Ein wirklich netter Kerl, oder?

#MeToo Je mehr über vermeintlich gute Jungs, die sich schlecht benommen haben, ans Licht kommt, desto schwerer wird es, so zu tun, als sei Nötigung etwas, das nur Monster machen
Bei der Anhörung Brett Kavanaughs, Trumps Kandidaten für das US-amerikanische Verfassungsgericht, demonstrierten Frauen als Figuren aus  „The Handmaid's Tale“
Bei der Anhörung Brett Kavanaughs, Trumps Kandidaten für das US-amerikanische Verfassungsgericht, demonstrierten Frauen als Figuren aus „The Handmaid's Tale“

Foto: Jim Watson/AFP/Getty Images

Eigentlich hasse ich es ja, Dinge zu erzählen, die offensichtlich sind, aber da es notwendig zu sein scheint: Nur weil jemand dich noch nie sexuell genötigt hat, heißt das noch lange nicht, dass er dies auch bei niemand anderem getan hat. Nur weil jemand nett zu dir ist, muss er das nicht zu allen anderen Menschen sein, mit denen er zu tun hat.

Eigentlich logisch, oder? Und dennoch: Jedes Mal, wenn einem Mann öffentlich vorgeworfen wird, eine Frau sexuell genötigt zu haben, folgt ein Chor ungläubiger Freundinnen, die schwören, dieser Typ habe sich ihnen gegenüber stets wie ein wahrer Engel verhalten.

Brett Kavanaugh, dem Kandidaten für das US-amerikanische Verfassungsgericht, wird vorgeworfen, als Teenager ein Mädchen sexuell genötigt zu haben. Sogleich legten 65 Frauen, die Kavanaugh in der Highschool kannten, Zeugnis über seinen Charakter ab. Ich könnte nicht einmal 65 Leute benennen, mit denen ich auf der Highschool war, also ist das schon eine Leistung. Aber damit nicht genug!

Nachdem der Name von Christine Blasey Ford bekanntgegeben wurde, Kavanaughs Anklägerin, haben sich am Montag zwei seiner Ex-Freundinnen für den Richter verbürgt. „Als wir zusammen waren, hat er sich mir gegenüber immer anständig verhalten“, ließ Maura Fitzgerald wissen, die den Kandidaten im College gedatet hatte. Und Maura Kane, die in der Highschool mit Kavanaugh liiert war, erklärte, er sei in jeder Situation, in der die beiden zusammen gewesen seien, „stets respektvoll, nett und aufmerksam“ gewesen.

Ich habe keine Ahnung, wie Kavanaughs frühere Beziehungen waren, aber ich weiß, dass es so etwas wie eine doppelte Maura-Verteidigung nicht gibt. Dass jemand „respektvoll, nett und aufmerksam“ gegenüber der einen Person ist, schließt nicht automatisch aus, dass er gegen jemand anderen handgreiflich wird.

Das Patriarchat bringt Frauen gegeneinander auf

Es fällt schwer zu akzeptieren, dass ein Mann, der einem nahe steht, in der Lage ist, sexuell übergriffig zu werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir in einer Welt leben, in der uns permanent gesagt wird, dass Frauen hysterisch und Männer rational seien. Das haben wir alle verinnerlicht, selbst wenn wir Feministinnen sind. Das ist letztlich, was das Patriarchat tut: Es bringt Frauen gegeneinander auf.

Zudem leben wir in einer Welt, in der viele Formen von übergriffigem männlichem Verhalten als normal gelten. Ständig bekommen wir zu hören, dass etwas so Ernstes wie sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung nicht mit etwas so Läppischem wie jugendlicher Unüberlegtheit verwechselt werden sollte. Es sollte nicht mit dem verwechselt werden, was eine von Kavanaughs Unterstützerinnen als „Herumalbern“ bezeichnet hat.

Nehmen Sie beispielsweise den Fall Brock Turner. Der Stanford-Schwimmer wurde schuldig gesprochen, sich 2016 hinter einem Müllcontainer an einer bewusstlosen Frau vergangen zu haben. Damals schrieb eine Kindheitsfreundin Turners, Leslie Rasmussen, einen Brief an den Richter, in dem sie diesem erklärte, warum Turner kein Vergewaltiger sei. „Das ist etwas völlig anderes, als wenn eine Frau auf dem Weg zu ihrem Wagen auf dem Parkplatz entführt und vergewaltigt wird. Das ist Vergewaltigung. Das hier nicht. Das sind dumme Jungs und Mädels, die zu viel getrunken haben, die sich nicht im Klaren darüber waren, wo sie sich befinden und deren Urteilsvermögen eingeschränkt war.“

Rasmussens Ansicht über Vergewaltiger als Monster, die einen aus dem Schatten anspringen, ist weit verbreitet. Eine der wichtigsten Aspekte der #MeToo-Bewegung ist es, dass es immer schwerer wird, an dieser Illusion festzuhalten. Je mehr Geschichten über vermeintlich gute Jungs, die sich schlecht benommen haben, ans Licht kommen, desto schwerer wird es, so zu tun, als sei sexuelle Nötigung etwas, das nur Monster machen.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Arwa Mahdawi | The Guardian

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