„The Bear“-Star Moss-Bachrach: „Richies Anziehungskraft? Dysfunktion versteht man überall“
Interview Ebon Moss-Bachrach ist für seine Rolle in der Küchen-Serie „The Bear“ für einen Emmy nominiert. Hier spricht er über Richie als Chaos-Motor der Serie und klärt die Debatte, ob Chicago oder New York die bessere Pizza hat
Ebon Moss-Bachrach ist für seine Rolle als Richard „Richie“ Jerimovich für einen Emmy nominiert
Foto: Matt Winkelmeyer/Getty Images
Die Küche von Ebon Moss-Bachrach ist unaufgeräumt, und zwar so sehr, dass man mir per Videoanruf aus Brooklyn mitteilt, dass Moss-Bachrach seine Kamera lieber ausgeschaltet lässt. Was schade ist, denn ich würde natürlich gerne das Durcheinander in seiner Küche sehen. Ich imaginiere rauchende Pfannen, von der Decke tropfenden Pizzateig und mich, wie ich ihm vom anderen Ende des Internets zurufe: „Dude, deine Kochmütze brennt!“
Aber Moss-Bachrach lässt mich keinen Blick auf seine alltägliche Unordnung werfen. „Mein Haus ist ein einziges Chaos“, sagt er. „Ich war gerade am Backen. Nun steht überall schmutziges Geschirr herum, Töpfe und so. Ich fühle mich etwas entblößt – und will dir den A
dir den Anblick ersparen.“Richie ist der oberste Störenfried in „The Bear“Dabei hätte das so gut gepasst, spielt Moss-Bachrach in The Bear doch die Ein-Mann-Chaos-Maschine Richie Jerimovich. Richie ist der oberste Störenfried der Serie, ein nervtötender Albtraum von einem selbst ernannten Manager, ständig dabei, dem Plan seines Cousins, Sterne-Chefkoch Carmy Berzatto (Jeremy Allen White), Steine in den Weg zu legen. Carmy will den ehemaligen Sandwich-Laden namens The Original Beef of Chicagoland, den er von seinem verstorbenen Bruder übernommen hat, in ein Feinschmeckerrestaurant verwandeln.Zur Sorge um defekte Toilettenspülungen und fehlendes Geld kommt für Carmy also die Auseinandersetzung mit Richie dazu – dem einzigen Inventar des alten Ladens, das er nicht einfach entsorgen kann. Richie trauert der Zeit nach, in der er den billigen und fröhlichen Sandwich-Laden an der Seite von Carmys Bruder Mikey (Jon Bernthal) geleitet hat und betrachtet Carmys Erneuerungstraum nicht nur als Verrat, sondern auch als einen zu verachtenden Akt der Gentrifizierung.Moss-Bachrach spielt den schwierigen Mann in Trainingshosen und Adidas-High-Top-Sneakers so überzeugend, dass ihm die Rolle sowohl eine Emmy-Nominierung einbrachte als auch den Ruf einer Stilikone. „Richie hat definitiv zu kämpfen. Zu Beginn der Serie macht er eine schwere Zeit durch. Er trauert und versucht sich mit Zigaretten, Essen oder Zorn zu betäuben. Er ist nicht wirklich er selbst.“Umso besser passt es, dass Moss-Bachrach in Brooklyn gerade zu Meditationszwecken backt. Was er zubereitet hat? „Ein Roggenbrot und einen Sandwich-Laib, ein so genanntes Pullman-Brot. Ich backe seit 15 Jahren. Vor kurzem kam ich mit einem echten Bäcker ins Gespräch, einem, der selbst eine Bäckerei hat. Der fragte mich: ‘Du willst Bäcker sein? Mach' mir mal 300 Croissants.‘ Da musste ich zugeben: ‘Nein, ich bin kein wirklicher Bäcker.‘“ Moss-Bachrach lacht. „Blätterteig-Laminierung zum Beispiel? Das ist mir zu hoch. Ich backe einfach gerne Brot. Und das war's.“Weil es beruhigend ist? „Ja, es beruhigt mich. Ein paar Mal pro Woche wende ich mich dem zu. Es ist schwer zu fassen, was ich da suche, es ändert sich von Woche zu Woche. Ich jage einer Sache hinterher, die sich immer wieder entzieht.“„Carmy ist eine endlose Quelle der Frustration für Richie“Hat das Roggenbrot etwas mit seiner Herkunft zu tun? „Nein, obwohl meine Frau Ukrainerin ist, und die Ukrainer ihr dunkles Roggenbrot lieben.“ Moss-Bachrach hat mit der Fotografin Yelena Yemchuk zwei Töchter. Die Beziehung mag seine Art, Richie zu spielen, inspiriert haben. „Richie ist Ukrainer. Er ist nicht in Chicago geboren, sondern ein Armeekind, das wegen des Vaters beim Militär oft umziehen musste. Ich glaube, er landete erst mit 10 oder 12 in Chicago und ist dann gewissermaßen am Tisch der Berzattos aufgewachsen, sie haben ihn gleichsam adoptiert. Ich glaube nicht, dass Richies eigene Familie die beste war.“Was die Zuschauer so für Richie einnimmt, ist wohl die Tatsache, dass er ein liebenswerter Verlierer ist. Man versetzt sich in ihn hinein und hofft, dass er doch noch triumphieren wird. Das macht die Szenen, in denen Richie mit dem verquälten Genie Carmy aneinander gerät, so eindringlich. An einer Stelle in der zweiten Staffel jammert Carmy darüber, dass Kochen für ihn ein Zwang sei und „keinen Spaß“ bereite. „Ja“, schnauzt Richie zurück, „aber du liebst es.“ „Das heißt aber nicht, dass es mir Spaß macht“, antwortet Carmy. „Wenn dir der Scheiß keinen Spaß macht, Cousin“, knurrt Richie, „was zum Teufel macht dir dann Spaß?“Eingebetteter Medieninhalt„Carmy ist eine endlose Quelle der Frustration für Richie“, sagt Moss-Bachrach. „Denn Richie ist sehr extrovertiert und lautstark, während Carmy im Innern seine Neurose verbirgt. Er ist wie eine verschlossene Kiste.“ Ganz genau: Im Finale der zweiten Staffel muss Richie am Eröffnungsabend des Restaurants seinen Cousin Carmy aus dem begehbaren Kühlschrank befreien, in dem der sich aus Versehen eingeschlossen hatte. Statt erleichtert zu sein, geraten die beiden in einen heftigen Streit darüber, dass Carmy seiner neuen Freundin Claire den Laufpass gegeben hat.Die Leute rufen Ebon Moss-Bachrach überall „Cousin!“Was hat es damit auf sich? „Zu sehen, wie jemand etwas aus freien Stücken aufgibt, ist einfach unentschuldbar“, sagt Moss-Bachrach. „Da wartet ein wunderschönes Leben auf dich, was glaubst du, wer du bist?“ Besonders in den Augen von jemandem wie Richie, der selbst so viel verloren hat.Die Leute rufen ihm „Cousin!“ zu, wo immer sie ihm in diesen Tagen auch begegnen. Obwohl er rein verwandtschaftstechnisch nicht wirklich Carmys Cousin ist. Dass The Bear weltweit so gut ankommt, verwirrt Moss-Bachrach, der bislang eher unrühmliche Nebenfiguren spielte wie den Ex-NSA-Analysten und Hacker „Micro“ in der Netflix-Serie The Punisher oder den schmerzmittelsüchtigen, unreifen Desi Harper in Lena Durhams Girls.Olivia Colman vermittelt ihm ZenDie Vorstellung, dass Moss-Bachrach zu Hause zur Beruhigung Brot backt, berührt auch deshalb, weil es für Richie in The Bear so wenig Momente von Gelassenheit gibt. Gerade deshalb schlug auch sein Dialog mit Olivia Colman in der zweiten Staffel, Folge Sechs so ein: Richie wurde zu einer Schlüsselfigur mit Aussicht darauf, das ewige Verlierertum hinter sich zu lassen. Carmy hatte Richie zum Praktikum in ein Nobelrestaurant geschickt, damit er dort in Grundkenntnisse der Gastronomie eingeweiht wird. Anfangs sträubt Richie sich gegen die ihm zugewiesenen niederen Aufgaben, wie zum Beispiel das Polieren von Gabeln. Eines Morgens trifft er auf Chefköchin Terry (Colman), die geduldig Pilze schält – ein Sinnbild für die Würde der bescheidensten Aufgaben. Er gesellt sich zu ihr, und nachdenklich tauschen sie Erinnerungen an das Aufwachsen in Militärfamilien aus. Für einen kurzen Moment herrscht Zen inmitten von Richies gewohntem Chaos.Moss-Bachrach ist erfreut darüber, dass The Bear ihm etwas zugesteht, was seine Figuren normalerweise nicht bekommen – die Geschichte eines persönlichen Wachstums. Was ihm allerdings besonders gefällt an der Entwicklung von Richie zum Maître d', ist, dass er keine Trainingshosen mehr tragen muss.Ebon Moss-Bachrach ist nicht Richie Jerimovich. Statt einer fleischigen Monstrosität von einem Sandwich in Schiffsgröße gibt es bei ihm in Brooklyn Suppe und Salat. Und wahrscheinlich frisch gebackenes Brot. Die wichtige Parallele liegt woanders: Wie Richie ist Moss-Bachrach kein Chicagoer. „Ich bin New Yorker, soll heißen ich lebe hier schon sehr lange.“ So lange, dass ihm die Gentrifizierung in Brooklyn Sorgen bereitet.Was er sich von der dritten „The Bear“-Staffel erhofftWie steht Moss-Bachrach zum Kulturkrieg zwischen New York und Chicago, der um die Frage kreist, wer die bessere Pizza macht? „Nun, Chicago ist berühmt für die ‘deep dish pizza‘ mit ihrem dicken Teig, die ich etwas seltsam und, offen gesagt, nicht wirklich appetitlich finde.“ Ketzerisches Gerede, das ihm die Vertreibung aus der „Windy City“ einbringen könnte. „Aber was ich in Chicago mag, ist die Pizza im Bar- oder Tavernenstil; die hat eine dünne Kruste, so wie sie mir schmeckt.“ Gut gerettet. Vielleicht darf er ja doch zurück nach Chicago, um die dritte Staffel von The Bear zu drehen. Die Drehbücher dafür hat er noch nicht gesehen, aber Moss-Bachrach hofft, dass es in der dritten Staffel wieder Chaos in der Küche geben wird und noch mehr von Richie, dessen grenzüberschreitende Anziehungskraft für ihn auf der Tatsache beruht, dass man „Dysfunktion eben überall versteht“.„Nick Cave hat oft über das Bindegewebe der Menschheit gesprochen, davon, dass uns unsere Verluste verbinden“, sagt er. „Ich denke, er hat recht. Uns allen gemeinsam ist, dass wir alle jemanden verlieren, Freunde, Familie. Wir gehen alle irgendwann unter. Also ja, Richie versteht man überall.“
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.