischer Diplomat. „Für Netanjahu ist der Krieg wahrscheinlich eine Gelegenheit, den 7. Oktober zu korrigieren und zu kompensieren, aber bei diesem Kalkül spielen auch bei ihm innenpolitische Gründe eine Rolle.“Das Mantra seines Kabinetts bleibt: Wenn die internationale Gemeinschaft nichts gegen die Hisbollah-Präsenz an der israelischen Nordgrenze unternimmt, nimmt Israel die Sache selbst in die Hand.Die USA und Frankreich haben zuletzt eine mögliche diplomatische Lösung unter Einbeziehung ausländischer Streitkräfte und der libanesischen Armee als Puffer geprüft. Auch regten sie an, das derzeit schwache Mandat der entlang der „blauen Linie“ stationierten UN-Truppe zu stärken. Nach der Ermordung von al-Arouri und der Gräueltat in Kerman erscheint aber jede Hoffnung auf eine solche friedliche Lösung umso verlorener.