Am Montag blieben viele Patientinnen und Patienten draußen vor der Tür. Soweit sie sich den Brückentag wegen des bevorstehenden Feiertags nicht leisten konnten und auf ärztliche Hilfe angewiesen waren. Den Brückentag hatte der Virchowbund, die Vertretung der niedergelassenen Ärzteschaft, mit Bedacht für seinen bundesweiten Streik gewählt. Und sicher waren unter den Reisenden auch viele gestresste Hausärzte. Es sei ihnen gegönnt, egal, ob sie laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Jahr nun 230.000 Euro verdienen oder „nur“ 172.903 Euro, wie es der Virchowbund beziffert. Für ein verlängertes Wochenende reichts.
Lauterbach macht – in diesem Fall im Sinne der Beitragszahler:innen – dort weiter, wo der
er, wo der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz wenige Tage zuvor begonnen hatte: beim Verteilungskampf. Lauterbach rechnet nämlich vor, was es die Versicherten kosten würde, wenn er die Forderungen der Niedergelassenen erfüllte. Man muss nicht buchhalterisch auflisten, was ein Medizinstudium kostet und ein Arzt verdienen darf, denn eigentlich geht es um die Ressource Zeit. Die Zeit nämlich, die ein engagierter Arzt oder eine Ärztin gerne für ihre Klientel aufbringen würde, aber nicht hat. Warum das so ist, hat viele Gründe. Teilweise liegen sie auf der Hand: Fachkräftemangel, hohe Energiekosten und Budgetierung. Manchmal ist es auch komplizierter. Es gibt auch eine Fachärzteschaft, der es finanziell gut geht und die sich nicht totarbeitet.Ärzte, die Geflüchteten helfenVor den Toren der Hausärzt:innen warten ziemlich oft auch Asylsuchende, Menschen, die es nach langen Umwegen und Leiden nach Deutschland geschafft haben, die krank sind und traumatisiert von schrecklichen Erlebnissen. Und es gibt glücklicherweise noch viele Mediziner:innen, die den hippokratischen Eid ernst nehmen und ihnen helfen. Oft sind es die Älteren, die in den 1970er-Jahren die Medizinerstreiks initiiert haben und für eine Demokratisierung der Medizin auf die Straße gingen. Ihnen allen sei gedankt, auch im Namen der Geflüchteten.Aber um die vergleichsweise armen Hausärzt:innen ging es Merz gar nicht, als er vom teuren Zahnersatz für in Deutschland geduldete Asylsuchende zu schwadronieren begann. Und von Arztterminen, die beitragszahlenden Deutschen deshalb angeblich vorenthalten blieben. Denn Zähne, das wissen wir noch aus der Zeit der Gesundheitsreformen der 2000er-Jahre, sind ein soziales Aushängeschild. Mit einer Jacketkrone reüssierte man früher in Hollywood, mit einem faulenden Gebiss ist heute bei keinem Arbeitgeber Staat zu machen. Und Kronen, Brücken oder gar eine Prothese sind teuer. Teurer als ein Kurzurlaub über das verlängerte Wochenende.Friedrich Merz, BürokratDass nun aber Asylsuchende in Deutschland ihr Gebiss teuer richten lassen, ist totaler Unsinn, inzwischen aufgeklärt von wachen Medien, die es hierzulande auch noch gibt. Nachlesen kann man es auch im Asylbewerberleistungsgesetz. In den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts haben Geflüchtete ohnehin nur sehr eingeschränkten Zugang zum medizinischen System. In den Erstaufnahmeeinrichtungen kommen Ärzt:innen zwei- oder dreimal in der Woche vorbei. Glück hat, wer einen Termin ergattert, wie Pro Asyl und andere Hilfsorganisationen kritisieren. Ansonsten entscheidet das Sozialamt darüber, wer zu einem Arztbesuch berechtigt ist. In der Regel gilt dies nur für Notfälle. Selbst wenn Geduldete nach 18 Monaten mit der Gesundheitskarte schließlich Zugang zum medizinischen System erhalten – in einigen Ländern wie Berlin, Bremen oder Thüringen von Anfang an –, dürfen sie ihre Kasse nicht frei wählen. Dieses Land weiß, wie es bürokratische Hürden schafft. War Friedrich Merz nicht eigentlich ein Verfechter des Bürokratieabbaus?Aber Merz geht es um den Verteilungskampf, um das Anfachen von Neid und Ressentiments und den Anschluss an die AfD. Deshalb die Äußerung zum Zahnersatz. Denn 2005 war diese Leistung aus dem Katalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geflogen und wurde durch einen unzureichenden Festgeldzuschuss ersetzt. Das war damals ein Schock. Dennoch ist die GKV bis heute das von den Bürger:innen noch immer am entschiedensten verteidigte Solidarsystem. Vergangenen Herbst haben laut einer Umfrage über zwei Drittel befürwortet, dass die Starken für die Schwachen einstehen. Plötzlich nun ist zu lesen, die GKV stehe auf einem „Kipp-Punkt der Akzeptanz“. Sagt etwa die Vorständin der Betriebskrankenkassen, Anne Klemm. Friedrich Merz schaufelt das gezielt auf seine Mühlen. So schießt man ein System sturmreif.Wenn aber Karl Lauterbach demnächst die Krankenhausreform, über die er mit den Bundesländern noch ein bisschen streitet, in ein Gesetz gießen wird, könnte es sein, dass nicht mehr nur Asylsuchende vor geschlossenen Krankenhäusern stehen, sondern wir alle. Die Praxistür öffnet sich nach einem Protesttag wieder, ein einmal geschlossenes Krankenhaus bleibt für immer zu. Vielleicht werden wir dann an die jungen Menschen denken, die – oft ohne Papiere, mit viel Hoffnung , aber gewiss ohne den Wunsch nach einem neuen Gebiss – in dieses Land kommen. Und die wir schon heute draußen vor der Türe stehen lassen.