Das Schweigen der Offiziere

Sexuelle Gewalt In den USA gibt es neuerdings eine Debatte über die hohe Anzahl von Vergewaltigungen innerhalb der Armee. Wer sich wehrt, wird verunglimpft und der Lüge bezichtigt
Ausgabe 11/2013

Lange Zeit schien Ruhe im Land. Trügerische Ruhe. Grabesruhe. Sexuelle Übergriffe, häusliche Gewalt, Vergewaltigung: Stets nur Einzelfälle, bedauerlich zwar, aber kein Thema. Sich als Opfer zu outen, ist uncool, verpönt. Und plötzlich brechen die Frauen das Schweigen, massenhaft, unkoordiniert, aber es ist ein gemeinsamer Aufschrei. Was passiert da eigentlich? In Deutschland war es der Fall Brüderle. Ein vergleichsweise harmloser Fall sexueller Belästigung hat eine Lawine ins Rollen gebracht. Nein, es ist nicht geil, wenn Männer einen angrapschen, Anmachersprüche klopfen und Schlimmeres. Und wie in den Siebzigern, als die sexuelle Revolution Frauen zum Allgemeingut der Männer erklärte, folgt auch diesmal ein kollektives deutliches „Nein!“

Auch Vergewaltigung, dieses einstige „Kavaliersdelikt“, steht wieder auf der Agenda: Zuerst Strauss-Kahn, dann Kachelmann und in den USA neuerdings eine Debatte um die grassierende und verschwiegene Vergewaltigungskultur in der Armee. Der amerikanische Rolling Stone veröffentlichte im Februar eine Reportage über das Schicksal der Navy-Offizierin Rebecca Blumer, die 2010 von drei Armeekameraden mit k.o.-Drinks ausgeschaltet und vergewaltigt worden war. Jede dritte weibliche Army-Angehörige erlebt Ähnliches, die meisten Fälle kommen nie vor Gericht. Blumer musste sich fragen lassen, ob sie sich die Verletzungen selbst beigebracht oder die Männer nicht zu entsprechenden Handlungen animiert habe, sie wurde der Lüge bezichtigt und in ihrer Karriere behindert.

Als ein Teil der Frauenbewegung einmal die Forderung aufstellte, Frauen den Zugang zum Militär zu eröffnen, ging es nicht nur um Chancengleichheit, sondern es war damit auch die Hoffnung verbunden, Frauen könnten die Armee pazifizieren. Die statistischen Befunde lehren anderes: Frauen im amerikanischen Militär sind doppelt so häufig von sexuellen Übergriffen betroffen wie Zivilistinnen. Bereits bei ihrem Eintritt werden sie klassifiziert: Schlampe, Nutte oder Lesbe? Aber ähnlich wie die katholische Kirche ist die Armee auch eine Wagenburg mit strengen Hierarchien, einer eigenen Gerichtsbarkeit und einem strikten Schweigekodex. Brechen Frauen das Schweigegebot, werden sie – wie im zivilen Leben auch – oft lächerlich gemacht, als Hysterikerin oder Lügnerin gescholten und ihr Verhalten wird inkriminiert. Oder das Geschehene wird verharmlost.

Officer Blumers Fall endete nach über einem Jahr Ermittlungen übrigens mit der Entscheidung, dass eine Gewalttat nicht nachgewiesen werden könne. Blumer wurde aus der Armee entlassen. Schwer traumatisiert, wies sie sich selbst in eine Psychiatrie ein. In die Armee ging sie, um andere zu schützen. Von der Armee beschützt wurde sie aber nicht.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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