Manchmal geht es um Sekunden

UN-Konferenz Der Genfer Antirassismus-Konferenz wird von der Feindschaft zwischen Iran und Israel hypnotisiert. Dass Rassismus ein globales Phänomen ist, gerät in den Hintergrund

Als ich das Amt der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte übernahm, wurde ich vor den Kontroversen gewarnt, die mit einer UN-Weltkonferenz gegen Rassismus verbunden sind. Mir wurde geraten, mich von diesem Ereignis zu distanzieren. Ich habe mich für das Gegenteil entschieden und das aus folgenden Gründen: Kein Land ist frei von Rassismus, Diskriminierung oder Fremdenfeindlichkeit. Dies sind keine Themen, die ausschließlich den Norden oder Süden etwas angehen. Sie betreffen den ganzen Planeten.

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Schon wieder ein Eklat

Ich war acht Jahre lang Richterin beim Internationalen Ruanda-Tribunal im tansanischen Arusha. Hier lernte ich ganz aus der Nähe und im Detail, was passiert, wenn gestattet wird, dass ethnischer Hass gärt und letztendlich in Gestalt eines Genozid ausbricht. Was in Ruanda geschah, hatte Auswirkungen auf Burundi und führt bis zu einer drastischen Destabilisierung eines riesigen Nachbarstaates, der Demokratischen Republik Kongo. Wir können nicht einfach die Augen schließen und hoffen, dass ähnlicher Hass, der in anderen Winkeln der Welt köchelt oder angeheizt wird, einfach verschwindet. Er wird nicht von allein verschwinden. Wir müssen handeln.

Der Holocaust, die Kriege auf dem Balkan und der Genozid in Ruanda, der vor 15 Jahren begann, zeigen, dass epische Formen rassistischer Gewalt eine stete Bedrohung darstellen. Und es gibt eine Unzahl weiterer Arten des Hasses – von geringerem Ausmaß, aber nicht weniger grotesk –, die toleriert oder ignoriert werden, obwohl sie jeden Tag aufs Neue das Leben von Millionen Menschen auf der ganzen Welt zerstören.

Islamophobie, Antisemitismus und Christenfeindlichkeit – tatsächlich jede Form des Hasses gegen Angehörige einer bestimmten Religion oder Rasse – sind nicht hinnehmbar. Mehr denn je müssen wir wachsam sein gegenüber der Sprache des Hasses. Denn die „neuen Medien“ könnten benutzt werden, Millionen von Menschen mit Propaganda zu beliefern, die in Sekunden zu Gewalt aufhetzen kann. Dieser Bedrohung müssen wir uns stellen.

Von Südafrika lernen

Derzeit besteht besondere Dringlichkeit, denn in wirtschaftlichen Krisenzeiten werden sowohl in armen als auch reichen Ländern Minderheiten besonders häufig zur Zielscheibe. Ich wuchs unter dem Apartheid-Regime in Südafrika auf, das uns einschärfte, schwarze Menschen hätten angeblich kleinere Gehirne als weiße. Die erstaunliche Transformation Südafrikas in den neunziger Jahren zeigt jedoch, dass institutionalisierte Diskriminierung überwunden werden kann. Zu den jüngsten Durchbrüchen zählen die Entschuldigungen der Regierungen Australiens und Kanadas für den Umgang mit der indigenen Bevölkerung ihrer Länder. Doch trotz dieser und anderer Fortschritte, die gemacht wurden, bleibt noch viel zu tun.

Ich bin mir vollkommen bewusst darüber, dass der Ruf der Weltkonferenz von 2001 durch das antisemitische Verhalten, das damals einige NGOs am Rande zeigten, Schaden genommen hat. Trotz dieser bedauerlichen Vorkommnisse hat die Konferenz ihr Hauptziel erreicht: Es kam zur ersten globalen Strategie gegen Rassismus, festgehalten in der Durban Declaration und dem Programme of Action (DDPA), die das Fundament für die jetzige Konferenz in Genf abgeben. Das im DPPA verankerte Rahmenwerk hat in vielen Ländern dazu geführt, dass sich das Leben für Migranten, indigene Bevölkerungsgruppen und viele Menschen, die aus verschiedensten Gründen zu Opfern von Diskriminierung wurden, verbessert hat.

Ich weiß, dass versucht worden ist – wie schon 2001 –, die Medien der Welt auf ein bestimmtes Thema zu fixieren und zum Boykott der Konferenz aufzurufen. Doch sowohl die staatlichen als auch die anderen Teilnehmer müssen erkennen, dass mit einer aktiven Teilnahme der Diskriminierung am besten begegnet werden kann. Lassen wir uns nicht vom Hauptziel ablenken: der Schaffung einer Welt, in der wir alle – oder zumindest unsere Kinder und Kindeskinder – gleiche Chancen haben und gleich behandelt werden.

Navi Pillay ist Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte und Generalsekretärin der Nachfolgekonferenz zur UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban.

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Übersetzung: Zilla Hofman

Geschrieben von

Navi Pillay, The Guardian | The Guardian

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