Klimaforscher Michael Mann zum Ende der Zivilisation: „Noch sind wir nicht verloren“
Weltuntergang Ab wie viel Grad Erderwärmung ist unsere Zivilisation am Ende? Und retten uns die beschlossenen Klimaschutzmaßnahmen vor einer Apokalypse? Michael Mann ist eine der Hauptzielscheiben der Klimawandelleugner – dabei verbreitet er Hoffnung
Es brennt, aber die Menschheit hat noch eine Chance
Foto: Nicolas Tucat/ Getty Images
„Wir haben die Grenzen einer lebensfähigen menschlichen Zivilisation noch nicht überschritten“, sagt Michael Mann, „aber wir nähern uns ihnen.“ Wenn wir mit den Kohlenstoffemissionen weitermachen würden wie bisher, so der renommierte Klimawissenschaftler und Publizist, stünden „alle Zeichen auf Sturm“. Lässt sich das noch verhindern?
Die Klimakrise, die bereits zu verheerenden Wetterextremen auf der ganzen Welt geführt hat, beschert uns einen „zerbrechlichen Moment“. So zumindest lässt sich das neueste Buch von Michael Mann ins Deutsche übersetzen: Es trägt den Titel Our Fragile Moment und ist am 26. September in englischer Sprache erschienen. Der Inhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen
olgt zusammenfassen: Die Zähmung der Klimakrise ist noch möglich, stößt aber auf enorme politische Hindernisse.Und nicht zuletzt ein Ereignis im November 2024 lässt bangen.Mann, der an der Pennsylvania State University in den USA lehrt, gehört zu den bekanntesten Klimawissenschaftlern, seit er 1999 das berühmte „Hockeyschläger“-Diagramm veröffentlichte (siehe Grafik weiter unten). Es zeigt, wie die globalen Temperaturen im letzten Jahrhundert in die Höhe geschnellt sind. Um unsere heutige Lage zu verstehen, hat Mann die Klimageschichte der Erde durchforstet, um sich ein besseres Bild von unserer möglichen Zukunft zu machen. „Wir haben vier Milliarden Jahre, auf die wir zurückblicken können, um daraus zu lernen“, sagt er in einem Interview mit dem britischen Guardian. Und, was hat Mann daraus gelernt?Die Erde wurde zur SchneekugelDer Forscher ist überzeugt, dass sich das Zusammenspiel von Erdklima und Lebewesen auf diesem Planeten zwischen zwei Polen abspielt: Stabilität und Fragilität. Ein stabiler Mechanismus war in der Vergangenheit zum Beispiel dieser: Obwohl die Helligkeit der Sonne um 30 Prozent zugenommen hat, seit das Leben auf der Erde begann, haben sich die Lebensbedingungen dadurch nicht verschlechtert. „Es gibt aber auch Beispiele, bei denen das Erdsystem genau das Gegenteil tat, bei denen es außer Kontrolle geriet, und zwar durch das Leben selbst“, sagt Mann. Ein Beispiel: Beim „großen Oxidationsereignis“ vor 2,7 Milliarden Jahren begannen primitive Bakterien plötzlich Sauerstoff zu produzieren, was zur Zerstörung des Treibhausgases Methan in der Atmosphäre führte. „Das hat die Erde in eine Schneekugel verwandelt, die fast alles Leben ausgelöscht hat.“ Droht uns etwas Ähnliches als Folge der Klimakrise?„Wenn wir uns diese vergangenen Episoden ansehen, haben wir das Gefühl, dass wir noch nicht dem Untergang geweiht sind – wir haben noch nicht für unser Aussterben gesorgt“, sagt er. „Aber wenn wir weiterhin von fossilen Brennstoffen abhängig sind, werden wir den sicheren Bereich verlassen, den wir aus der Erdgeschichte kennen. Das macht diesen Moment so fragil – wir stehen wirklich am Abgrund.“Eine Motivation für das Buch, so Mann, sei die zunehmende Klimawandelleugnung: „Ironischerweise schüren ausgerechnet die größten Umweltverschmutzer eine Untergangsstimmung.“ Denn wenn sie uns überzeugen können, dass alles zu spät ist – warum sollten wir dann überhaupt noch etwas gegen sie unternehmen? Mann hat bemerkt, wie die Klimageschichte von Untergangspropheten als Waffe eingesetzt wurde. Da ist gerne die Rede davon, dass die Erwärmung durch Methan beim Auftauen des Permafrosts ins Unermessliche steigt und sicher zu einem Massenaussterben führen wird. „Die Wissenschaft stützt das nicht“, so Mann.Wann stirbt die Menschheit aus?Unser Schicksal hängt in der Schwebe, sagt Mann: „Es gibt ziemlich überzeugende Beweise aus der Vergangenheit, kombiniert mit den Informationen aus Klimamodellen, dass wir den jetzigen zerbrechlichen Moment bewahren können, wenn wir die Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius halten können. Aber wenn wir über 3 Grad hinausgehen, ist das wahrscheinlich nicht möglich. Wir müssen dazwischen bleiben.“ Die heutigen klimapolitischen Maßnahmen würden zu einer Erwärmung von etwa 2,75 Grad führen, während die Einhaltung aller bisher gemachten Zusagen und Ziele eine Erwärmung von 2 Grad bedeuten würde. „Es ist also eine Frage, wie schlimm wir es werden lassen wollen“, sagt er. 1,5 Grad sei schon sehr schlimm, 3 Grad hingehen „potenziell zivilisationszerstörend“.Die weit verbreiteten Hitzewellen, Waldbrände und Überschwemmungen, die eindeutig mit der globalen Erwärmung zusammenhängen, haben den Ruf nach Maßnahmen laut Mann noch dringlicher gemacht: „Aber Dringlichkeit ohne Handeln führt uns nur zu Verzweiflung und Defätismus. Das ist es, was die Umweltverschmutzer wollen: All die Klimaaktivisten von der vordersten Front ins Abseits drängen.“Die Beendigung des Klimanotstandes sei möglich: „Wir wissen, dass die Hindernisse, die uns davon abhalten, die Erwärmung unter einem katastrophalen Niveau zu halten, noch nicht physischer oder technologischer Natur sind, sondern politischer Natur. Aber im Moment gibt es einige ziemlich große politische Hindernisse.“ An seiner Penn State University gebe es so viel Unruhe, Angst und Verzweiflung, ja sogar Trauer, erzählt er. „Ein Teil davon rührt von der irrigen Vorstellung, dass es physikalisch zu spät ist“, sagt Mann, „ich möchte diese Vorstellung zerstreuen.“Die Folgen eines Trump-SiegesSeine Einschätzung eines möglichen Sieges von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen 2024 ist drastisch: „Das ist eine Abkehr von der Demokratie hin zum Faschismus, und es gibt keinen Weg zu sinnvollen Klimaschutzmaßnahmen, der über den Faschismus führt und nicht über eine demokratische Regierung.“ Die jungen Leute müssten in großer Zahl wählen gehen, sagt Mann. „Wenn wir das tun, können wir Politiker wählen, die in unserem Namen handeln und nicht als Stempel für die Umweltverschmutzer fungieren.“Der UN-Klimagipfel Cop 28 beginnt Ende November und wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ausgerichtet. „Sehr beunruhigend“ findet Mann das. Nicht ohne Grund: Die Vereinigten Arabischen Emirate sind weltweit auf Platz drei, was Pläne für die Förderung der Öl- und Gasvorkommen anbelangt. Und der Präsident der Cop 28 ist kein Geringerer als der CEO von Adnoc, der staatlichen Ölgesellschaft der VAE. „Es fühlt sich einfach falsch an, ihnen zu erlauben, sich mit der Ausrichtung der Cop 28 das Siegel des globalen Klimaschutzes zu geben“, sagt Mann. „Damit legitimieren sie und andere Erdöl-Staaten ein Verhalten, das der Aufgabe, die vor uns liegt, grundsätzlich zuwiderläuft.“Placeholder image-1Mann ist seit der Veröffentlichung des Hockeyschläger-Diagramms eine der Hauptzielscheiben der Klimawandelleugner. Er kritisiert, dass Elon Musk die Social-Media-Plattform X (früher Twitter) betreibt. „Früher wurde Musk wegen seiner Rolle bei Tesla als Umweltheld gefeiert“, sagt Mann. „Aber dann hat er zunehmend sein wahres Gesicht gezeigt: seine politische Zugehörigkeit zu Trump und zum Faschismus.“Twitter sei ein globaler öffentlicher Platz gewesen, ein Forum, um über die Klimakrise zu kommunizieren, sagt Mann. „Aber Musk hat es in ein giftiges Forum für Klimaleugnung verwandelt. Es ist atemberaubend.“ Mann weist darauf hin, dass Prinz Alwaleed bin Talal aus Saudi-Arabien, einer der „schlimmsten petro-staatlichen Akteure“, 1,9 Milliarden Dollar zum Kauf von Twitter durch Musk hinzugesteuert hat.Prinz Alwaleed war bis 2017 außerdem ein wichtiger Geldgeber von Rupert Murdochs Medienimperium. Dabei handelt es sich um ein globales Netzwerk für Klimawandelleugnung, wo regelmäßig Angriffe auf Erneuerbare Energien gefahren werden. „Das kommt Saudi Arabien natürlich entgegen“, so Mann.
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