Solidarische Moderne: Crossover-Institut debattiert nächste Aufgaben

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Diskussionen über rot-rot-grüne Mehrheiten, sozial-ökologische Reformprojekte und gesellschaftliche Hegemonie gibt es seit den neunziger Jahren. Wer ehrlich ist, muss zugeben: Die damit verbundenen Hoffnungen sind an der politischen Wirklichkeit zerbrochen. Bisher. Doch diese Einschränkung wird zur leeren Formel, wenn „bisher“ für einen sich immer wieder verlängernden Zeitraum steht. Und täglich grüßt das Fernziel: Wird man denn nun bis 2013 jene Fortschritte machen, die nötig wären, damit eine parlamentarische Mehrheit nicht nur ein arithmetisches Mitte-Links-Projekt ermöglicht, sondern auch einen politischen Kurswechsel, der diesen Namen verdient? Wächst bis dorthin jenes gesellschaftspolitische Myzel, das die Ritzen des als „selbstverständlich“ Angesehenen und die Hegemonie der Alternativlosigkeit zu verdrängen mag?

Sven Giegold hat im aktuellen Freitag von den „vielen vorangegangenen Fehlversuchen“ und einer „konsequenzarmen Geschichte der Crossover-Debatten“ gesprochen. Der Europaabgeordnete von den Grünen gehört zu den Gründern des Instituts Solidarische Moderne, das für sich in Anspruch nimmt, „daraus produktive Konsequenzen gezogen“ zu haben. Eine davon illustriert, wo die sozial-ökologische Erneuerungsbewegung derzeit tatsächlich steht. Es dürften, meint Giegold, nicht nur jene miteinander reden, die sich ohnehin grün sind, und die, so muss man hinzufügen, in ihren Parteien ein eher randständiges Dasein fristen. Und auch wenn man die Konsensvermutung hier nicht allzu sehr strapazieren sollte, ist doch die Frage richtig: „Wo sind die Realos?“

Weiterlesen im Freitag:
Katja Kipping: Gut gemacht ist nicht gut genug
Sven-Christan Kindler: Wir wollen anders sparen
Wolfgang Herzberg: Vorschlag für ein rot-rot-grünes Manifest
Linke Mitte: Die Freitag-Debatte mit dem Progressiven Zentrum

Sie gilt für den rot-rot-grünen Raum insgesamt: In den oberen Etagen der Parteiapparate spielt der Crossover-Gedanke, den Giegold meint und der im Institut Solidarische Moderne eine Plattform gefunden hat, kaum eine Rolle. In der SPD-Spitze wird eine Mitte-Links-Regierung lediglich als machtpolitische Option betrachtet, führende Sozialdemokraten würden 2013 allerdings lieber vor die Ampel rollen. Bei den Grünen hält die Prominenz ebenfalls sorgsam Distanz zur Linkspartei, teils aus falscher Hoffnung auf ein rot-grünes Revival, teils aus Sorge, sich damit bündnispolitische Spielräume nach rechts zu verbauen. Und die Linkspartei beklagt zwar (zu Recht), wie mit ihr in landespolitischen Koalitionsfragen umgegangen wird. Intern freilich wird zugegeben, dass eine Kooperation mit den Grünen und der SPD - selbst eine unterhalb der Regierungsbeteiligung - erhebliche Sprengkraft hat: Zu groß ist die Ablehnung gegenüber dem „neoliberalen Parteienblock“, zu dem maßgebliche Strömungen der Linken eben auch SPD und Grüne zählen. Und tatsächlich: Für eine transformatorische Linke, die mehr will als eine „bessere Verwaltung“ des Ist-Zustandes, hängen die Trauben gesellschaftlicher Veränderung derzeit unerreichbar hoch.

Crossover im Internet
Institut Solidarische Moderne - hier
Das Leben ist bunter! Die „Oslo-Gruppe“ - hier
Rückblick und Archiv - hier
Crossover: eine Textsammlung - hier

Das alles gehört zu jenem „trostlosen Zustand“, von dem in einem Papier die Rede ist, welches an diesem Samstag auf einer Mitgliederversammlung des Instituts Solidarische Moderne diskutiert wird. Das Projekt, das mit bekannten Namen wie Katja Kipping (Linke) und Andrea Ypsilanti (SPD) verbunden ist, aber auch von linken Wissenschaftlern wie Birgit Mahnkopf und Stephan Lessenich sowie aus der außerparlamentarischen Szene unterstützt wird, steht gewissermaßen am Ende seiner Gründungsphase. Ende Januar in Berlin gegründet, hat der Trägerverein inzwischen über 1.400 Mitglieder. Die Resonanz hat das Bedürfnis nach Austausch über ein zukunftsfähiges linkes Projekt dokumentiert und als „Vertrauensvorschuss“ zugleich die hohen Erwartungen umrissen. Manche blieben unerfüllt: Zu langsam kam das Institut nach seinem ersten öffentlichen Auftritt in die Gänge; politische Papiere, sieht man einmal vom Gründungsaufruf ab, ließen bis April auf sich warten; ein Teil des anfänglichen medialen Aufmerksamkeitseffekts, der unverzichtbar ist, wenn es um gesellschaftliche Diskurse gehen soll, verpuffte.

Veröffentlichungen des Instituts
Arvid Bell, Sven Giegold: Politikwechsel in NRW gescheitert
Michael Brie und andere: Politikbetrieb gerettet
Marco Bülow: Die Lobby-Republik
Andrea Ypsilanti, Hermann Scheer: Weg aus der Systemkrise
Birgit Mahnkopf: Anti-neoliberale Leitbilder
Wolfgang Neskovic: Sozialstaat und Wirtschaftskrise
Griechenland ist überall: Positionspapier zur Finanzkrise

Inzwischen sind kleinere Arbeitsstrukturen entstanden und erste Projekte wie eine Summer School im kommenden Herbst angekündigt. Mit der ersten Mitgliederversammlung des Instituts sollen nun die Vorhaben konkretisiert werden. Vor allem drei Zielen will sich die Initiative widmen: Verständigung über ein gesellschaftliches Reformprojekt, Vertrauensbildung zwischen Akteuren im parteipolitischen Raum und Suche nach einem politischen modus vivendi für die „Mosaiklinke“ (Hans-Jürgen Urban, mehr hier). „Für die Umsetzung all dieser Vorhaben gibt es kein Patentrezept“, heißt es im Entwurf des Vorstandsantrags an die Berliner Mitgliederversammlung. Für jene, die etwas Neues wollen, muss das kein Nachteil sein.

(Foto: Mario Vedder/Getty Images)

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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