Beim Russisch Roulette hängt das Leben an einer Kugel in der Revolvertrommel. Beim Sri-Lanka-Roulette ist die existenzielle Frage schon entschieden. Es ist jenen vorbehalten, die schon im Reich zwischen Leben und Tod wandeln. Im Limbo entscheidet das Glück am Spieltisch darüber, ob man es ins ewige Licht schafft oder in irgendeiner Reinkarnation wieder zurück ins Leben muss.
Mit dem Dreh am Glücksrad bietet Shehan Karunatilakas Geschichte aus dem Bürgerkrieg in Sri Lanka immerhin eine Alternative zum Karmageddon, bei dem immer alle das bekommen, was sie verdient haben. Das Karma, flucht einer der Untoten in diesem großartigen Geisterroman, sei ohnehin nur „kalkulierter Dünnschiss, um die Armen unten zu halten“.
Um das Leben mit und nach dem
mit und nach dem Tod geht es in dem Roman Die sieben Monde des Maali Almeida, der im vergangenen Jahr mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Die Geschichte des Kriegsfotografen Maali Almeida führt in das mörderische Chaos des Bürgerkriegs von Sri Lanka. Seit Jahren schon toben politische und ethnische Konflikte, als Almeida im Sommer 1990 ermordet wird. Der Roman setzt damit ein, wie er „verkatert und gedankenleer“ in einem „endlosen Wartezimmer“ erwacht. Schnell wird ihm klar, dass die übervölkerte „Steuerbehörde“, in der er sich wiederfindet, Dantes Vorhölle gleicht. Dort begegnet der von seinem Tod wenig überraschte Fotograf zahlreichen Opfern des Krieges: einer massakrierten tamilischen Aktivistin, einem ermordeten Polizisten, einer verbrannten Mutter.Zwielichtige KundenDer Tod ist in diesen Gefilden ein willkürlicher Schnitter, und so weiß man zunächst nicht, ob Almeida seine Fotos, seine Spielsucht, seine Homosexualität oder sein Atheismus zum Verhängnis geworden sind. Der heilige Gral in dieser Geschichte sind aber zweifellos seine Bilder.Sie führen in das dunkle Zentrum des Krieges, wo Militär, Geheimdienst und Rebellen ihre eigenen Ziele verfolgen. In Hinterzimmer und Folterkeller, wo sich jeder auf andere Weise schuldig macht.Almeidas zwielichtige Kunden wollen seine Fotos in ihren Besitz bringen und sind allzu schnell bereit, dafür über Leichen zu gehen. In der Zwischenwelt hat der untote Fotograf sieben Tage und Nächte Zeit, um die Menschen, denen er am meisten vertraut, zu einigen geheimen Aufnahmen zu führen. Er will mit ihnen die Drahtzieher und Profiteure dieses Krieges entlarven. Das hat natürlich etwas von Shakespeare, die Frage nach „Sein oder nicht sein“ stellt sich selbst im Totenreich.Die sieben Monde werden für ihn zum Wettlauf gegen die Zeit, denn während seine Freunde im Diesseits ins Visier dieser Dunkelmänner geraten, versucht Almeida im Jenseits, sie zu seinen versteckten Negativen zu führen. Dabei bedient er sich seiner lebenslangen Leidenschaften für das Glücksspiel und die Musik, die eines von vielen Motiven ist, mit denen Karunatilaka seinen Roman in die queere Literatur einschreibt.Die grausame Wirklichkeit des Bürgerkriegs wird im Text sprachlich aufgehoben, um sie mit schwarzem Humor und Sarkasmus in all ihren Dimensionen – politisch, historisch und mythologisch – greifbarer zu machen. Dazu trägt auch die distanzierende Du-Perspektive bei. Dieses Du führt konsequent vor Augen, dass das Ich des Erzählers bereits vor dem Beginn der Handlung vernichtet wurde. So folgt man der Erzählung eines Untoten, der seinem Geist dabei zusieht, wie er die letzten Dinge ordnet.Diese magisch-realistische Geisterstory aus Sri Lanka erinnert an Michail Bulgakows Meister und Margarita und Salman Rushdies Mitternachtskinder. Die echte Welt wird hier nur noch durch den allgegenwärtigen Nebel des Todes betrachtet. „Die Regierungstruppen, die Separatisten im Osten, die Anarchisten im Süden und die Friedenstruppen im Norden sorgen alle für Leichen in Hülle und Fülle“, fasst Karunatilakas allwissender Erzähler die politische Atmosphäre der erzählten Zeit zusammen.In einem realistischen Roman wären diese Leichen stumme Zeugen. Hier wandeln sie wie Zombies durch die Unterwelt und erzählen dem untoten Fotografen ihre Geschichten. So verhilft Karunatilaka den Toten in seinem Geburtsland zur Sprache. Sie schildern den Schmerz, mit dem sich Gift durch Gedärme frisst, brennendes Fleisch vom Knochen löst oder Granatsplitter in den Körper bohren. Ihre Berichte und Almeidas Fotografien verankern diesen düsteren Roman in der bestialischen Wirklichkeit der Zeit.Hannes Meyer hat diesen surrealen Bericht aus dem Totenreich mitreißend ins Deutsche übersetzt. Seine lebendige Übertragung lässt dieses Meisterwerk grimmig funkeln. Karunatilaka führt die Gleichzeitigkeit von Kolonialismus, Rassismus und Korruption vor Augen. Mit den Mitteln der Literatur entlarvt er eindrucksvoll die grausame Wirklichkeit des Krieges. Und des Sri-Lanka-Roulettes.Placeholder infobox-1