Meine Füße sind taub. Ich bin schon seit einigen Minuten in einer ungünstigen Hocke gefangen, Milchsäure frisst sich durch meine Oberschenkel. Die sechs Meter hohe mechanische Puppe starrt mich unbarmherzig an, ihr Kleid ist orangefarben, ihr Kopf ist voller laserpräziser Bewegungssensoren. Am Rande meiner Sicht stürzt ein Teilnehmer mit einem Schrei. Ich frage mich, wie es sich anfühlt, wenn eine mit Sprengstoff präparierte Weste auf der Brust explodiert. Ich hatte „Red Light, Green Light“ in der koreanischen Fernsehserie Squid Game gesehen. Ich hatte keine Ahnung, dass die reale Version so schmerzhaft sein würde.
Gestern hielten Hunderte von Wettbewerbern in diesem eiskalten Flugzeughangar fast 30 Minuten lang Posen. Ich habe gehört, dass einige entgegen aller Ratschläge gefährlich über die Ziellinie gehechtet sind. Variety berichtete, dass viele am Set zusammenbrachen und ärztlich versorgt werden mussten. Am Tag, nachdem ich diesen Bedingungen getrotzt hatte, wird auf der Titelseite der Sun zu lesen sein: „Squid Game Horror in der UK!“ Das Drama ist in mehr als einer Hinsicht real geworden.
Basierend auf der meistgesehenen Netflix-Show kämpfen in Squid Game: The Challenge (der angeblich ehrgeizigste Reality-Wettbewerb aller Zeiten) 456 Spieler aus der ganzen Welt um 4,56 Millionen Dollar. Ich spiele einige der Spiele mit Journalistenkollegen und habe keine Chance, auch nur 20 Pfund (17,50 Euro) zu gewinnen – zumindest denke ich das. Wir bekommen allerdings ein paar schicke grüne Trainingsanzüge.
Zehntausende bewarben sich für die Show
Die bonbonfarbene Kulisse ist noch verwirrender durch die Anwesenheit von Anupam Tripathi, einem Mitglied der Besetzung des Originals. Warum ist er hier? Er fängt meinen Blick ein, als ich kurz davor bin, hinzufallen. „Guck nicht nur hin – hör zu“, zischt er. Wie bitte? Dann habe ich es verstanden. Ich richte meine Aufmerksamkeit auf den Kopf der Puppe. Kurz bevor sie sich einem Exorzisten gleich wieder dreht, höre ich das Geräusch von sich bewegenden Innenteilen. Das Geräusch verschafft mir eine zusätzliche Sekunde, genug, um mich über die Ziellinie zu bringen. Vielleicht ist Tripathi mein Schutzengel.
„Die größte Überraschung war, dass wir am Ende eine Sendung hatten, in der man sich für die Menschen interessiert“, meint Produzent Stephen Lambert. Laut herkömmlicher TV-Weisheit bauen Zuschauer keine Bindung zu einer 20-köpfigen Besetzung auf. 456 Teilnehmer brechen diese Regel nicht nur, sondern sprengen sie. Zehntausende haben sich beworben, angezogen von der Möglichkeit, sich selbst zu entdecken, ganz zu schweigen von den 16 Tagen, die sie auf Kosten von Netflix leben.

Foto: Netflix
Der Streaming-Anbieter hat einen Teil des geschätzten Gewinns von 900 Millionen Dollar (824 Millionen Euro) aus dem Original in dieses Spiel gesteckt, also erwarte ich Hummerbrötchen. Als die maskierten Wachleute einen Wagen mit Lunchpaketen auf den Boden des Schlafsaals rollen, bedanke ich mich leise. Ich sage noch etwas, als ich ein hartgekochtes Ei entdecke, und sonst nichts. „Ich habe einen Abschluss in Journalismus“, jammert Ash, eine Autorin von Entertainment Tonight. „Jetzt frage ich, ob ich meine Jogginghose behalten und noch ein Ei haben kann.“
Frei von der Kapitalismuskritik des südkoreanischen Originals
Das ursprüngliche Drama über verzweifelte Erwachsene, die Kinderspiele mit tödlichen Folgen spielen, war eine Satire auf ausbeuterisches Reality-TV. Was sagt es aus, dass The Challenge die Serie Squid Game ohne diese Kritik neu auflegt? „Das ist eine Dimension des Dramas. Aber im Drama geht es auch um viele andere Dinge“, erklärt Produzent John Hay. „Millionen von uns haben zugeschaut und gedacht: ,Was würde ich tun?‘ Diese Prüfung des menschlichen Charakters unter Druck, das haben wir aufgegriffen.“
Der Schöpfer von Squid Game, Hwang Dong-hyuk, hat das Set besucht und der Serie seinen Segen gegeben. Das Team hat seine Vision geschickt in die Tat umgesetzt, ohne seine antikapitalistische Botschaft zu übernehmen. Sie haben den Schwerpunkt von „Not“ auf „Chance“ verlagert – die Chance, Millionen zu gewinnen und durch den Bildschirm in ihre Lieblingssendung zu gelangen. „Es ist nicht so, dass unsere Teilnehmer mittellose Menschen sind, wie in der Show. Einige von ihnen sind Unternehmer und ziemlich wohlhabend“, sagt Lambert.
In einer John Waters-pinken Toilettenkabine entdecke ich schockiert, dass eine Kamera auf mich gerichtet ist. Aber ich muss trotzdem gehen. Ich überprüfe mein Haar in verspiegelten Fenstern, von denen ich weiß, dass sie die Schreibtische der Produzenten verbergen. Aufgewühlt von der Dramatik von Red Light, Green Light, setzt sich Ash mit einem Kaffee hin und ihre Weste explodiert zufällig und überschüttet sie mit einer Fontäne blauer Tinte. „Wo zum Teufel hat sie einen Kaffee her?“, denke ich. Es geht das Gerücht um, dass wir heute um echtes Geld spielen. Ein harter Buzzer unterbricht meine Gedanken: Zeit für das nächste Spiel.
Detailgetreu nachgebaute Kulissen
Wir werden in eine Western-artige Geisterstadt in der Farbe des Sonnenuntergangs geführt. Der Boden besteht ausschließlich aus Sand. Die Wachen sagen uns, wir sollen uns einen Partner aussuchen. Jake arbeitet für LadBible, aber es macht mir Spaß, mit ihm abzuhängen. Er ist die naheliegendste Wahl, also tun wir uns zusammen. Aber eine Tragödie! Wir sollen uns ein eigenes Spiel mit Murmeln für zwei Spieler ausdenken, bei dem der Verlierer eliminiert wird. Erschütternd.

Foto: Netflix
„Oh, Junge. Sollen wir abwechselnd Murmeln in eine Kiste werfen?“, bietet Jake arglos an. Erst als wir uns zu unserer improvisierten Wurflinie begeben, verrät er dreist, dass in seinem Garten ein Sandkasten steht und das sein Lieblingsspiel ist. Ich wurde über den Tisch gezogen.
Ich schaffe es nicht, ins Schwarze zu treffen. Wenn ich es tue, springt die Murmel heraus. Jake gackert, während er meine Murmeln einsammelt. So werde ich nicht untergehen, beschließe ich. Außerdem, wer hat schon einen Sandkasten zu Hause? Ich nehme eine absolut uncoole Position ein, werfe die Murmel zwischen meinen Beinen durch und gewinne an Konstanz. Ich bemerke, dass es in einer Ecke der Kiste einen tieferen Haufen Sand gibt, der den Fall der Murmel dämpft. Ich treffe ihn wieder und wieder. Jake verliert den Kopf. In der letzten Runde stößt er an den Rand der Kiste und flucht. Er schießt mit seiner letzten Murmel über das Ziel hinaus. Ausgeschieden. Ich kann es nicht fassen.
Knallharte Dramen wie bei „Game of Thrones“
Strategie, Allianzen und Pragmatismus sind in dieser Show entscheidend. (Man könnte sagen, dass die Spiele ein gewisses „squid pro quo“ verlangen.) Das ist kein Zufall, wenn man bedenkt, dass es von den Teams hinter The Traitors und 24 Hours in A&E stammt. Die Hintergrundgeschichten werden in Spielerinterviews erforscht, die die Handlung unterbrechen. Ein Handlungsstrang, in dem sich eine gewitzte ältere Frau mit einem unbeliebten Alphamännchen anfreundet, ist so heimtückisch fesselnd wie ein Roman. Eine Spielerin nutzt ihr niedliches Auftreten gezielt, um ihre Vorliebe für rücksichtslose Betrügereien zu verbergen. Eine andere erfährt religiöse Zweifel und bricht zusammen.
„Wir hatten ständig Leute, die an Mikrofonen zuhörten und nach einer großartigen Storyline Ausschau hielten“, sagt Produzent Toni Ireland. Das Team ließ sich von Band of Brothers und Game of Thrones inspirieren – knallharte Dramen, in denen große Figuren routinemäßig getötet werden, bevor der Staffelstab an einen anderen potenziellen Helden weitergegeben wird.
Was mich betrifft, ich glaube langsam, dass ich gewinnen könnte. Die Wachen führen uns in einen riesigen pastellblauen Raum mit Wattewolken an den Wänden und gelbem Sand und händigen uns jeweils eine Dose und eine Nadel aus. Mit der Nadel sollen wir eine einfache Form ausschneiden, die in eine wabenförmige Scheibe im Inneren der Dose geätzt ist. Scheitern = Tod usw. Aber das klingt machbar. Ich schaue auf die Nummer auf meinem Trainingsanzug: 456. Der Auserwählte. Ich schaue mich bei den anderen Spielern um. Aus irgendeinem Grund darf Jake trotz seiner demütigenden Niederlage beim Murmeln mitspielen.
Die Technik hinter „The Challenge“ ist anspruchsvoll
Abgesehen von den schlecht funktionierenden Westen ist die technische Seite der Show beeindruckend: neun Meter hoch gestapelte Betten in Schlafsälen, ein 800 Kilogramm schweres leuchtendes Sparschwein. Selbst die Süßigkeit in meiner Hand zeugt von der immensen Herausforderung hinter The Challenge. Die Spieleentwickler haben 19 verschiedene Rezepte getestet, um eines zu finden, das nicht zu schnell oder zu spät bricht. Jedes vakuumverpackte goldfarbene Dalgona musste aus Gründen der Fairness zur exakt gleichen Zeit vor dem Spiel ausgepackt werden. „Ich bekomme Flashbacks, wenn ich nur daran denke“, sagt Ireland mit Schaudern.
Plötzlich erinnere ich mich an die Szene, in der die Spieler in Squid Game ihre Bonbons mit Spucke aufweichen. Das ist der Trick! Ich klappe den Dosendeckel ab. Solange ich einen Kreis, ein Dreieck oder sogar einen Stern bekomme, sollte es klappen.

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Ich starre auf die verschnörkelte Schirmform, die in mein Bonbon geritzt ist: oben ein Fledermausflügel, unten ein dünner, gebogener Griff. Warum ich? Die Uhr beginnt ihren Fünf-Minuten-Countdown, während ich weinend auf der brüchigen Scheibe kaue. Zwei Minuten sind vorbei. Das ist so unfair. Ich muss anfangen, mit der Nadel zu punktieren. Drei Minuten. Ich habe Sand im Mund, die Nadel rutscht in meiner klebrigen Hand ab. Vier. Vielleicht gibt es noch Hoffnung? Ich kratze verzweifelt. Dann passiert das Unvermeidliche – ein Teil des Schirms reißt ab. Nein, nein. Eine Wache im Sprunganzug starrt mich an und zieht sich zurück.
Pffffst. Unter Druck stehende Tinte explodiert in meinem Nacken und überzieht mein Gesicht. „Spieler 456 ... eliminiert.“ So fühlt es sich also an. Blaue Gesichter säumen den Strand um mich herum – einschließlich Tripathi, der auch einen Schirm bekommen hat. Mach's gut, Bruder. „Die Spiele werden im Laufe der Serie moralisch immer komplexer, mit Geschichten von Vertrauen und Verrat“, sagt Hay stolz. „Es gilt das Mantra ,Du bist, wie du spielst‘.“
Was ein dicker Reinfall. „Ich habe meins ein bisschen kaputt gemacht, aber ich habe es mit Sand bedeckt, und sie haben es nicht bemerkt“, lacht Jake draußen. Das riesige Sparschwein fällt von der Decke herab und flattert mit Geldscheinen wie eine spöttische Piñata. Keiner von uns hat alle drei Spiele bestanden, also nimmt auch keiner von uns etwas davon mit nach Hause. Wenn du so spielst, wie du bist, dann bin ich ein verbitterter Loser.
Squid Game: The Challenge ist ab 22. November 2023 auf Netflix zu sehen
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