Klima-Fantasy: Tolkiens „Herr der Ringe“ und die Rettung des Planeten
COP28 Tolkiens Feindseligkeit gegenüber der maßlosen Industrialisierung sollte den auf der Weltklimakonferenz vertretenen Nationen entgegenkommen. Wer gewinnt? Die Orks oder die Umwelt?
In den 1960er Jahren mochte kein Hippie, der etwas auf sich hielt, ohne eine gut durchgeblätterte Ausgabe des Herrn der Ringe gesehen werden. Zusammen mit Sgt. Pepper und dem Tibetischen Totenbuch wurde der Fantasy-Roman von J. R. R. Tolkien zum Inbegriff der Gegenkultur.
Die Zeiten ändern sich. Tolkiens prominentester Fan ist derzeit Giorgia Meloni, die rechteste Ministerpräsidentin, die Italien seit dem Zweiten Weltkrieg hatte. Das hat die Alarmglocken schrillen lassen. Tolkien wurde zwar noch nicht gecancelt, aber LOTR (englisches Kürzel für Lord of the Rings, den englischen Romantitel) wurde schon – zu verschiedenen Zeiten – als rassistisch, nationalistisch, ultrakonservativ und sogar faschistisch bezeichnet. Die Tatsache, dass Meloni das Buch in- un
Lord of the Rings, den englischen Romantitel) wurde schon – zu verschiedenen Zeiten – als rassistisch, nationalistisch, ultrakonservativ und sogar faschistisch bezeichnet. Die Tatsache, dass Meloni das Buch in- und auswendig kennt, hat den Verdacht, dass Tolkiens politische Ansichten etwas heikel waren, nur noch verstärkt.Das ist schade, denn die zentrale politische Botschaft, die Der Herr der Ringe vermittelt, ist des Autors Ablehnung der zügellosen Industrialisierung und des Wachstums um jeden Preis. Saruman, der Zauberer, der sich dem Bösen zuwendet, zeigt sein wahres Gesicht, als er die Bäume des Fangorn-Waldes abholzt, um seine Öfen zu versorgen. Als Frodo nach seiner einjährigen Suche in sein Dorf zurückkehrt, muss er traurig feststellen, dass Hobbiton durch eine neue Mühle verwüstet wurde, „ein großes Backsteingebäude, das sich über den Bach spannt, den es mit dampfenden und stinkenden Abflüssen verunreinigt“.Der staatsfeindliche Anarcho Tolkien wäre heute ein GrünerTolkien war nach eigenem Bekunden kein Sozialist. Er war staatsfeindlich und sagte einmal, dass seine politischen Ansichten mehr und mehr in Richtung Anarchie tendierten. Die Hippies lagen in den 1960er Jahren richtig: Würde er heute leben, wäre Tolkien ein Grüner, und zwar ein tiefgrüner. Er nahm sogar die Stör-Aktionen von Extinction Rebellion und Just Stop Oil vorweg, indem er die Sprengung von Fabriken und Kraftwerken vorschlug. LOTR ist kein neofaschistischer Wälzer, sondern steht in einer literarischen Tradition, die bis zur romantischen Bewegung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zurückreicht.In seinem Buch Defending Middle-earth (Verteidigung von Mittelerde) sagt Patrick Curry, Tolkien sei ein Konservativer gewesen, aber nicht im heutigen Sinne des Wortes, „das fast vollständig vom Neoliberalismus übernommen wurde, sondern in dem Sinne, dass er danach strebte, das zu bewahren, was es wert ist, bewahrt zu werden“. Das scheint ein gerechtes Urteil zu sein.Märchenhafter Reichtum – und Kritik an der IndustrialisierungWas hat das also mit Wirtschaft zu tun? Nichts, denn die Wirtschaft kommt in LOTR fast überhaupt nicht vor. Die Hobbits leben in einem vorindustriellen Land, bestellen die Felder und ernten die Früchte. Die Elben stellen schöne Gegenstände her, aber ansonsten haben sie nicht viel zu tun. Nur die Zwerge in ihren Minen scheinen überhaupt viel zu machen. Wenn Tolkien ein wirtschaftliches Modell im Sinn hatte, dann war es die Arts-and-Crafts-Bewegung, die von William Morris ins Leben gerufen wurde. Das ist auch gut so. LOTR ist eine Fantasie: Es muss nicht erklären, woher der Reichtum kommt.Dennoch ist der Herr der Ringe eine Kritik an der Hyperindustrialisierung, die heute mehr politische Resonanz findet als zu der Zeit, als Tolkien in den 1930er Jahren mit der Arbeit an dem Werk begann. In jenen Jahren der Depression lag die Betonung auf Wachstum um jeden Preis. Diese Philosophie hatte sich nicht geändert, als das Buch Mitte der 1950er Jahre veröffentlicht wurde. Es gab zwei Modelle, den Kapitalismus und den Kommunismus, und sie wetteiferten miteinander, um die Produktion zu maximieren. Niemand kümmerte sich allzu sehr darum, wie viele Bäume die Sarumanen im wirklichen Leben fällten. Die Kosten für die Umwelt spielten für die Entscheidungsträger weder auf der linken noch auf der rechten Seite eine Rolle. Der Kalte Krieg war nicht nur ein Wettrüsten, sondern auch ein Kampf zwischen zwei Wachstumsmodellen, den der Westen schließlich gewann.Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs begann eine Zeit, in der ein aggressiver, globalisierter Kapitalismus der freien Marktwirtschaft triumphierte. Doch der Sieg war nur von kurzer Dauer, und schon bald füllte der Umweltschutz das ideologische Vakuum, das der Untergang des Kommunismus hinterlassen hatte.Siegen die Orks …?Es gibt zwei Möglichkeiten, die Zeit seither zu betrachten. Die erste besteht darin, die Welt nach 1990 als eine Geschichte des ungebremsten Kapitalismus zu betrachten, in der die Gier nach Wachstum und Wohlstand die Welt an den Rand einer ökologischen Katastrophe gebracht hat. Trotz der wissenschaftlichen Erkenntnisse und aller Warnsignale aus der Natur sind die Treibhausgasemissionen immer weiter angestiegen, so dass es immer schwieriger wurde, die Erderwärmung zu stoppen und den Punkt ohne Wiederkehr zu erreichen. So gesehen wird die menschliche Rasse durch Gier und Dummheit zerstört werden. Die Orks gewinnen.Es gibt jedoch auch eine optimistischere Sicht der Dinge. In den letzten 30 Jahren wurde die Umwelt zunehmend in der Politik verankert. Netto-Null-Ziele, die Verpflichtung zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, Investitionen in erneuerbare Energien, Elektroautos, offizielle Messgrößen für das wirtschaftliche Wohlergehen, die über das Wachstum hinausgehen: all das sind Zeichen des Fortschritts. Die einzigen nennenswerten intellektuellen Entwicklungen in der Wirtschaftswissenschaft seit dem Ende des Kalten Krieges waren grüne Entwicklungen: Wachstumsvermeidung und Kreislaufwirtschaft zum Beispiel.… oder gewinnt der Planet?Der Kapitalismus ist ein äußerst anpassungsfähiges System, und er hat auf den Druck der Umweltschützer reagiert. Ob er sich tiefgreifend oder schnell genug verändert hat, ist fraglich, aber die Tatsache, dass es eine jährliche UN-Konferenz gibt, um die Fortschritte bei der Einhaltung der vereinbarten Dekarbonisierung zu überwachen, ist wichtig. Die Länder müssen Rechenschaft über ihr Handeln ablegen.Die Liberalen der freien Marktwirtschaft argumentieren, dass das Gewinnstreben, wenn es sich selbst überlassen wird, letztendlich einen Weg finden wird, die Treibhausgase zu reduzieren und den Planeten zu retten. Das scheint unwahrscheinlich. Ohne politischen Druck ginge alles wie gewohnt weiter. In Wahrheit haben sowohl das pessimistische als auch das optimistische Szenario ihre Berechtigung. Es wurden zwar Fortschritte erzielt, aber diese waren nicht schnell genug.Es gibt eine Stelle im Herrn der Ringe, an der Galadriel sagt, dass die Suche nach der Zerstörung des Rings auf Messers Schneide steht, und das gilt auch für die Suche nach der Rettung des Planeten. Auch diese steht auf Messers Schneide, wie die bei COP28 in Dubai vertretenen Nationen sicherlich wissen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.