COP28 präsentiert CCS als Klimarettung: Das ist aber eine gefährliche Illusion
Klimakonferenz Auf der COP28 in Dubai wird Carbon Capture & Storage (CCS) eine große Rolle spielen. Die CO₂-Abscheidung und -Speicherung verspricht, alles könne weitergehen wie bisher. Das ist attraktiv für Konzerne und Regierungen. Aber eine Illusion
Grüner Nebel wabert über den Boden, Autos bleiben auf den Straßen stehen. Menschen torkeln orientierungslos durch die Dunkelheit oder taumeln, mit Schaum vor dem Mund, im Kreis. Einige zittern und ringen panisch nach Luft, andere liegen bewusstlos in ihren Fahrzeugen oder Häusern. Es sind Szenen wie in einem Horrorfilm, die sich am 22. Februar 2020 rund um das kleine Dorf Satartia im Yazoo County des US-Bundesstaats Mississippi abspielen. An diesem Samstagabend platzt eine Pipeline des Unternehmens Denbury, die eigentlich Kohlendioxid in das Tinsley-Ölfeld pumpt.
49 Menschen müssen im Krankenhaus behandelt werden, 200 werden evakuiert. Wäre das Unglück nachts passiert, als alle schliefen, wären viele gestorben. Denn CO₂ ist ein tödlich
#246;dliches Gas. Es verdrängt Sauerstoff und erschwert das Atmen. Je höher die Konzentration und länger man ihm ausgesetzt ist, desto gefährlicher: Jedes Jahr gibt es weltweit rund 100 tödliche Arbeits- und Industrieunfälle, die von CO₂ verursacht werden. In Satartia war das CO₂ zudem mit Schwefelsäure vermischt.Viele Menschen in dem Mississippi-Dorf leiden bis heute an den Spätfolgen, an Atemwegsproblemen, Konzentrationsschwäche, Erschöpfung. Manche entkamen nur knapp dem Tod. Die umgebenden Krankenhäuser waren auf so einen Fall schlichtweg nicht vorbereitet, genau wie Polizei und Feuerwehr. Es gab keinen Notfallplan, die Firma meldete das Unglück nicht. Engagierte Feuerwehrleute retteten die Menschen aus Autos und Häusern, teils ohne Schutzkleidung.Drei Jahre später kündigt das Kabinett von Joe Biden Finanzierungen in der Höhe von 251 Millionen Dollar für Klimaprojekte an, in denen es um den Transport und die Speicherung von CO₂ geht. Technologien, die CO₂ an der Quelle einfangen und speichern, heißen Carbon Capture and Storage, CCS. Sie werden als umso alternativloser propagiert, je weiter das 1,5-Grad-Ziel in die Ferne rückt.Auch die emiratischen Veranstalter der COP28 setzen auf CCS: Damit sie weiterhin Öl fördern könnenBei der UN-Klimakonferenz COP28 in Dubai werden sie eine dementsprechend große Rolle bei den Verhandlungen spielen. Sultan Ahmed al-Dschaber, Industrieminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc und Präsident der COP 28, hat sich mehrfach für CCS zur Lösung der Klimakrise ausgesprochen. Adnoc investiert 15 Milliarden Dollar in Net-Zero-Projekte – darunter auch ein CCS-Projekt. Das sind gerade einmal zehn Prozent dessen, was der Konzern in die Ausweitung der Öl- und Gasförderung bis 2027 stecken will. Die NGO Global Witness hat ausgerechnet, dass Adnoc mithilfe der geplanten CSS-Projekte 343 Jahre bräuchte, um die von seinen anderen Aktivitäten verursachten CO₂-Emissionen einzufangen.Vorausgesetzt, die Technologie würde funktionieren. Doch es gibt keinen Nachweis, dass CSS dem Klimaschutz dient. Was hingegen tatsächlich, und schon seit den 1960er Jahren eingesetzt wird, sind Methoden, mit denen CO₂ in Erdölfelder gepumpt, um so Öl herauszuholen. Enhanced Oil Recovery (EOR) nennt sich diese Methode, mit der die Ausbeute um bis zu 60 Prozent gesteigert werden kann. Laut einer Untersuchung des US-amerikanischen Institute for Energy Economics and Financial Analysis werden jährlich bis zu drei Viertel des abgeschiedenen CO₂ wieder zur Ölgewinnung in die Erde gepumpt. Aber nur ein Teil des Gases bleibt dort.Das Global CCS Institute, eine Lobby-Organisation, zu deren Mitgliedern Ölkonzerne wie Adnoc, BP, Chevron, Philipps 66, Ocidental Petrolium, Shell und Total gehören, aber auch Ölstaaten wie Saudi-Arabien, Australien und die USA, zählt in ihrem Statusreport 2023 weltweit 392 CCS-Projekte. 325 seien angekündigt, 26 im Bau. 41 CCS Anlagen seien in Betrieb und könnten 49 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr einfangen. Das sind aber nur 0,13 Prozent des globalen CO₂-Ausstoßes von 2022. Berücksichtigt man die Energie, die notwendig ist, um die CCS-Anlagen zu betreiben, und bedenkt man, dass mehr als 70 Prozent der bestehenden Projekte das abgeschiedene CO₂ zur Förderung von mehr Öl durch EOR verwenden, dann verursacht die Technologie mehr Emissionen als sie einfängt.Petra Nova, das hochsubventionierte CCS-Vorzeigeprojekt, ist ein ziemliches FiaskoSo wie Petra Nova im texanischen Thompsons. Das Projekt sollte jährlich 1,6 Millionen Tonnen CO₂ aus einem Kohlekraftwerk abscheiden und per Pipeline in ein Ölfeld leiten, um dessen Produktion von 300 auf 15.000 Barrel pro Tag zu steigern. Eine Milliarde Dollar kostete das Projekt, 140 Millionen schoss die US-Regierung zu. Die Anlage wurde 2020 nach drei Jahren und vielen Problemen abgeschaltet. Die Betreiberfirma behauptete, dass die CCS-Anlage 90 Prozent des vom Kohlekraftwerk emittierten CO₂ abfangen würde. Laut der US-Umweltschutzbehörde EPA waren es aber nur sieben Prozent.„Selbst wenn alle weltweit geplanten und in der Entwicklung befindlichen CCS-Anlagen in Betrieb genommen würden, würden 2030 nur etwa 0,25 Gigatonnen CO₂ abgeschieden, also weniger als ein Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen 2022“, heißt es im Production Gap Report, den das Stockholm Environment Institute und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zur COP 28 veröffentlichte. Aber nicht mal das ist gewiss. In den vergangenen 30 Jahren scheiterten rund 80 Prozent der Pilotanlagen. Zwischen 1995 und 2018 wurden 260 CCS-Projekte begonnen und nur 27 fertiggestellt.CCS verspricht, es könne alles weitergehen, wie bisher. Das macht sie für Konzerne attraktiv und veranlasst Regierungen, Milliarden in diese spekulative Scheinlösung zu versenken. Denn weltweit planen Regierungen, 2030 mehr als doppelt so viele fossile Brennstoffe zu produzieren, als es mit dem 1,5 Grad-Ziel vereinbar wäre. Laut der Datenbank Global Oil and Gas Exit List (GOGEL) suchen oder erschließen 96 Prozent der 700 erfassten Förderunternehmen neue Öl- und Gasfelder. „Befürworter von CCS schätzen, dass der Einsatz für EOR den Verbrauch von 40 Prozent mehr Kohle und bis zu 923 Millionen Barrel Öl allein in den USA bis 2040 zusätzlich ankurbeln könnte“, schreibt das Center for International Enviromental Law (CIEL) im Bericht „Fuel to Fire“. Ein staatlich subventioniertes Ölförderprogramm.Unter dem Deckmäntelchen des Klimaschutzes legitimiert CCS auch den Ausbau neuer fossiler Infrastruktur: So haben Betreiber von Flüssigerdgasterminals angekündigt, beim Bau weiterer LNG-Exportanlagen an der US-Golfküste CCS einzusetzen. Auch fossiler Wasserstoff aus Erdgas in Kombination mit CCS ist auf dem Vormarsch – obwohl angeblich klimafreundlicher blauer Wasserstoff mehr Emissionen verursacht, als wenn das Gas direkt verbrannt würde. Unter Verwendung von CCS hergestellter Blauer Ammoniak zur Düngerproduktion soll die Landwirtschaft „dekarbonisieren“, sorgt aber vor allem für eine Expansion petrochemischer Anlagen.Warum will auch Robert Habeck auf CCS setzen?Das Narrativ von den „unvermeidbaren Emissionen“ befeuert den Ausbau: „Es gibt bestimmte industrielle Prozesse, Zementwerke gehören dazu, die kriegt man, nach all dem, was wir heute wissen, nicht klimaneutral, es sei denn, man scheidet das CO₂ ab“, sagte Industrieminister Robert Habeck bei seinem Besuch einer im Bau befindlichen CCS-Anlage für ein Zementwerk in Norwegen. Wenig später kündigte er Gesetzesänderungen für CCS in Deutschland an. Sie ist Teil der Carbon Management Strategie, die sein Ministerium gerade erarbeitet. Von einer realen Einsparung von CO₂ ist fast nicht mehr die Rede.CCS ist eine hochriskante Technologie. Es gibt bis heute kein ausgereiftes technisches Verfahren, das flächendeckend und langfristig eingesetzt werden und zugleich garantieren könnte, dass das CO₂ für immer unter der Erde bleibt. Grant Hauber, Ingenieur und Berater beim Institute for Energy Economics and Financial Analysis, hat für seine Studie „Industrie-Vorbild oder abschreckendes Beispiel?“ die beiden norwegischen CCS-Anlagen an den Offshore-Erdgasfeldern in der Nordsee, Sleipner und Snøhvit, untersucht. Sie gelten weltweit als Musterbeispiel, als Beweis, dass CCS funktioniert. Haubers Untersuchung belegt vor allem erhebliche Risiken.Zusammen speichern die Anlagen 1,8 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr, 22 Millionen Tonnen wurden bereits in unterirdische Stollen injiziert. Beide werden vom staatlichen Ölkonzern Equinor betrieben, sie gehören zu den am besten untersuchten und überwachten Speicherstätten der Welt. 1999, drei Jahre nach Beginn des Sleipner-Projekts, gab es eine beunruhigende Entdeckung: Das gespeicherte CO₂ war von der tiefer gelegenen Injektionsstelle in eine höhere, bis dahin nicht identifizierte Schicht aufgestiegen. Wäre diese nicht abgeschlossen gewesen, wäre der Kohlenstoff einfach entwichen.Die 2008 begonnene Snøhvit-Speicherstätte machte nach 18 Monaten ebenfalls Probleme: Sie stieß das CO₂ wieder ab, der Druck stieg rasch, eine neue Speicherstätte musste gefunden werden. Sieben Milliarden US-Dollar hatte die Erschließung des Feldes und der Infrastruktur gekostet, doch die Kapazität war wesentlich geringer als berechnet.Jetzt auch noch Pipelines für CO₂ bauen?Jede Speicherstätte hat eine individuelle Geologie, die nicht in Gänze erschließbar ist, Speicherleistungen können sich ändern. „Selbst bei umfangreichen seismografischen und gravimetrischen Untersuchungen des Untergrunds gibt es keine Möglichkeit, Schichtengrenzen, Verwerfungen oder Variationen innerhalb dieser geologischen Grenzen endgültig und erschöpfend zu ermitteln“, resümiert Hauber. Das bedeutet, dass alle CCS-Speicherstätten weltweit lückenlos überwacht und Pläne erstellt werden müssen, was bei Störungen oder Veränderungen zu tun ist. Und zwar über viele, viele Jahrzehnte hinweg. Dazu kommt: Weltweit gibt es geschätzte 30 Millionen stillgelegte offene Bohrlöcher in Öl- und Gasfördergebieten. Niemand kann garantieren, dass das CO₂ nicht durch sie wieder an die Oberfläche gelangt.Der großflächige Einsatz von CCS würde außerdem eine gewaltige Transportinfrastruktur erfordern. In den USA, wo die meisten Anlagen geplant sind, liegen bereits mehr als 8.000 Kilometer CO₂-Pipelines unter der Erde. Eine Studie der Princeton University fordert knapp 97.000 Kilometer zusätzlich. Doch auch dann könnten nur 15 Prozent der CO₂-Emissionen der USA transportiert werden. Und die Gefahr von Unfällen wie in Satartia würde steigen. Kurz davor hatte es dort lange und heftig geregnet. Das hatte zu Bewegungen im Boden geführt und zum Bruch der Pipeline. So steht es im Bericht der Firma Denbury. Die wiederum soll die meisten CO₂-Pipelines im benachbarten Bundesstaat Louisiana entwickeln. Rund 20 CCS-Anlagen sind dort geplant, wo die Klimakrise bereits besonders heftig wütet. Mit Hurrikans, Überschwemmungen und Starkregen. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die Zukunft vorzustellen, in die das Setzen auf CSS führen könnte.
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