CO₂-freie Schifffahrt bis 2050 „definitiv realistisch“
Saubere Treibstoffe Elektroschiffe, Wasserstoffantrieb und selbst die gute alte Windkraft reduzieren Emissionen. Aber echter Wandel erfordere Mut und sei abhängig von staatlichen Entscheidungen, sagen seine Verfechter
Das norwegische Unternehmen Hurtigruten setzt auf die Nutzung von Hybridtechnologie
Foto: Hurtigruten Group
Die Passagierfähre MV Sea Change wird diesen Monat ihre Jungfernfahrt über die San Francisco Bay antreten. Die 75 Passagiere an Bord erwartet nicht die übliche einstündige Tuckerei in Richtung Norden bis nach Vallejo in Kalifornien. Nicht nur wird ihnen auffallen, wie leise der Motor ist: die Emissionen, die das Schiff freisetzt, könnten sie sogar trinken. Die MV Sea Change ist die erste kommerzielle Fähre, die nicht von einer der üblichen Dieselmotoren angetrieben wird, sondern ausschließlich mit Wasserstoff. Die einzige Emission des Schiffs ist reines Wasser.
Das Projekt ist ein Pilotversuch, mit dem die San Francisco Bay Area Water Emergency Transportation Authority ihr Ziel erreichen will, die dieselbetriebenen Fähren bis 2035 nach und nach a
und nach abzuschaffen. „Wir wollen ein Katalysator für die Entwicklung dieser Technologie sein“, erklärte der Exekutivdirektor der Behörde, Seamus Murphy.Schifffahrt mit niedrigem CO₂-Ausstoß schlägt im gesamten maritimen Sektor hohe Wellen. Im Mai ließ das Unternehmen Future Proof Shipping mit Sitz im niederländischen Rotterdam ein emissionsfreies, von Wasserstoff angetriebenes Containerbinnenschiff zu Wasser. Es transportiert mehrfach die Woche Waren zwischen den Niederlanden und Belgien. Laut dem Unternehmen sollen damit jährlich 2.000 Tonnen CO₂ eingespart werden, die Dieselmotoren ausgestoßen hätten.Die potenziellen Vorteile einer saubereren Schifffahrt für die Ozeane und den Klimawandel sind enorm. Laut einer im Jahr 2020 von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) veröffentlichten Studie ist die Schifffahrt für fast drei Prozent der gesamten weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dazu kommt, dass herkömmliche Motoren Partikel ausstoßen, die Luft und Wasser verschmutzen. Außerdem stört der Schiffslärm die Meeresfauna und -flora. Bei Nordatlantikwalen etwa löst er chronischen Stress aus.Wasserstoff-Herstellung ist sehr energieintensivBereits heute versucht die Schifffahrt, den Treibstoffverbrauch zu senken, allerdings in eher bescheidenem Maße. Mehr als 20 kommerzielle Cargo-Schiffe nutzen Windkraft, um den Einsatz von Treibstoffen zu senken. Das ist aber nur ein winziger Teil der mehr als 50.000 Handelsschiffe, die die Weltmeere befahren. Zudem sind die Wetterbedingungen zu unvorhersehbar und unbeständig, als dass sich der Transport ganz auf Windantrieb umstellen ließe.Einige Dieselschiffe nutzen „Luftschmierung“, um den Widerstand zwischen Meer und Schiffsrumpf zu verringern: Es wird ein Teppich aus winzigen Blasen auf dem glatten Unterteil des Schiffs gebildet, der eine mäßige Reduktion des Treibstoffverbrauchs und der Treibhausgasemissionen bringt.Wasserstoff ist eine der vielversprechendsten alternativen Treibstoffe, um die Dekarbonisierung der Schifffahrt voranzutreiben, weil er wenig wiegt und die Schiffe mit einem Tank sehr weit fahren können, erklärte Jacob Armstrong, Manager für nachhaltige Schifffahrt bei der Denkfabrik „Transport und Umwelt“ mit Sitz in Brüssel. Fast die Hälfte (43 Prozent) aller Fahrten auf dem längsten Schifffahrtskorridor zwischen China und den USA könnten laut dem International Council for Clean Transport (Internationaler Rat für Sauberen Transport) mit Wasserstoff betrieben werden, ohne dass mehr Treibstoff oder zusätzliche Hafenanläufe erforderlich wären. Mehr noch: Mit einigen Anpassungen könnten 99 Prozent der Fahrten auf der Strecke mit Wasserstoff betrieben werden – indem man entweder fünf Prozent des Cargo-Platzes für mehr Wasserstofftreibstoff freimacht oder einen Hafenanlauf zum Nachtanken in die Route einbaut.Dennoch ist Wasserstoff kein Wundermittel. Er verursacht zwar keine schädlichen Emissionen, aber seine Herstellung ist energieintensiv, da er derzeit noch vor allem durch fossile Brennstoffe hergestellt wird. Es gibt sauberere Optionen wie „grünen“ Wasserstoff, der durch Elektrolyse (oder indem man Strom aus erneuerbaren Energien durch Wassermoleküle leitet, um sie zu spalten) gewonnen wird, aber die Technologie wird noch nicht weit verbreitet eingesetzt.Zudem ist die Speicherung von Wasserstoff schwierig. Um ihn als Gas zu lagern, benötigt man Hochdruckcontainer. In flüssiger Form braucht er extrem niedrige Temperaturen, weil sein Siedepunkt bei -252,8 Grad Celsius liegt. An Lösungen wird gearbeitet: In den USA haben der Wasserstoff-Brennstoffzellenentwickler HyPoint und der Tankhersteller Gloyer-Taylor Laboratories einen leichten und dennoch robusten Tank für den Einsatz in der Luft- und Schifffahrt entwickelt. Auch die norwegische Firma Marine Service Noord stellt Rohre mit doppelten Wänden her, die in Druckwasserstoff-Speichersystemen verwendet werden können.Elektroantrieb hat auf Vorteil auf kurzen StreckenFür kürzere Strecken könnte die Umstellung auf Elektroantrieb eher zum Mainstream werden als die Umstellung auf Wasserstoff, insbesondere weil die Batterien kleiner werden und die Preise sinken. „Im Kurzstreckenverkehr werden Batteriefähren in den nächsten fünf bis 10 Jahren dominieren“, meint Henrik Hagbarth Mikkelsen, Kapitän und Dozent an der Marineschule Marstal in Dänemark.Allein in Europa bedienen laut Mikkelsen 696 Fähren im offenen Meer Strecken von weniger als 22 Seemeilen (41 Kilometer) und könnten leicht durch Elektroschiffe ersetzt werden.Der norwegische Fährenbetreiber Norled ließ 2015 die erste batteriebetriebenes, propellergetriebenes Passagierschiff vom Stapel. Heute betreibt das Unternehmen 80 Elektro-Fähren. „Norwegen hat ein exzellentes politisches Umfeld für die Einführung von Elektroschiffen … Sie sind dabei, in den nächsten zehn Jahren den Großteil ihrer Fährflotte CO₂-Ausstoß-frei zu machen“, erläuterte Armstrong.Von 2026 an müssen alle Schiffe, die die zum Unesco-Welterbe gehörenden norwegischen Fjorde entlangfahren, Null-Emissionen-Standard haben, erklärte er weiter. „Daher haben die Kreuzschifffahrtsreedereien, die traditionell zu den größten Nachzüglern gehören, jetzt in Batterie- und Wasserstofftechnologie investiert. Es ist der Staat, der die Richtung vorgibt. So kommt es zu Veränderungen.“Placeholder image-1Die Reederei Viking Cruises entwickelt wasserstoffangetriebene Schiffe, während das norwegische Unternehmen Hurtigruten auf die Nutzung von Hybridtechnologie mit Batterie umgestiegen ist.Ähnlich transportiert im südlichen Dänemark eine vollelektrische Fähre namens Ellen täglich Passagiere und Fahrzeuge über die 22 Seemeilen (40,7 Kilometer) zwischen den Inseln Ærø und Als. Das Schiff, an dessen Konstruktion Mikkelsen beteiligt war, kann mit einer Füllung 51 Seemeilen (94,4 Kilometer) zurücklegen.Elektrofähren rund 24 Prozent kostengünstiger„Im Vergleich zu einer neuen Dieselfähre fährt Ellen rund 24 Prozent kostengünstiger. Der Grund ist, dass elektrische Lösungen leichter und viel energieeffizienter sind als Dieselsysteme“, erklärte Eric Alström, Präsident von Danfoss Power Solutions, einem Unternehmen, das Teile von Ellen entwickelt hat.Auch haben Fähren bei der Ladeinfrastruktur gegenüber Autos einen Vorteil. Fahrplanmäßige Fähren seien einfacher zu handhaben als Straßenfahrten, argumentierte Alström. „Wir wissen ganz genau, wie viel Energie gebraucht wird. Daher lässt sich für den Hafen die genaue Aufladezeit kalkulieren und in den Fahrplan einrechnen.“Placeholder image-2Erforderlich sind allerdings Investitionen in eine lokale Ladeinfrastruktur, die erneuerbare Stromquellen anzapft – und das, sagt Alström, „erfordert Mut seitens der lokalen Behörden“.Die Rohstoffbeschaffung für die Herstellung von Elektrobatterien ist ein wichtiger Faktor dafür, wie umweltfreundlich die Technologie wirklich ist. Die europäische Gesetzgebung sehe „gut aus“, was die Förderung der Sorgfaltspflicht in der gesamten Lieferkette angeht, urteilt Armstrong, insbesondere rund um den verantwortungsvollen Abbau von Lithium in Chile und Nickel aus Indonesien.Das Ziel einer globalen sauberen Schifffahrt bis 2050 hält Armstrong für „definitiv realistisch“. Europa treibe die Umstellung an, erklärt er: „Sobald die EU als Region vorangeht, werden Südkorea, Amerika, Japan folgen. Und dann kommt es zu einem Dominoeffekt.“Kurzfristige Lösungen werden verschiedene Technologien kombinieren, fügt er hinzu – etwa eine Mischung aus Diesel und Wasserstoff für mittelgroße Schiffe. Insgesamt ist der potenzielle Gewinn groß: „Die Bewegung hin zu sauberen Treibstoffen bringt klare Vorteile für unsere Gesundheit und für die der Meeres-Ökosysteme.“