Die Sündenböcke des elften September

Sikh Das Massaker in dem Sikh-Tempel in Wisconsin ist der jüngste Fall in einer langen Reihe von Hassverbrechen, die seit 9/11 gegen die Religionsgemeinschaft verübt wurden
Sikh versammeln sich in Milwaukee um Informationen über die Bluttat zu bekommen.
Sikh versammeln sich in Milwaukee um Informationen über die Bluttat zu bekommen.

Foto: Scott Olson / AFP / Getty Images

Was nur wenige wissen: Das erste Opfer von Gewalt, die aus Rache für die Anschläge des elften September verübt wurde, war ein Sikh. Am 15. September 2001 wurde der 52-jährige Tankstellenbesitzer Balbir Singh Sodhi in Arizona mit fünf Kugeln erschossen. Der Schütze hieß Frank Roque. Während Sodhi sofort seinen Verletzungen erlag, schoss der Roque noch auf andere Menschen, die er ethnischen Minderheiten zurechnete, bevor er eine Bar betrat und damit prahlte: „Da unten untersuchen sie den Mord an so einem Turbanträger.“

Vorgestern eröffnete ein Mann das Feuer auf eine Sikh-Gemeinde in Wisconsin und tötete sechs Menschen. Die Rede ist von „domestic terrorism“ – von „heimischem Terrorismus“. Nach Aussage einiger Zeugen trug der Schütze ein 9/11-Tatoo, was von offizieller Seite allerdings nicht bestätigt wird.

Der „Krieg gegen den Terror“, der auf den September 2001 folgte, hatte nicht nur für die im Westen lebenden muslimischen Familien schlimme Folgen, sondern auch für Sikh. Die Washingtoner Sikh-Gemeinde erklärte am Tag des jüngsten Verbrechens, es habe seit dem elften September mehr als 700 solcher Vorfälle gegen Sikh gegeben. Die Behörden sammeln immer noch keine Daten über religiös motivierte Hassverbrechen gegen sie. Aufgrund seines Bartes und Turbans ist mein Bruder leicht als Sikh zu erkennen. Er sagt, es komme regelmäßig vor, dass Leute ihn anschreien, er sei ein „Taliban“ oder schlimmeres.

Ahnungslose Medien

Dass Sikh sich schwer damit taten, in Bezug auf dieses Thema Gehör zu finden, lag dies zum Teil daran, dass man ihre Botschaft nicht uneingeschränkt begrüßte. Als eine Gruppe von Sikh aus ganz Großbritannien sich vor der amerikanischen Botschaft in London zusammenfand, um daran zu erinnern, dass Sikh keine Moslems sind, distanzierten sich viele von der möglichen Schlussfolgerung, Hassverbrechen gegen Moslems gingen in Ordnung. Dass die Medien keine Ahnung haben, was Sikh eigentlich ausmacht – wie das amerikanische Fernsehen anlässlich des Massakers von Wisconsin wieder einmal unter Beweis gestellt hat – , ist ebenfalls nicht gerade hilfreich.

Die Religion wurde offiziell Ende 1400 von Guru Nanak Dev Ji im indischen Punjab begründet. Er war der erste von zehn lebenden Gurus (Lehrern). Sie bauten die heute an die 30 Millionen Mitglieder zählende Sikh-Gemeinde auf. erschufen. Der zehnte Guru – Gobind Singh – trug den Sikh auf, ihre Identität in Form der fünf symbolischen Ks (stählernen Armreif, langes Haar, einen Holzkamm, Baumwollunterwäsche und einen Dolch/ein Schwert) stärker nach außen hin kenntlich zu machen.

Oft wird fälschlicherweise angenommen, der Sikhismus sei eng mit dem Hinduismus verwandt, dabei lehnt er das Kastensystem sowie die Anbetung von Idolen strikt ab und ist äußerst monotheistisch. Der Sikhismus ist sehr offen und kennt weniger Rituale als andere Religionen. Die Gurus luden Hindus und Moslems ein, zum Verständnis ihrer Schriften beizutragen, da sie der Ansicht waren, dass Wissen und Verstehen universell sind und nicht von einem bestimmten Lebensweg abhängig sind.

Es bleibt zu hoffen, dass der Vorfall in Wisconsin stärkere Aufmerksamkeit darauf lenkt, wie sehr so viele Menschen von dieser Unwissenheit und Bigotterie betroffen sind.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Sunny Hundal | The Guardian

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