Lauterbachs Klinikkahlschlag: Die Reform, die nichts kosten darf
Gesundheit Die Eckpunkte von Karl Lauterbachs (SPD) Krankenhausreform stehen. Doch noch ist offen, wer am Ende seine Interessen durchsetzen wird: Die Länder? Die großen Kliniken? Oder doch die Patient:innen? – Kann das überhaupt gut gehen?
Ein Beschwerdeanruf bei Karl Lauterbach ist nicht drin: Der macht unseres Wissens gerade Sommerurlaub
Foto: Patricia Kühfuß/Laif
So einig war sich die Ampel wohl selten wie bei dieser Reform. Die Grünen dürften heilfroh sein, für den absehbaren Klinikkahlschlag nicht verantwortlich zu sein. Den Ärger mit den Ländern und den empörten Bürger:innen überlässt die SPD gerne dem in ihrer Fraktion nicht sonderlich beliebten Karl Lauterbach. Und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat klargestellt, dass für die Rettung akut bedrohter Kliniken von ihm nichts zu erwarten ist. Mehr noch, kürzte er doch den Etat des sozialdemokratischen Gesundheitsministers im künftigen Haushaltsjahr von 24,5 auf 16,2 Milliarden Euro, sodass Lauterbach kaum Bewegungsspielraum bleibt. 14,5 Milliarden gehen alleine als Zuschuss an die Gesetzliche Krankenkasse (GKV).
Die größt
46;ßte Krankenhausreform der vergangenen Jahrzehnte steht ins Haus, aber eine, die nichts kosten darf. Kann das gehen? Lauterbachs Pläne – am 10. Juli vorgestellt in einem vorläufigen Eckpunktepapier, aus dem über den Sommer ein Gesetzesentwurf werden soll – sehen einen Umbau der Gesundheitslandschaft vor: Viele Einrichtungen werden auf der Strecke bleiben, zugleich sollen durch Verbund- und Kooperationsmodelle Kliniken fit gemacht werden für eine „Qualitätsoffensive“. Die Reform verspricht eine Gesundung der Finanzen, zugleich eine bessere Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.Doch eine derart tiefgreifende Transformation ohne geklärte Finanzierung und nur durch Umverteilung durchziehen zu wollen, sagt Susanne Johna, sei „naiv“. Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund spricht aus, was viele geschäftsführende Klinikdirektorinnen und -direktoren denken. Sie blicken bange ins nächste Jahr.Denn durch explodierende Energiekosten und Inflation sind ohnehin schon viele Krankenhäuser in die Schieflage geraten und in ihrer Existenz bedroht. Im Durchschnitt benötigt ein deutsches Krankenhaus so viel Energie wie ein ganzes Dorf, schnelles Stromsparen ist kaum möglich, langfristige Versorgerverträge bindend. Es könnte also sein, dass viele Kliniken die von Lauterbach ausgerufene „Revolution“ nur noch vom Tisch des Insolvenzverwalters aus miterleben, auch solche, die für die Versorgung in der Fläche „systemrelevant“ sind. Möglicherweise ist dieser kalte Kahlschlag einkalkuliert. Denn es wird dauern, bis die Länder festgelegt haben, welche Einrichtungen das Prädikat „darf bleiben“ aufgedrückt bekommen, bis geklärt ist, welche Leistungen sie noch erbringen dürfen und wie groß das Vorhaltebudget für sie ausfällt. Vorausgesetzt, die Länder einigen sich überhaupt auf einen Gesetzesentwurf mit Lauterbach. Denn das bisher existierende 15-seitige Eckpunktepapier enthält vor allem Absichtserklärungen und noch zu erledigende Prüfaufgaben.Krankenhausreform ist nicht mehr als eine Fallpauschale 2.0Bei der Reform der oft kritisierten Fallpauschalen handelt es sich, das dürfte mittlerweile klar sein, höchstens um einen Einstieg in den Ausstieg. Das Pflegebudget – 20 Prozent der Gesamtkosten – wird schon seit Jahren nicht mehr über die unmittelbaren Behandlungskosten finanziert, und die übrigen 80 Prozent des Klinikbudgets sollen künftig je zur Hälfte über unabhängig von tatsächlichen Behandlungsleistungen vorgeschossenen Vorhaltepauschalen und aus Fallpauschalen generiert werden. Allerdings orientieren sich die Vorhaltepauschalen übergangsweise weiterhin an der Zahl der behandelten Fälle, und sie sind auch nicht zwingend zweckgebunden, wie Kritiker der Reform monieren. Privat betriebene Kliniken könnten sie zum Teil auch als Dividende ausschütten. Der ökonomische Druck auf die Häuser wird zwar geringer, bleibt grundsätzlich aber bestehen.Die Leistungsgruppen – also die verschiedenen Behandlungen, die ein Krankenhaus erbringen darf – orientieren sich an einem für Nordrhein-Westfalen entwickelten Modell. Sie verlangen Mindestanforderungen an Ausstattung, Personal, Fallzahlen und Qualität. Künftig wird also nicht mehr jedes Krankenhaus Schlaganfallpatientinnen und -patienten behandeln dürfen oder orthopädische Eingriffe vornehmen können. Geld soll künftig nur noch dorthin fließen, wo Qualität sei, dekretierte Lauterbach in einem TV-Interview und setzte den bemerkenswerten Satz hinzu, dass „die kleinen Krankenhäuser schwierig“ seien und sich dort „viele Ärzte und gut informierte Bürger gar nicht behandeln lassen würden.“ Klingt nach geduldeter fahrlässiger Gefährdung all derer, die nicht so gut Bescheid wissen.Die Kliniken werden also schauen müssen, möglichst viele Leistungsgruppen bei sich zu bündeln, sonst droht ihnen die Einstufung in das „Level 1i“, also das Abrutschen in die „sektorenübergreifende“ Versorgung. Dabei handelt es sich im engen Sinn nicht mehr um ein Krankenhaus, weil keine Notfallversorgung mehr möglich ist. Geplant als wohnortnahe Anlaufstellen für Routine- und akute Bagatellfälle, werden sie auch für Patienten und Patientinnen vorgehalten, die überbrückungsweise gepflegt werden müssen, bis ein Pflegeplatz für sie gefunden wird. Von diesem „Pflegegut“ – das ist ein erklärtes Ziel – sollen Häuser mit höherem Versorgungsniveau künftig entlastet werden.Von „Levels“ wollen die Länderminister allerdings nichts mehr wissen, das Thema haben sie abgeräumt, weil sie die um ihren Standort besorgten Landrätinnen und Landräte fürchten, die ihnen das Haus einrennen, wenn bei ihnen plötzlich nur noch ein Krankenhaus der untersten Stufe vor Ort ist. So jedenfalls erklärte es der baden-württembergische Gesundheitschef Manfred Lucha (Grüne) sinngemäß auf einer Pressekonferenz. Wenig beglückt sind die Minister auch von Lauterbachs „Transparenzoffensive“, die Leistungsspektrum und Qualität der Häuser öffentlich im Netz ausweisen will. Was davon übrig bleibt, wird noch spannend. Mit Öffnungsklauseln haben sich die Länder immerhin die Planungshoheit gesichert, das heißt, sie können unter Umständen auch Kliniken durchwinken, die die hohen Qualitätsstandards zwar nicht erfüllen, für die Versorgung der Bevölkerung aber unabdingbar sind. Die ostdeutschen Länder, in denen die „Strukturbereinigung bereits in den 1990er Jahren stattgefunden“ habe, so das Eckpunktepapier, werden – nach Intervention der betroffenen Gesundheitsminister – gesondert behandelt.Die Reaktionen auf Karl Lauterbachs Reform sind geteiltEs wird voraussichtlich also nicht zu der Schließungswelle kommen, von der einer der Planer der Reform, der Gesundheitsökonom Reinhard Busse, träumt. Der Rückgang der Klinikfallzahlen während Corona, rechnete er in der Zeit vor, habe gezeigt, dass die Hälfte der Krankenhäuser einfach überflüssig sei. Das ist zynisch, denn Corona hat dazu geführt, dass viele lebenswichtige Operationen verschoben und medizinisch notwendige Behandlungen ausgesetzt wurden, mit bekannten Folgen bis hin zur steigenden Übersterblichkeit. Auch Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, fordert, möglichst viele kleine Krankenhäuser abzuräumen, statt sie mit Vorhaltekosten zu päppeln. In der geplanten „Ambulantisierung“ wittert er für seine Klientel, die niedergelassenen Ärzte, eine Riesenchance, wenn nämlich kleine Krankenhäuser in lukrative Gesundheitszentren umgewandelt werden.Etwas Ähnliches, wenn auch nicht in gewinnorientierter Absicht, schwebt Politiker:innen der Linken vor. Sie schlugen kürzlich vor, kleine Häuser in wohnortnahe Medizinische Versorgungszentren mit 24-Stunden-Diensten nach dem Vorbild des Community Health Service in Schweden oder Slowenien umzuwandeln. Zumindest in Schweden war das allerdings eine Kostendämpfungsmaßnahme. Überhaupt hat sich das nordeuropäische Land als Vorreiter der Priorisierung von Gesundheitsleistungen hervorgetan.Die Reaktionen in den Ländern und vor Ort sind geteilt. Wie zu erwarten, erhoffen sich die nicht gefährdeten Unikliniken als Maximalversorger Entlastung und mehr Qualität; sie profitieren außerdem von ihrer koordinierenden Funktion, die gesondert honoriert werden soll. Das Uniklinikum in Schleswig-Holstein zum Beispiel begrüßt Lauterbachs Vorschläge, während das angeschlagene Städtische Krankenhaus in Kiel Vorkehrungen vermisst, um den Krankenhäusern kurzfristig aus der Klemme zu helfen. Die in Kiel waltende Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) hat sich bei der Abstimmung der Eckpunkte als Einzige enthalten.Wer denkt an die Patientinnen?In Bayern, wo jede zehnte Klinik von Insolvenz bedroht ist, beurteilen viele Einrichtungen die Lage skeptisch. Manche setzen schon jetzt auf Spezialisierung oder Kooperation, manche fürchten aber auch die Abwanderung von Personal. Fachminister Klaus Holitschek (CSU) votierte gegen die Reform. Auch in Hessen, so drückte es die Klinikdirektorin der Asklepios-Klinik in Fritzlar aus, gehe die Hängepartie im ländlichen Raum weiter. Manche fürchten sogar, wie der Chef des kleinen Krankenhauses im württembergischen Neuenbürg, dass „sich das Hamsterrad“, das Lauterbach stoppen will, „noch schneller drehen“ wird. Viele kritisieren, dass der Gesundheitsminister die Länder nicht in die Pflicht nehme, ihren ausstehenden Investitionsverpflichtungen nachzukommen.Für die Patientinnen bedeuten Klinikschließungen, Konzentration oder Spezialisierung längere Wege, besonders in den ohnehin schon unterversorgten ländlichen Gebieten. Die Versorgung orientiere sich am Bedarf, verspricht Karl Lauterbach. Aber unter welchen Bedingungen? Welche Folgen haben zunehmend ambulante Operationen für eine älter werdende, verstärkt als Single lebende Bevölkerung? Wie reagieren Angehörige, wenn pflegebedürftige Patienten durchs Land verschickt werden, was bedeutet es für Schwangere, die keine wohnortnahe Geburtsstation mehr finden, und für Rettungsdienste, wenn das lokale Krankenhaus keine Notfallstation mehr hat?Ausgerechnet die Union, die viel an den Ursachen der Klinikmisere mitverantwortet, fordert Soforthilfen. Die Linkspartei darüber hinaus eine integrierte Bedarfsplanung, die mehr als die Krankenhäuser in den Blick nimmt. Denn wenn Patientinnen aus den Kliniken und Notfallzentren gedrängt werden, müssen sie anderweitig versorgt werden, die niedergelassenen Ärzte und Ärztinnen fangen das nicht auf. Das Drama hat noch gar nicht richtig begonnen.