Draußen windet es heftig an diesem Frühlingsnachmittag in Fort Mason, einer früheren Militärbasis an der Küste von San Francisco. Drinnen in den riesigen Hallen wimmelt es von schicken Firmenschildern, überall flirren Lichter, locken Cateringstände. Hinter dem Fort bietet sich ein Postkartenblick auf die Insel Alcatraz.
Den Parkplatz vor den Hallen füllt eine Flotte von Uber-Taxis. In der Halle beginnt eine Synthie-Popband ihren Auftritt. Bei den ersten Songs steht nur eine kleine Gruppe Fans vor der Bühne, flankiert von väterlichen Typen mit Rucksäcken, die zur Musik höflich die Köpfe wiegen und Cocktails aus Plastikbechern trinken. Ausgerichtet wird dieser Rummel von Facebook, und zwar für die Teilnehmer der F8-Konferenz. Die Tagung, erstmals 2007 veranstaltet, diente anfangs dazu, Softwareentwickler zu umwerben. Heute ist sie eine bombastische Show rund um die Jahrespläne des Konzerns.
Auftritt Mark Zuckerberg. Der Chef von Facebook spricht mit der Gelassenheit und Überzeugung eines Präsidenten, der sich an sein Volk wendet. „Wir haben uns von einer Welt der isolierten Gemeinschaften hin zu einer einzigen globalen Gemeinschaft entwickelt, und damit sind wir alle besser dran“, bläut er den entzückten Zuhörern seine „Mission“ ein. Er warnt vor „Völkern und Nationen, die sich nach innen kehren – gegen diese Idee einer vernetzten Welt und Gemeinschaft“. Dies ist kein Vortrag über Tech-Neuerungen, es ist eine Rede zur Lage der Nation. „Es gehört Mut dazu, sich für die Hoffnung und gegen die Angst zu entscheiden“, fährt Zuckerberg fort. Die Botschaft hinter der Rhetorik und der legeren Kleidung ist klar: Facebook zählt zu den ganz großen Jungs, geht gewaltige globale Herausforderungen an und hat nicht weniger als das Wohl der Menschheit im Sinn.
Das Produkt ist der Nutzer
Die Reichweite des Netzwerks ist beispiellos: Über 1,6 Milliarden Menschen, das ist die Hälfte aller Internetnutzer weltweit, suchen mindestens einmal im Monat Facebook auf. Dabei sind die weiteren Dienste des Konzerns noch nicht mitgezählt – etwa Whatsapp mit mehr als einer Milliarde aktiver Nutzer und Instagram mit 400 Millionen. Hinzu kommt das „Free Basics“-Paket, mit dem Facebook in 37 Ländern eine kostenlose Auswahl von Apps für Mobilgeräte anbietet und auf diese Weise, wie manche bekritteln, auch die nächste Milliarde Menschen, die online geht, unter seine Kontrolle bringt.
„Man hört lauter Plattitüden darüber, dass Facebook den Planeten vernetzt, aber es ist Unfug, zu glauben, das geschehe aus wohltätigen Motiven. Vernetzt werden sollen die Geschäfte, nicht die Menschen“, sagt der Risiko-Anleger und Ex-Journalist Om Malik. Er erinnert an das heimliche Motto des Netzwerks: Wenn du nicht zahlst, bist du selbst das Produkt.
Facebook, das allein im letzten Quartal 2015 einen Umsatz von 5,8 Milliarden Dollar machte, verdient nicht nur an der gewaltigen Menge seiner Nutzer, sondern auch an ihrer Verweildauer. 30 Stunden pro Monat bringen die 18- bis 34-Jährigen in den USA durchschnittlich in sozialen Netzwerken zu, davon 26 Stunden bei Facebook. Mit jedem Klick, jedem „Gefällt mir“, jedem Kommentar und jedem Link erweitern wir als Nutzer das Profil, das Facebook von uns erstellt. Dann bezahlen andere Firmen Facebook dafür, dass sie anhand unseres Alters, Wohnorts, Beziehungsstatus und unserer Interessen gezielt bei uns werben können. So macht das Netzwerk seine Milliarden.
Das, was die Nutzer so lange auf der Facebook-Seite hält, ist der „Content“. In der ersten Facebook-Phase war er persönlich – unsere Status-Aktualisierungen, Gedanken, Gefühle und klugen Witzchen. Doch bald stellten wir fest, dass unsere Freunde nicht so interessant waren, wie wir gedacht hatten. Die zweite Phase waren Fotos. Der Siegeszug der Smartphones führte dazu, dass alle glaubten, ein Bild sage mehr als tausend Worte über ihren Latte Macchiato oder ihre gebräunten Beine am Strand. Doch nicht jeder ist ein guter Fotograf. Also entwickelte sich Facebook abermals weiter. Diese Fähigkeit zum Wandel war es, die das Unternehmen hemmungslos wachsen ließ, während andere (MySpace, Friends Reunited und selbst Twitter) dahinwelkten. So wurde aus einem digitalen Adressbuch für College-Studenten das größte Kommunikationsmonster der Weltgeschichte.
Als das Monster merkte, dass wir unsere Gespräche gerne privat halten, machte es aus seinem Messenger eine App. Als die Foto-Plattform Instagram zu boomen begann, kaufte Facebook sie auf. Anstatt sie in den eigenen Dienst einzufügen, ließ es die Marke als Satelliten weiter bestehen.
Mittlerweile befinden wir uns in Phase drei: Wir teilen Texte, Bilder und Videos, die von Medienhäusern erzeugt und mit Facebook verlinkt werden. Für die Medien hat das Vorteile, denn bei Facebook sind wir sowieso alle, während sie uns auf ihre eigenen Webseiten mühsam locken müssen. So können sie uns ihre Artikel direkt in den Newsfeed stellen. Die Online-Angebote der meisten Medienhäuser erhalten heute ein Viertel ihrer Klicks über Facebook.
Die jüngste Entwicklung sind nun instant articles – eine Funktion, mit der Smartphone-Nutzern eine schnell hochladende Version kompletter Artikel zur Verfügung steht, ohne dass sie die Facebook-App verlassen müssen. Für die Leser ist das praktisch, doch die Medien-Webseiten büßen dadurch Besucher ein und verlieren zudem die Kontrolle darüber, wie ihre Inhalte präsentiert werden. Sie können allerdings versuchen, Werbeflächen innerhalb der instant articles zu verkaufen.
Furcht vor dem Algorithmus
Das neu eingeführte Video-Tool – getestet von Buzzfeed, wo 800.000 Nutzer sehen wollten, wie man eine Wassermelone mit Gummibändern zum Platzen bringt (das Filmchen zählt über zehn Millionen Zuschauer) – wird nun Fernsehsender vor ein ähnliches Dilemma stellen. „Facebook hat unglaublichen Einfluss auf unser Geschäft“, erklärt auf der F8-Konferenz ein Entwickler, der für einen großen internationalen Medienkonzern arbeitet: „Den Großteil unseres Wachstums in den letzten zwei Jahren verdanken wir Facebook und Google.“
Das Monster ist derart mächtig geworden, dass es ganzen Medienunternehmen ihre Innovationsstrategien vorschreiben kann: Wenn Facebook Neuerungen verkündet, ordnen sie eilig eigene Prioritäten um, aus Furcht, sonst von Facebook-Algorithmen nach hinten sortiert zu werden. Und nachdem es sich schon einen stattlichen Brocken der Nachrichtenindustrie einverleibt hat, nimmt Facebook nun die digitalen Dienste ins Visier: 360-Grad-Videos, Kundendienst-Roboter, Bezahldienste und virtuelle Realität (VR). Für all das bietet das Netzwerk bereits kostenlose und einfach zu bedienende Tools an, über die interessierte Unternehmen sich in den Facebook-Kosmos einklinken können. Sie sind nicht dazu gezwungen. Aber es ist ja einfacher, die Fertigkeiten von Facebook zu nutzen, als alles selbst zu programmieren.
Nach und nach beseitigt das Monster alle Gründe, seine Seiten zu verlassen – sei es, um ein Taxi zu buchen, Videos zu schauen, zu telefonieren, etwas zu bezahlen oder Zeitungsmeldungen zu lesen. Und das Facebook-Erlebnis ist sauber, denn durch strenge Regeln, welche Inhalte es für angemessen hält, schirmt es die Nutzer gegen das große böse Internet ab. (Gegen Hass-Kommentare geht das Netzwerk aber weiterhin nur sehr halbherzig vor.)
Wenn Live-Video gerade die vierte Entwicklungsphase bei Facebook prägt, so werden künstliche Intelligenz und virtuelle Realität Teil der fünften Phase sein. Beide fügen sich bestens in die Strategie, so viele unserer sozialen Interaktionen wie möglich zu Geld zu machen.
„Ich rechne damit, dass Computer immer dichter herankommen an unser unmittelbares Wirklichkeitserlebnis – mit den Fingern, mit dem Mund, ohne Tastatur“, sagt Chris Cox, Produktleiter bei Facebook. Schon jetzt nutzt der Konzern künstliche Intelligenz, um den Newsfeed zu personalisieren, Menschen auf Fotos zu erkennen und Posts zu übersetzen. Die Technologie kann sogar Hunderassen identifizieren.
Realitätserweiternde Geräte
Das ganz große Ziel ist nun, Algorithmen zu entwickeln, die imstande sind, unsere Körpersprache in nuancierter Weise nachzuvollziehen. Es geht vor allem um die Entwicklung der sogenannten Social VR, die uns erlauben würde, mit fernen Liebsten so zu reden, als säßen sie bei uns im Zimmer – also Skype in 3-D. Einen ersten Prototypen führt Facebook auf der Konferenz vor: Mit Helmen der schwer gehypten Firma Oculus Rift auf dem Kopf sollen wir Freunde in virtuellen Räumen treffen. Bisher hängen dort aber nur starrgesichtige Avatare mit einer Handvoll Gesten herum. Für das, was Social VR erreichen will, wäre ein System nötig, das noch unsere leisesten Zuckungen erfasst und sie auf unseren digitalen Doppelgänger überträgt.
Das Forschungsteam von Oculus Rift stellt seine Probanden in einen Kuppelbau voller Kameras, um ihre Bewegungen aus allen Winkeln einzufangen. Tausende von Gesten und Gesichtsausdrücken werden so katalogisiert. Dieses zwischenmenschliche Gesten-Repertoire beschreibt der amerikanische Anthropologe Edward Sapir als „einen ausgefeilten Geheimcode, der nirgends aufgeschrieben ist, den niemand kennt, aber jeder versteht“. Und Forschungsteamleiter Yaser Sheikh sagt: „Wir müssen Sapirs Code Computern begreiflich machen.“ Mit anderen Worten: Facebook möchte unsere Gefühle und Absichten lesen.
Eine solche Technologie dürfte auch außerhalb der virtuellen Realität auf großes Interesse stoßen. Facebook-Technikchef Mike Schroepfer schwärmt davon, dass „realitätserweiternde“ Geräte – als Brille oder Knopf im Ohr – uns „zusätzliche Informationen“ über die Menschen geben könnten, mit denen wir reden: „Vielleicht bekomme ich eine Warnung, dass meine Worte mein Gegenüber skeptisch machen. Dann kann ich versuchen, mich besser zu erklären.“
Mark Zuckerberg sagt in seiner Eröffnungsrede: „Unser Ziel bei der künstlichen Intelligenz sind Systeme, die Menschen in der Sinneswahrnehmung überlegen sind – beim Sehen, Hören, Sprechen und so weiter.“ Damit könnte sich Facebook über die Grenzen seiner Apps erheben und zum allgegenwärtigen virtuellen Assistenten werden, der uns durch die Unübersichtlichkeiten des menschlichen Miteinanders hilft. Sheikh sagt: „Noch sind wir von einem vollständigen Computermodell der menschlichen Interaktion weit entfernt. Aber wir machen große Fortschritte und ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen werden.“
Fürs Erste aber kann Facebook noch jede Menge Geld mit seinem bestehenden Angebot machen. „Bisher haben sie bei Whatsapp und beim Messenger nicht den Profit-Knopf gedrückt“, sagt Jan Dawson, ein umtriebiger Tech-Unternehmensberater. „Da gäbe es ein Publikum, das sich noch kräftig melken ließe.“ An dieser Stelle kommen auch die Bots ins Spiel. „Messenger Bots“, wie sie auf der F8 präsentiert werden, sind dialogfähige Miniprogramme, die sich in den Nachrichten-Apps einnisten. Sie werden nicht heruntergeladen, sie erhalten bloß Anfragen innerhalb der Threads, so, als wären auch sie Gesprächsteilnehmer.
„Bisher ist unsere Kommunikation mit Unternehmen sehr fragmentiert“, erklärt Messenger-Chef David Marcus. „Wir rufen sie an, füllen Formulare auf Webseiten aus, schreiben E-Mails und laden Apps herunter.“ Die Bots könnten solche einfachen Anfragen automatisieren – sei es, eine Order zu prüfen, eine Bordkarte auszufertigen oder einen Blumenstrauß zu bestellen. In den Messenger eingebettet erlauben es diese Bots dem Konzern, unsere Gespräche mit Firmen und Geschäften mitzuverfolgen und daraus noch mehr Daten zu schürfen. Marcus nennt gesponserte Chatbot-Nachrichten als einen Weg, mit dem Messenger Geld zu machen. Doch würde man das System mit einem Kreditkarten-Bezahldienst koppeln, könnte Facebook auch mit Getöse in den Einzelhandel einsteigen.
Die Bots übernehmen
Bewährt hat sich ein solches Modell schon in China, wo Nutzer des WeChat-Dienstes über mehr als zehn Millionen kommerzielle Accounts Essen bestellen, Kinokarten kaufen, Geld verschicken und Rechnungen bezahlen können – und natürlich auch Nachrichten lesen, Songs erkennen und Termine machen.
Berater Jan Dawson glaubt, auf diese Weise wolle Facebook es mit Amazon aufnehmen: „Sie bauen heimlich eine Handelsplattform. Jede Firma hat ihre Facebookseite, geworben wird dort schon längst, die Kundendienst-Bots stehen auch schon bereit. Fehlt nur noch das Verkaufen selbst.“
Es ist unwahrscheinlich, dass Facebook ins Logistik-Geschäft einsteigt und Waren ausliefert, doch es könnte den Firmen die Kunden vermitteln und seinen Anteil an jedem Kauf kassieren. Damit würden die Einzelhändler sich auf den gleichen Teufelspakt einlassen wie vor ihnen die Medienhäuser und Werbeschaffenden.
Seine einzige ernstliche Krise machte Facebook durch, als der Moloch verkannte, wie schnell die Leute vom Desktop auf Mobilgeräte wechseln würden. Der Kauf von Instagram für eine Milliarde Dollar brachte ihn wieder auf Erfolgskurs, und seither zeigt er sich im Umgang mit zukunftsweisender Technologie sehr gefräßig: Jede potenzielle Bedrohung wird aufgekauft.
Ein Stachel im Fleisch bleibt Snapchat. 2013 versuchte Facebook den Plauderdienst mit 100 Millionen täglich aktiven Nutzern für drei Milliarden Dollar zu kaufen – doch Snapchat lehnte ab. Facebook lancierte daraufhin einem Klon, der aber fehlschlug. Seither werden einfach die beliebtesten Snapchat-Funktionen ins Facebook-Angebot aufgenommen, etwa die kurzlebigen Mitteilungen oder Werkzeuge zur Bildbearbeitung. Als echte Bedrohung für den Giganten erscheint aber auch dieser aufmüpfige Newcomer nicht. „Sicher ist Snapchat ein Konkurrent, doch bisher richtet es sich an eine einzige Generation, und ich sehe nicht, wie es über dieses Stadium hinauskommen will“, sagt Dawson. Und Paul Adams, ein Ex-Facebook-Angestellter, fügt hinzu: „Snapchat bedroht vielleicht den Messenger oder Whatsapp, aber nicht Facebook selbst. Das wäre ja, als würde man glauben, man könnte Telefongespräche wieder abschaffen. Facebook ist überall.“
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