Ein Schnitt durch das gesellschaftliche Band

Medien Das Gebaren im Umgang mit der Germanwings-Katastrophe wirft viele Fragen auf und lässt so manchen kopfschüttelnd zurück

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Der zuständige Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa spricht vor der Presse
Der zuständige Düsseldorfer Staatsanwalt Christoph Kumpa spricht vor der Presse

Foto: SASCHA SCHUERMANN/AFP/Getty Images

Europa steht in diesen schweren Tagen, an denen ein ganzer Kontinent um die 150 Opfer der Germanwings-Katastrophe in Frankreich trauert, an denen sich viele Familien, Freunde und Beteiligte plötzlich und unvermittelt vor einem tiefen Abgrund wiederfinden, äußerst eng zusammen.

Die Bevölkerung und die Politik verhält sich tadellos als Europäer, für die sich Trauer nicht an Grenzen von Nationalstaaten orientiert.

In Deutschland wird es einen zentralen Trauerakt im Kölner Dom geben, Fernsehsendungen wie die „heute show“ werden aus Rücksichtnahme abgesagt, Stefan Raab bekundet, dass es Tage gebe, an denen es nichts zu lachen gebe, die deutsche Fußballnationalmannschaft spielt mit Trauerflor, der Halterner Benedikt Höwedes bekundet glaubwürdig und stellvertretend die Anteilnahme der Fußballwelt. Bundespräsident Joachim Gauck spricht hier vollkommen zurecht von einem „Band des Mitleidens und Mittrauerns“.

Dieses Band scheint allerdings beileibe nicht für alle gesellschaftlichen Akteure bindend zu sein. Vielmehr manifestiert sich das Bild, dass immer mehr die Schere an das von Gauck formulierte Band ansetzen, es zerschneiden, nur um im nächsten Augenblick das Rennen um die beste Schlagzeile zu eröffnen; die zahlreichen Beschwerden beim Deutschen Presserat sind Indikator dafür. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken, fordert zurecht, dass man Angehörige in der Berichterstattung „nicht ein zweites Mal zu Opfern machen“ , sondern die Trauer vielmehr respektieren solle, und verweist in diesem Kontext auf den leider zahnlosen Tiger Pressekodex, der zwar Rügen aussprechen, allerdings auf keine schlagkräftigen Sanktionsmechanismen zurückgreifen kann, um festgestellte Verstöße gegen diesen Ethikkodex des Pressewesens mit einer Strafe zu belegen. Ferner, so Konken, solle lediglich darüber berichtet werden, was belegt werden könne. Folglich verbietet sich, wie Angela Merkel formulierte, „jede Spekulation über die Ursache des Absturzes“. Die Realität zeichnet allerdings ein diametral anderes Bild.

Das Rennen um die beste Story zieht auch im vermeintlichen Qualitätsjournalismus immer weitere Kreise. Da wird bei Sandra Maischberger munter spekuliert, ob es sich nicht doch um einen Anschlag handeln könne und es wird eine Schaltung in die Behausung der Angehörigen, die zum Unglücksort reisen wollen, unternommen, um über die dort umherstreifenden Wölfe zu berichten. Die Zeit konstatiert auf ihrer neusten Titelseite „Der Absturz eines Mythos“, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei gesicherte Erkenntnisse über die Ursache der Katastrophe vorlagen. Die Tagesthemen, Huffington Post, Bild und einige weitere zeigen Bilder von weinenden Angehörigen in Großformat. Ein herber Tritt in das Gesicht eines jeden der Betroffenen.

Allerdings müssen die ethischen Grundsätze, so schrecklich die Katastrophe zuvorderst für die Angehörigen und Freunde ist, auch für den scheinbar schon identifizierten Verursacher gelten. Überhaupt scheint noch gar nicht vollends geklärt, ob das bereits als Fakt präsentierte Selbstverschulden tatsächlich die Ursache ist; die französischen Ermittler sehen offenkundig noch Zweifel und schließen einen technischen Defekt weiterhin nicht aus, weil nach wie vor technische Details fehlen. Dennoch werden, wie auch über die Ursachen des Absturzes, in der Öffentlichkeit rege Mutmaßungen über die möglichen Motive des Ko-Piloten der Germanwings-Maschine angestellt.

Da wird bereits der volle Name des Piloten veröffentlicht, private Bilder des Mannes finden Eingang in die öffentliche Berichterstattung, das Elternhaus wird abgebildet, Bild bezeichnet ihn wahlweise als „Massenmörder“ oder „Amok-Pilot“, Nachbarn, die allzu bekannte Sätze sagen, werden interviewt. Die Bild tut sich auch damit hervor, dass sie sich erdreistet zu fragen „Was machen die Eltern des Amok-Piloten jetzt durch?“, nur um direkt darunter wieder eine Großaufnahme ihres Hauses zu zeigen und, wie auch getreu der Blattlinie zuvor bereits ein Nachbar, Andreas L. in diesem familiären Kontext in die Nähe von anderen Attentätern wie Anders Breivik stellt.

Zerrissene und dem Arbeitgeber verschwiegene Krankschreibungen, die dem Piloten schwere Depressionen attestieren sollen, werden als Grund angeführt, darüber hinaus soll er an Sehstörungen gelitten haben. Die Spitze der Pietätlosigkeit erreicht die britische Boulevardzeitung Daily Star Sunday, die Anzeichen dafür gefunden haben will, dass Andreas L. insgeheim homosexuell gewesen und deswegen die Beziehung zu seiner Freundin gescheitert sei.

Man könnte fast dem Eindruck erliegen, dass die gesamten Berichte rund um die Germanwings-Katastrophe ausschließlich auf Spekulationen fußen, obwohl von offizieller Seite noch keine Festlegung auf den Ko-Piloten als Verursacher vorgenommen wurde.

Die Infamie und Pietätlosigkeit des Medienbetriebs im Umgang mit den Angehörigen der Opfer und dem bereits als Täter verurteilten Andreas L. ist evident.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

TE

Student der Politikwissenschaft und Germanistik.

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