Foto am Stand von Karlsbad Fertility aus der Tschechischen Republik bei der Messe „Kinderwunsch Tage“ in Berlin
Foto: Andreas Pein/Laif
Täglich sterben 800 Frauen weltweit während der Geburt. Jede zehnte Frau kann keine eigene Entscheidung über Verhütungsmaßnahmen treffen. Ein Viertel aller Frauen hat nicht das Recht, Nein zu sagen, wenn der Partner Sex fordert. Und obwohl die Müttersterblichkeit um ein Drittel gesunken ist und mehr ungewollte Schwangerschaften unterbrochen werden, stockt dieser Fortschritt in vielen Regionen der Welt. Selbst in Ländern, in denen Informationen verfügbar sind, entwickle sich der Grad der Autonomie zurück und befördere „Nischen der Ungleichheit“, erklärte Natalia Kanem im April anlässlich des UNO-Berichts des Bevölkerungsfonds (UNFPA). Vielfach würden die Körper der Frauen als „politisches Schlachtfe
tfeld missbraucht“.Im Namen reproduktiver Gerechtigkeit fahren alljährlich aber auch kinderlose Paare, die es sich leisten können, in die Hochburgen der Fortpflanzungsmedizin, wo sie von Dritten erbrachte reproduktive Dienstleistungen in Anspruch nehmen. In Spanien und Tschechien werden inzwischen wie am Fließband über die Hälfte aller Eizellen in Europa verpflanzt. Und bis vor kurzem war die Ukraine das Mekka, wo man Kinder, wie auf den alljährlichen Kinderwunschmessen geworben wird, „mit 100-prozentiger Baby-Take-away-Garantie“ bei einer Leihmutteragentur bestellen kann. Inzwischen hat Georgien diesen Teil der europäischen Arbeitsteilung übernommen.So erfüllt eine Technologie, die einmal mit feministischen Ideen verbunden war, wie die „Tyrannei der biologischen Familie“ zu zerschlagen (Shulamith Firestone), nach einem halben Jahrhundert den Wunsch nach einer perfekten Familie, auch wenn diese inzwischen queerer zusammengesetzt sein kann. In diesem Sinne bekräftigt auch der gerade veröffentlichte Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, dass reproduktive Autonomie „nicht mehr nur als Abwehr von Bevormundung und Selbstbestimmung“ verstanden werden könne, sondern auch als „Freiheit der Wahl“, mit fortpflanzungsmedizinischen Mitteln zu einem Kind zu kommen.Aufruhr um Paragraf 218Durch den Bericht, der auch Empfehlungen zur Abschaffung des Abtreibungs-Paragrafen 218 enthält, ist das von Natalia Kanem ausgerufene „Schlachtfeld“ in Deutschland wieder in Bewegung geraten und hat nicht nur das konservative Lager in Aufruhr versetzt. Dabei steht der lautstarke Tumult einer Minderheit im Widerspruch zu der großen Mehrheit in der Bevölkerung, die sich für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ausspricht. Dass die Kommission die Rechte und Interessen der Frauen – zumindest für das erste Drittel der Schwangerschaft – über die des Embryos stellt und damit die Rechtsgüter neu gewichtet, treibt nicht nur Lebensschützer auf die Barrikaden. Der Paragraf 218 war von jeher das Vehikel, mit dem Frauen unter staatliche und männliche Kuratel gestellt wurden. Die Gelegenheit, ihn nun auch in Deutschland, in dieser Hinsicht ein frauenpolitisches Entwicklungsland, abzuschaffen, wäre günstig.Dagegen spielen die Anregungen zur Fortpflanzungsmedizin, die die Kommission ausdrücklich dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlässt, in der Öffentlichkeit bisher kaum eine Rolle. Ein Grund dafür mag sein, dass diese nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Menschen betrifft, vielleicht aber auch, dass es sich um eine komplizierte Gemengelage handelt, bei der widersprüchliche Interessen driften. Zunächst einmal ist festzustellen, dass die fast nur weiblich besetzte Kommission einen bemerkenswerten Paradigmenwechsel hingelegt hat. Die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann als Koordinatorin der Arbeitsgruppe, die 2019 schon am Konzept eines „zeitgemäßen Fortpflanzungsmedizingesetzes“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina beteiligt war, will das Embryonenschutzgesetz schon seit langem abschaffen.Die Begründung des Verbots reproduktionstechnischer Eingriffe im geltenden Gesetz, erklärte sie bei der Vorstellung des Berichts, sei nicht mehr haltbar, weil neuere Studien gezeigt hätten, dass die „gespaltene Mutterschaft“ zwischen leiblicher Mutter, Eizellspenderin und/oder Leihmutter dem Kindeswohl nicht abträglich sei, soweit das Kind über seine Herkunft informiert werde. Die Studienlage ist allerdings dünn. Das Verbot der altruistischen Leihmutterschaft ohne Gewinninteressen allerdings, so dezidiert die Juristin Friedrike Wapler, könnte durchaus begründet beziehungsweise diese nur unter sehr engen Voraussetzungen erlaubt werden.Nun ist das Embryonenschutzgesetz tatsächlich mehr als 30 Jahre alt. Manches, wie die sogenannte Dreierregel, die besagt, dass bei einer künstlichen Befruchtung drei Embryonen befruchtet und implantiert werden müssen, was oft Mehrlingsschwangerschaften provoziert, hat sich für Frauen und Kinder als Risiko erwiesen. Zudem haben familienpolitische Forderungen der Queer-Community, die sich vom herrschenden heterosexuellen Fortpflanzungsregime diskriminiert fühlt, das Feld aufgemischt. Aus internationalistischer Perspektive wird moniert, dass Paare hierzulande das Wohlstandsgefälle ausnutzen, wenn sie Leihmütter in Osteuropa Dienstleistungen für sich erbringen lassen. Der Reproduktionstourismus ist von Frauen- und Kinderhandel, wie ihn die Europäische Union jüngst verboten hat, oft nicht klar genug zu trennen, und geschäftstüchtige Kindermacher sind kaum zu kontrollieren.Die Folgen für die Kinder sind oft verheerend: Meist werden sie nicht wissen, woher sie stammen, ihr Rechtsstatus steht unter prekären Bedingungen – und gelegentlich werden sie gar nicht abgeholt, wenn wie in der Ukraine zufällig ein Krieg dazwischenkommt oder sie den Vorstellungen der Bestelleltern nicht entsprechen. Deshalb hat die Kommission das mögliche Lockerungsgebot von Eizellspende und altruistischer Leihmutterschaft mit einer Reihe von Bedingungen und Einschränkungen versehen, die besonders auf das Kind und die Risiken und Rechte von Eizellspenderinnen und Leihmüttern fokussiert sind sowie auf das ökonomische Ungleichgewicht des Geschehens. Als vergleichsweise unproblematisch erscheint die Spende von bereits zu Fortpflanzungszwecken entnommenen Eizellen hierzulande, die nicht mehr benötigt werden und unmittelbar nach Entstehung oder nach Aufbewahrung abgegeben werden. Im Fall der fremdnützigen Eizellspende sollten die Spenderinnen umfassend über das Geschehen und die Risiken aufgeklärt werden. Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung muss gewährleistet sein und die Zahl der gezeugten Halbgeschwister beschränkt bleiben.Wie Missbrauch vermeiden?Noch gravierender wären nach der Vorstellung der Kommission die Restriktionen bei der Leihmutterschaft. Um Kommerzialisierung und Missbrauch zu vermeiden, schlagen die Kommissionsmitglieder vor, dass die Vermittlung ausschließlich in gemeinnützigen Einrichtungen und unter kontrollierten Bedingungen stattfindet. Um der Besonderheit der Schwangerschaft Rechnung zu tragen, wäre zwischen Wunscheltern und Leihmutter ein „besonderes freundschaftliches oder verwandtschaftliches Näheverhältnis“ wünschenswert, mit gemeinschaftlicher Verantwortungsübernahme über die Geburt des Kindes hinaus (vertragliches Co-Parenting mit klarer familienrechtlicher Zuordnung des Kindes). Der Leihmutter sei während der Schwangerschaft vollständige körperliche Autonomie einzuräumen und sie müsse entscheiden können, ob sie das Kind behalten will. Sowohl Eizellspenderin als auch Leihmutter hätten Anspruch auf eine über die finanziellen Aufwendungen hinausgehende Entschädigung für ihre körperlichen und psychischen Belastungen und müssten durch eine Probandenversicherung, wie sie bei medizinischen Studien üblich ist, gegen medizinische Risiken abgesichert werden.Der Furor, mit dem die Kommissionsmitglieder die reproduktive Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht stärken, einerseits und die vielen dem Gesetzgeber aufgegebenen einschränkenden Maßgaben andererseits bilden offenbar auch die Konfliktlinien ab, die die Kommissionsarbeit bestimmen. Die Verbotsschilder, die eine Freigabe der beiden reproduktionsmedizinischen Verfahren begleiten würden, dürften jedenfalls das Geschäft deutlich dämpfen. Die offene Eizellspende etwa mit offengelegter Abstammung führt etwa in Skandinavien dazu, dass die Spendezahlen niedrig bleiben. Auch die versicherungstechnische Risikoabschätzung könnte zum Hemmschuh werden, sollten Eizellspende und Leihmutterschaft legalisiert werden.Eine gewisse Brisanz birgt der Vorschlag, fremdnützige Fortpflanzungsdienstleistungen gerechter zu vergüten, „um Aufwand, Risiken und Ertrag in ein faires Verhältnis zu setzen“, wie es im Bericht heißt. In der marxistisch-feministischen Debatte vor allem im angelsächsischen Raum, wo neu über Eigentums- und Verfügungsrechte an weiblichen Körperstoffen und reproduktive Arbeit verhandelt wird, ist das ein Kernthema. Eizellspenderinnen und Leihmütter werden als klassische Arbeiterinnen auf den globalen Märkten angesehen, die sich zusammenschließen und ihre Rechte einfordern sollten. Das weist die Kommission von sich, denn eine Leihmutter, so Wapler bei der Pressekonferenz, könne man sich nicht einfach kaufen. Doch die Skepsis gegenüber einer Ideologie, die behauptet, Frauen würden nur aus altruistischen Motiven handeln, wird deutlich.Sollte sich aber der ausgeweitete Reproduktionsmarkt auch in Deutschland etablieren, ist schon jetzt absehbar, dass das Wohlstandsgefälle zu einem Reproduktionstourismus in umgekehrter Richtung führen wird, weil es für Frauen dann lukrativer wäre, ihre Dienstleistungen hierzulande anzubieten. In Österreich, wo die Eizellspende zugelassen ist, ist das bereits zu beobachten. Und inwieweit Missbrauch und Ausbeutung ökonomisch schwächerer Frauen durch die rechtlichen Pfeiler, die die Kommission betonieren will, verhindert werden, steht dahin. Wer kann beispielsweise schon ein „Näheverhältnis“ überprüfen oder kontrollieren, ob unter der Hand nicht doch Gelder fließen? Die europäische Freizügigkeit und die Gewerbefreiheit auch für Fortpflanzungsmediziner – für die, nebenbei, die FDP streitet – setzen den Einschränkungen Grenzen. Gar nicht zu reden davon, ob derartige Dienstleistungen von den Krankenkassen bezahlt werden sollen, worüber sich die Kommission ausschweigt.Deshalb grätscht der Bericht der Ampel, die sowohl das Abtreibungsrecht als auch die Regelung der Reproduktionsmedizin wahrscheinlich lieber vertagt hätte, zwischen die Beine. Verschiebt die Koalition nun aber das ganze Thema auf die kommende Legislaturperiode, wird es vermutlich gar kein neues Fortpflanzungsgesetz geben. Nimmt sie es doch noch in Angriff, droht ein schäbiger Deal, wie wir ihn in jüngster Zeit immer wieder erleben: Lockerung des Paragrafen 218 gegen weitgehend liberale Ausgestaltung der übrigen Bereiche. Deshalb sollten die beiden Belange getrennt verhandelt werden.Und im Übrigen: Solange 800 Frauen täglich bei der Geburt sterben oder ihr Selbstbestimmungsrecht mit Füßen getreten wird, geht es teilweise auch um Luxusprobleme. Die UN-Berichterstatterin Natalie Kanem rechnet vor, dass 79 Milliarden Dollar nötig wären, um in Ländern mit wenig und mittlerem Einkommen bis 2030 400 Millionen ungeplante Schwangerschaften zu verhindern und eine Million Leben zu retten.
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