Schlaf Wer lange wach bleibt und spät aufsteht, gilt als faul. Doch liebe Nachteulen: Unser Schlaf-Wach-Rhythmus ist Teil unserer genetischen Veranlagung und kein moralisches Versagen. Grund genug, Schluss mit dem frühen Aufstehen zu machen
Sind Sie auch eine Eule, die morgens gerne lange schläft? Kein Grund sich zu verstecken!
Foto: Oli Scarff / AFP via Getty Images
Es ist Januar, der Monat der Neujahrsvorsätze und anderer vergeblicher Bemühungen zur Selbstverbesserung. Und was gibt es Besseres, um mehr aus seinem Leben zu machen, als früher aufzustehen und den Tag zu nutzen?
Zumindest sagt das die Stimme in meinem Kopf, als ich um 9.30 Uhr zum zehnten Mal auf den Schlummeralarm drücke. Dann ist es Zeit, aufzustehen, geplagt von Schuldgefühlen wegen meiner Faulheit, als ob Ausschlafen eine Art ethischer Fehltritt wäre.
Das ist es natürlich nicht. Die circadianen Rhythmen der Menschen, unsere Schlaf-Wach-Zyklen sind von Natur aus unterschiedlich, und wenn auch Sie spät ins Bett gehen und spät aufstehen, sind Sie einfach eine Nachteule – oder, klinisch ausgedrückt, Sie haben eine verzögerte Schl
zögerte Schlafphase.Es ist an der Zeit, dass diese Beschämung des circadianen Rhythmus aufhört. Das ist nichts Neues. Vor Jahrhunderten stellte Benjamin Franklin die schockierend einseitige Behauptung auf, dass „frühes Zubettgehen und frühes Aufstehen einen Mann gesund, reich und weise macht“. In einem Essay aus dem Jahr 2018 in The Cut schrieb Edith Zimmerman, dass „frühes Aufstehen einem einen Energieschub verleiht; man fühlt sich überlegen, selbstgefällig“. Kürzlich drückte es ein Reddit-Nutzer ganz einfach aus: „Nachtschwärmer sind scheiße“, schrieb die Person. „Ihre Schlafgewohnheiten sind ein [Hindernis] in jedem Plan, das ständig umgangen werden muss.“Nachteulen: Ihr seid nicht allein!Aber Nachteulen, trösten Sie sich: Wie Robin Williams einmal zu Matt Damon sagte, ist es nicht Ihre Schuld. Ihr täglicher Schlaf-Wach-Rhythmus, der sogenannte Chronotyp, scheint größtenteils genetisch bedingt zu sein. Die Schätzungen darüber, wie häufig Nachteulen sind, variieren: Expert:innen, die mit dem Guardian sprachen, hatten von Schätzungen um die 15 Prozent gehört, während eine kürzlich in Finnland durchgeführte Studie ergab, dass zehn Prozent der Männer und zwölf Prozent der Frauen „Abendtypen“ sind. Eine Studie aus dem Jahr 2007 ergab, dass der häufigste Chronotyp, der 14,6 Prozent der Menschen ausmacht, von 12.09 Uhr bis 8.18 Uhr schläft, wenn keine „sozialen Verpflichtungen“ bestehen – die Hälfte der Bevölkerung schläft jedoch später. Auf jeden Fall, liebe Nachteulen: Ihr seid nicht allein.Unser Chronotyp ist „ein wesentlicher Bestandteil dessen, was wir sind“, sagt Dr. Beth Ann Malow, Neurologin und Schlafexpertin am Vanderbilt University Medical Center. „Es ist nicht so etwas wie: Ich entscheide mich dafür, eine Nachteule zu sein, und ich bin faul. Es ist eine biologische Präferenz.“Dr. Phil Gehrman, ein klinischer Psychologe, der sich an der Universität von Pennsylvania auf verhaltensorientierte Schlafmedizin spezialisiert hat, stimmt dem zu. Die Voreingenommenheit gegenüber Nachteulen sei „rein kulturell bedingt“, sagt er und zitiert Franklin, der Gerhmans Universität mitbegründet hat. (Ben Franklin war auch ein Befürworter der Sommerzeit, was ein ganz anderes circadianes Durcheinander ist).Der Zeitplan von 9 bis 17 Uhr mag für Frühaufsteher gut sein, aber er wirkt sich nachteilig auf diejenigen aus, die später schlafen müssen. Und das sind vielleicht nicht nur die Eulen: Eine Studie aus dem Jahr 2014 ergab, dass deren Teilnehmer:innen (die nicht alle Eulen waren) im Allgemeinen umso mehr Schlaf bekamen, je später die Arbeit und der Unterricht begannen. „Es ist die Kombination aus frühem Arbeitsbeginn und langem Arbeitsweg, die für den kurzen Schlaf verantwortlich ist“, schrieb der Hauptautor der Studie, Dr. Mathias Basner, Leiter der Abteilung für experimentelle Psychiatrie, Abteilung für Schlaf und Chronobiologie in Pennsylvania, in einer E-Mail an den Guardian.Kollisionen mit dem SchlafrhythmusProblematisch wird es, wenn wir einen Beruf oder eine Ausbildung haben, die nicht mit unserem circadianen Rhythmus übereinstimmen. Wenn die Verpflichtungen des Wachlebens so sehr mit dem eigenen Schlafrhythmus kollidieren, dass es schwierig ist, zu funktionieren, verwandelt sich die Nachteule von einer Tendenz zu einem Zustand, der als verzögerte Schlaf-Wach-Phasen-Störung bekannt ist und bei dem die zirkadianen Rhythmen das tägliche Funktionieren erschweren. Etwa 0,2 Prozent bis 1,7 Prozent der Erwachsenen sind von dieser Störung betroffen.„Das Verrückte ist“, sagt Malow, dass die Frage, ob die Schlafgewohnheiten einer Person als Störung oder einfach als Tendenz betrachtet werden, „mehr von ihrem Lebensstil und ihrer Beschäftigung abhängt als von irgendetwas anderem.“Malow sagt, dass die Behandlung oft damit beginnt, zu prüfen, ob die Menschen ihre Arbeitszeiten an ihren biologischen Rhythmus anpassen können. Sie beschreibt einen Patienten, der in der High School Schwierigkeiten hatte, aber aufblühte, als er anfing, als Koch zu arbeiten; oder Studierende, die sich für späte Kurse anmelden können.In einer idealen Welt, sagt sie, wären wir weniger starr, was den Arbeitsbeginn angeht – aus gesundheitlicher Sicht wäre es am besten, wenn wir Wege finden würden, uns an unsere eigene innere Uhr zu halten. Anstatt zu versuchen, den sozialen Anforderungen gerecht zu werden, „wäre es mir viel lieber, wenn [die Patient:innen] einen festen Zeitplan hätten, bei dem sie um zwei Uhr ins Bett gehen und um 10 oder 11 Uhr aufstehen“. Natürlich haben viele Menschen nicht das Glück, dass sie solche Zeitverschiebungen einhalten können – in diesem Fall kann die Störung mit Lichtexposition, Melatonin und Bewegung behandelt werden. Mit solchen Techniken ist es möglich, den circadianen Rhythmus zu verändern, sagt Gehrman, aber die Menschen haben unterschiedliche Erfolgsquoten (er hat dafür einen Begriff geprägt: circadiane Flexibilität).Höhere Depressionsrate unter NachteulenDoch abgesehen von den Bedenken hinsichtlich der Arbeitszeiten, gibt es auch grundlegende gesundheitliche Vorteile des frühen Aufstehens? Die Forschung hat zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen spätem Aufstehen und schlechter psychischer Gesundheit oder Unzufriedenheit festgestellt. Gehrman zufolge ist dies jedoch noch nicht endgültig geklärt.„Es gibt viele epidemiologische Studien, die zeigen, dass eine Nachteule mit einer höheren Rate an Depressionen, Angstzuständen und all diesen Dingen in Verbindung gebracht wird. Aber die offene Frage ist: Ist es die Tatsache, dass man eine Nachteule ist? Oder ist es die Tatsache, dass die meisten Nachteulen gezwungen sind, einem Zeitplan zu folgen, der früher ist als ihr zirkadianer Rhythmus – was wir oft als Fehlanpassung bezeichnen“, sagt er. Jüngste Studien deuten auf Letzteres hin, sagt er: „Es ist sicherlich nicht schlüssig, aber wir glauben, dass das der Fall ist.“Das Fazit ist: Wenn Sie eine Nachteule sind, fühlen Sie sich nicht schlecht deswegen, und wenn Sie ein Frühaufsteher sind, seien Sie nachsichtig mit Ihren Nachtschwärmer:innen. Indem Sie Langschläfer:innen als faul darstellen, unterstützen Sie vielleicht einfach nur „den Mann“: Der britische Forscher Dr. Paul Kelley hat spekuliert, dass wir an einem 9-5-Zeitplan festhalten, weil es den Chefs um die 50 passt, die aufgrund ihres Alters leichter früher aufstehen können.„Die Menschen sollten ihren Zeitplan nicht ändern, weil sie glauben, dass es schlecht für sie ist, ihrem Zeitplan zu folgen“, sagt Gehrman. „Als Menschen scheinen wir immer zu sagen, dass jemand, der anders ist als wir, deshalb falsch ist. Ich denke, man sollte die Unterschiede im circadianen Rhythmus genauso betrachten wie alle anderen Unterschiede zwischen Menschen.“ Also kommen Sie uns nicht mit Ihren Vorurteilen – vor allem nicht vor Mittag.
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