Künstliche Intelligenz in den Wissenschaften: „Die Umstellung läuft“
Interview Mit künstlicher Intelligenz sind präzise Wettervorhersagen möglich, ohne die physikalischen Gesetze zu kennen. Der Physiker und Klimadatenwissenschaftler Bedartha Goswami spricht über KI, die besser ist als herkömmliche Prognosemodelle
Die KI hatte die Temperatur ganz langsam erhöht, so merkte der Wetterfrosch nicht, dass er schon längst arbeitslos war
Montage: der Freitag; Foto: Tomaz Levstek
Niederschläge, Sonnenstunden, Unwetterwarnungen: Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis uns Künstliche Intelligenz das Wetter vorhersagen wird. Doch ganz so einfach ist der Weg dahin nicht, sagt der Physiker und Klimadatenwissenschaftler Bedartha Goswami, der an der Universität Tübingen die Forschungsgruppe „Maschinelles Lernen in den Klimawissenschaften“ leitet.
der Freitag: Herr Goswami, Sie wollen dank KI Wetterprognosen verbessern. Wie soll das gehen?
Bedartha Goswami: Künstliche Intelligenz und hier besonders das Maschinelle Lernen (ML) geben uns Werkzeuge an die Hand, die es uns ermöglichen, tiefer in meteorologischen Daten nach Korrelationen zu graben und diese Daten für meteorologische Vorhersagen besser zu modellieren. Heute haben wi
diese Daten für meteorologische Vorhersagen besser zu modellieren. Heute haben wir einen Datenkorpus, der beispiellos ist und der möglicherweise Erkenntnisse über die atmosphärische Dynamik enthält, die aus Datensätzen von vor ein oder zwei Jahrzehnten nicht möglich gewesen wären. Letztlich ist es unser Ziel, Maschinelles Lernen zu nutzen, um unser Wetter und unser Klimasystem besser zu verstehen.Wann wird KI Wettervorhersagen erstellen können?Wir befinden uns bereits in der Umstellung auf Künstliche Intelligenz, die das Wetter für die nächsten Tage vorhersagt. Das ECMWF, also das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage, das Vorhersagen für bis zu zwei Wochen erstellt, testet derzeit Wettermodelle auf Basis von Deep Learning. Das bedeutet, dass diese Modelle nur mit historischen Daten gefüttert werden und nicht auf physikalischen Gleichungen basieren. Am Ende sollen sie das Wetter für die nächsten fünf oder zehn Tage vorhersagen. Der allgemeine Konsens ist, dass wir eine vielfältige Reihe von Modellen haben wollen – konventionelle und Datenbankmodelle.Wie entstehen diese Modelle überhaupt?Die Physik bildet die Grundlage für alle Wettervorhersagemodelle, die derzeit verfügbar sind. Physikalische Wettermodelle stellen zunächst ein System von Gleichungen auf, das die Bewegung der Luft beschreibt, und lassen diese Gleichungen dann für Tausende von Punkten rund um den Globus in die Zukunft laufen, um eine Prognose zu erstellen. Historische Daten werden nur verwendet, um die Parameter der physikalischen Gleichungen zu kalibrieren und die Ausgangsbedingungen für die Vorhersage zu bestimmen. Physikalische Modelle benötigen keine Daten, um zu lernen, wie sie eine Vorhersage erstellen können. Deep-Learning-Wettermodelle hingegen benötigen historische Daten,um zu lernen, wie sie Vorhersagen erstellen können. Sie werden darauf trainiert, prognosespezifische Muster aus den Daten zu lernen, ohne die zugrunde liegenden physikalischen Gleichungen kennen zu müssen. Und Maschinelles Lernen ist für diese Aufgabe bestens geeignet.Was ist der Vorteil von datenbasierten im Gegensatz zu herkömmlichen Wettermodellen?Ein großer Vorteil von datenbasierten Wettermodellen ist ihre Berechnungseffizienz zur Laufzeit. Das bedeutet, dass es zwar bis zu Wochen dauern kann, ein Deep-Learning-Wettermodell auf der Grundlage von vierzig Jahren historischer Daten zu trainieren. Dann kann es aber innerhalb weniger Minuten eine globale Vorhersage für eine bestimmte Ausgangslage erstellen. Dies ist bei herkömmlichen Wettermodellen nicht der Fall.Wie gut sind die Vorhersagen der künstlichen Intelligenz bereits?Einige der neuesten Deep-Learning-Wettermodelle sind bereits so gut, dass sie die herkömmlichen Modelle übertreffen. Das Faszinierende ist, dass die Entwicklung über fünf Jahre passiert ist, von den ersten Versuchen der Deep-Learning-Wettervorhersage, die kaum brauchbar waren, über Modelle, die vor zwei Jahren vergleichbare Vorhersagen lieferten, bis hin zu Modellen, die seit einigen Wochen bessere Ergebnisse liefern. In Zukunft wird es alltäglich sein, dass Maschinelle Lernmodelle unser Wetter vorhersagen.Wie immer scheinen die großen Tech-Unternehmen aus den USA schneller zu sein. Vor zwei Wochen hat Google Deepmind ein neues KI-Modell vorgestellt –GraphCast –, für schnellere und genauere Prognosen. Ist dieses Modell wirklich so gut?Es hat sich gezeigt, dass GraphCast bei den meisten relevanten meteorologischen Variablen wie Druck, Wind, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Niederschlag weniger Vorhersagefehler aufweist als das hochauflösende Vorhersagemodell des ECMWF. Das gelingt aber nicht nur GraphCast. Zwei weitere Deep-Learning-Modelle, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden – PanguWeather von Huawei und FuXi vom KI-Institut der Fudan-Universität –, weisen ebenfalls geringere Fehler auf als das ECMWF-Modell. Ein wichtiger Punkt, den ich hier anmerken möchte, ist jedoch, dass der Erfolg der Deep-Learning-Wettermodelle entscheidend vom Erfolg der traditionellen Vorhersagemodelle abhängt. Das liegt daran, dass die „historischen Daten“, auf denen die Deep-Learning-Modelle trainiert werden, keine Rohbeobachtungen sind, sondern vielmehr schon das „Reanalyse“-Datenprodukt des ECMWF: Das heißt, Wetterdaten aus verschiedenen Quellen wurden durch das ECMWF-Vorhersagemodell aufbereitet. Diese „Beobachtungen“ liefern ein Bild in gleichmäßigen Abständen rund um den Globus und in regelmäßigen Zeitintervallen, selbst an Orten ohne instrumentelle Wettermessungen.Wettervorhersagen für bis zu zwei Wochen sind das eine. Doch wie sieht es mit besseren Prognosen für das Klima der Zukunft aus? Kann uns maschinelles Lernen helfen, unser Klimasystem besser zu verstehen?Generell werden die auf fundamentaler Physik basierenden Klimamodelle mit jeder neuen Generation immer besser. Maschinelles Lernen kann dabei helfen, noch schneller genauere Ergebnisse zu erhalten. Ein traditioneller Flaschenhals für Klimamodelle sind die enorme Bandbreite an Faktoren und die gigantischen Datenmengen, die nötig sind, um Jahrzehnte oder Jahrhunderte in die Zukunft zu blicken. Was nun aber mithilfe Maschinellen Lernens passiert, ist, dass Forschungsteams ML-Modelle entwickeln, um etwa Wolken für einige Jahre vorherzusagen. Diese Modelle können in größere Klimamodelle integriert werden. Sie entwickeln sich in diesen Modellen weiter, auch für Prognosen über Jahrzehnte.Klingt ein bisschen nach Magie.Wenn man erst einmal verstanden hat, wie ein tiefes neuronales Netzwerk Zusammenhänge in Daten erkennt, um bestimmte Aufgaben zu lösen, zerstreut das die magische Aura. Was mich als Physiker und Klimadatenwissenschaftler fasziniert, ist die Frage, wie ein Modell, das auf dem Erkennen von Mustern in Daten basiert, bald bessere Vorhersagen treffen kann als ein Modell, das auf den Gesetzen der Physik basiert. In einigen Jahren könnten wir einen Punkt erreichen, an dem diese Modelle, die mit immer größeren Datenmengen arbeiten, Zusammenhänge in diesen Daten erkennen und möglicherweise in unser Verständnis der Physik einfließen und uns neue Erkenntnisse liefern.Ist Künstliche Intelligenz der Schlüssel zu einer besseren Welt? Oder zumindest für eine bessere Klimapolitik?Maschinelles Lernen hat positive und negative Aspekte, wenn es um Wetter- und Klimavorhersagen geht: Die Kehrseite von Machine-Learning-Modellen ist, dass die großen neuronalen Netzwerkarchitekturen mehr oder weniger eine Blackbox sind. Bisher erklären die Deep-Learning-Wettermodelle ihre Ergebnisse nicht ausreichend. Das erschwert es, sie wissenschaftlich zu interpretieren. Ein anderes Problem ist, dass die Quantität und Qualität der Messdaten im Globalen Süden geringer sind. Das kann dazu führen, dass es für Regionen in Südostasien oder Afrika schwieriger wird, Vorhersagen zu treffen, die genauso gut sind wie in Nordamerika oder Europa.Manchen wird die Idee Bauchweh bereiten, dass private Firmen die Klima-KI entwickeln ...Ich halte es für angebracht, dass wir uns überlegen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen, dass einige der besten Wettervorhersagen in Zukunft von Unternehmen wie Googles Deepmind oder NVIDIA, Microsoft Research oder Huawei kommen könnten und nicht mehr vom Deutschen Wetterdienst. Bei der derzeitigen Verteilung der Deep-Learning-Rechenleistung haben Unternehmen wie diese eindeutig die Oberhand. Das macht sie zu den wahrscheinlichsten Kandidaten für die Entwicklung der fortschrittlichsten Deep-Learning-Wettermodelle. Und wenn es wirklich so ist, dass Deep-Learning-Modelle in Zukunft das Wetter besser vorhersagen und vielleicht auch Klimaprognosen abgeben können, diese Werkzeuge aber gewinnorientierten Unternehmen gehören: Wie werden wir als Gesellschaft damit umgehen?Placeholder infobox-1
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